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Die WahrheitChauffeure und Katastropheure

Die wahre Theaterkritik: Aufführung einer Tragikomödie der Letzten Generation auf einer Freilichtbühne im bibberkalten Berliner Sonnenuntergang.

Nichts geht mehr im Berliner Apokalypsen-Drama Foto: Michael Ringel

Vorspiel

Immer wieder werden Unglücke oder Verbrechen von Journalisten mit Worten wie „Drama“ oder „Tragödie“ falsch beschrieben, denn die Begriffe aus der Fiktion verwandeln das reale Geschehen nur in leicht konsumierbare Erzählungen. Die Ereignisse aber bleiben, was sie für die beteiligten Menschen sind: Desaster oder Katastrophen.

Keine Katastrophe hingegen war das Stück, das am Mittwoch, dem 10. Januar 2024, während des Feierabendverkehrs auf der Berliner Freilichtbühne Innsbrucker Platz zur Aufführung kam. Neben den beliebten Spektakeln „Bauernprotest“ und „Lokführerstreik“ sowie der neuen Sensation der Saison, dem boulevardesken Liebeslustspiel „Der Bürgermeister und die Bildungssenatorin“, muss es fortan vor Publikum und Kritik bestehen.

Verteilten Handzetteln zufolge lautete der sprachlich gewagte und grammatikalisch riskante Titel: „Weg von Fossil – Hin zu Gerecht!“ Plakativer betitelt gewesen wäre das Stück mit „Chauffeure, Claqueure & Katastropheure“. Ob es jedoch eine Tragödie oder Komödie ist, gilt es zu ermitteln. Vorhang auf.

Handlung

Die Handlung ist schnell nacherzählt. Mitten im nachmittäglichen Berufsverkehr betreten rund ein Dutzend sogenannte Klimakleber eine der verkehrsreichsten und unfallträchtigsten Kreuzungen der Hauptstadt, kleben sich am Asphalt der Großstadt fest und bringen den Verkehr nicht nur auf der den Berliner Ortsteil Schöneberg durchziehenden Nord-Süd-Achse mit dem bedeutungsschweren Namen „Hauptstraße“, sondern auch auf zwei Autobahnauf- und -abfahrten weitgehend zum Erliegen.

Auftritt der Bereitschaftspolizei, die mit mehreren im Volksmund „Wannen“ genannten Fahrzeugen anrückt, während die Sonne, die jetzt im Westen am Horizont verschwindet, als großer Scheinwerfer die Bühne in ein bläulich-rosa Licht taucht, das offenbar die Vergänglichkeit des Seins ausdrücken soll.

Besetzung

Fünf Gruppen von Darstellern treffen aufeinander: Die in orangefarbene, an Müllwerker erinnernde Warnwesten gewandeten wortlosen Klimakatastropheure. Die von Passanten so genannten „Bullen“ mit ihren Macht demonstrierenden blau-schwarzen Uniformen. Die leicht an ihrer schlechten Kleidung, den deutlich sichtbaren Ausweisen und den übergroßen Film- und Fotokameras als Journalisten zu erkennenden Kritiker. Die in ihren Wagen verharrenden, nur schemenhaft hinter beschlagenen Scheiben erkennbaren Autofahrer im Stau. Und verblüffenderweise als Hauptdarsteller die Zuschauer, ein bunt zusammengewürfelter Haufen, der genau das darstellen soll, was er ist: eine heterogene Volksmasse. Die sich auch von der winterlichen Bibberkälte nicht abhalten lässt, vom Rand aus Schaulust zu zeigen.

Darsteller

Erstaunlich blass bleiben indes die Klimaaktivisten, deren viel und ein großes Drama versprechender Name „Letzte Generation“ für eine desaströse Zukunft steht. In mönchischer Stille lassen sie alle Amtshandlungen über sich ergehen. Dabei zeigt sich ihre ins Morgen gerichtete Intention im seltsamen Gegensatz zu ihrer fatalen Ruhe, ihrem Nicht-Aufbegehren, selbst wenn sie abtransportiert werden. Ein allzu plump vom Regisseur inszenierter Widerspruch, aus dem sich ein überdeutlicher moralischer Zeigefinger erhebt, der das Publikum wachrütteln soll.

Das gar nicht wachgerüttelt werden muss, sondern munter aufjohlt, wenn die Polizistendarsteller wieder einen Demonstranten von der Fahrbahn lösen und wegtragen. „Früher hätten sie die mit Schlagstöcken verhauen. Die sind viel zu sanft“, verlangt Volkes Stimme nach mehr Einsatz. Und tatsächlich bleiben die Einsatzkräfte, die für die Gegenwart stehen, genauso blass wie ihre Opponenten.

Ebenfalls gesichtslos agiert die „Presse“. Anders als die Zuschauer am Rand ist sie mitten im Geschehen, hockt sich nieder und hält den Klebern handnah ihre Kameras vor die roten Nasen, kann ihnen aber keine Kommentare entlocken. Method Acting ist etwas anderes, hier wird reine Routine in ihrer gelangweiltesten Form ausgespielt.

Umgeben wird die Szenerie von den als amorphe Wesen auftretenden Chauffeuren im Stau, einem interessanten Regieeinfall, wenn mitunter zur Mahnung ein Wagenlenker mit mäßiger Verzweiflung die Hupe betätigt, als Nebelhorn, das in die Vergangenheit weist, für die jeder Verbrennermotor steht.

Chor

Bewegung geht vor allem von der Zuschauermenge aus, die hin und her wogt und ab und zu von der Staatsmacht mit kräftigen Worten zurückgedrängt wird. Die Menge am Rand hat in diesem dialogarmen Stück die Rolle des Chors aus der griechischen Tragödie. Die positiv, aber auch negativ gestimmten Claqueure kommentieren das Geschehen.

Heraus stechen dabei einige bewährte Darsteller, die ihre Rollen überagierend ausfüllen wie zum Beispiel der Krakeeler, der monologisch immer wieder ausruft: „Ihr habt doch alle keinen Verstand!“

Oder die obligatorische Verschwörungsfrau mit hexenhaft wirren Haaren, die dauernd kreischt: „Die Bundesrepublik hat keine Verfassung, nur ein Grundgesetz, die BRD ist ein Geschäftsbetrieb.“ Was zu diesem Anlass des Weltuntergangs und seiner Verhinderung ein eher unpassender Gedanke ist, aber ein Einfall des Regisseurs, der die zumindest an dieser Stelle turbulente Inszenierung endgültig ins Genre der Tragikomödie abdriften lässt.

Intention

Dem zufällig an diesem Nachmittag in die Freilichtaufführung geratenen Theaterkritiker sei es an dieser Stelle erlaubt, einen weiten historischen Bogen zu schlagen. Denn als erfahrener Betrachter hat er bereits in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts den Aufschrei der Umweltschützer vernommen, die das Baumsterben beklagten. Zwar will er die Klimakatastrophe nicht leugnen, aber Bäume gibt es immer noch und die Erde rettet sich stets selbst, notfalls auch ohne die Menschen.

Fazit

Deshalb ist die moralische, von christlichen Apokalypse-Vorstellungen geprägte Intention der Letzten Generation durchaus fragwürdig. Als das mächtige Venedig der Renaissance, das als bedeutendster Stadtstaat seiner Zeit mit aller Welt Handel trieb und sogar bis nach China neue Handelswege entdeckte, von seinen Rivalen verdrängt wurde und auch noch die Pest die Lagunenstadt heimsuchte, da erfanden die Venezianer kurzerhand den Karneval. Und was hat sämtliche Katastrophen der Geschichte überlebt? Das venezianische Maskenspiel.

Die Antwort auf die Apokalypse ist immer Dekadenz. Nur das leichte Spiel lässt die Menschheit überleben. Jedenfalls dann, wenn die Aufführungen nicht hochgradig schwermütig inszeniert sind. Ein Publikumserfolg wird die Letzte Generation mit ihrem Werk wohl kaum. Damit aber sind alle Fragen beantwortet. Vorhang zu.

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