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Hochwasser in NiedersachsenZu langsam für den Klimawandel

Nadine Conti
Kommentar von Nadine Conti

Die Hochwasserkatastrophe im Norden wird kaum Konsequenzen zeitigen. Denn deutsche Bürokratie-Dauerschleifen und Klimawandel: Das beißt sich einfach.

Viel Pech: Zu viel Starkregen an zu vielen Stellen Foto: Sina Schuldt/dpa

E s stimmt ja nicht, dass diese Katastrophe nicht vorherzusehen war. Bis auf den Umfang vielleicht, so viel Stark­regen an so vielen Stellen – das ist schon Pech. Aber dass der Katastrophenschutz so gut funktioniert hat, liegt auch daran, dass man schon lange weiß, wo die Schwachstellen liegen. Die Karten der Risiko- und Gefahrengebiete liegen ja vor, sogar öffentlich. Wer genau hinschaut, sieht, dass sich das Wasser in den meisten Gegenden brav an die Prognosen gehalten hat.

Was in Deutschland eben dauert, ist, daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Denn irgendwo auf dem Weg zwischen aktualisierten Hochwasserschutzplänen, dem Identifizieren der notwendigen Maßnahmen, dem Beantragen von Projektmitteln, der Organisation von öffentlichen Beteiligungen und politischen Mehrheiten, dem Einholen von Genehmigungen, dem Erwerb der notwendigen Flächen, dem Ausschreiben der Baumaßnahmen und deren Umsetzung geht Kommunen und Landkreisen gerne einmal die Puste und das Geld aus. Zumal dieses Wasser ja auch die dumme Angewohnheit hat, sich nicht an kommunale Grenzen zu halten, und deshalb weitere Koordinierungsschleifen notwendig macht.

Ein Beispiel aus dem Kreis Hildesheim, wo der Fluss Innerste durchfließt: Der „Hochwasserschutzverband Innerste“ wurde nach dem verheerenden Hochwasser in 2017 angestoßen. Aus der Erkenntnis heraus, dass die Flussanrainer ihre Hochwasserschutzmaßnahmen besser koordinieren müssen. Das Land Niedersachsen stellte dafür ein Sondervermögen von 15 Millionen Euro zur Verfügung. Für andere Flüsse in Niedersachsen gibt es ähnliche Programme, aber der Topf für die Innerste ist der größte.

Es dauerte fast fünf Jahre, bis sich der Verband 2022 formell konstituierte. 23 Maßnahmen umfasst das überregionale Schutzkonzept, darunter der Bau zahlreicher Rückhaltebecken und der Ausbau des Flusses Nette bei Rhüden. Zehn dieser Maßnahmen sollten Priorität erhalten. In der Umsetzung befinden sich derzeit zwei. Es gibt Dutzende solcher Beispiele.

Das eine Problem ist die Schwerfälligkeit des komplexen Systems, das andere die notorische Kurzsichtigkeit von Bür­ge­r*in­nen wie Politiker*innen. Natürlich fordern jetzt alle Hochwasserschutzmaßnahmen. Aber wenn der nächste Dürresommer kommt? Wenn das Geld für die nächsten drei Krisen dringender gebraucht wird? Wer fühlt dann noch das Bedürfnis, teure Baumaßnahmen anzuschieben oder gar nur Geld für eine Sandsackfüllanlage lockerzumachen? Das ist die eigentlich bittere Lektion aus diesem Hochwasser: Man weiß genau, was zu tun ist, und schafft es trotzdem nicht. Der Klimawandel ist zu schnell und zu komplex für uns.

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Nadine Conti
Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020
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16 Kommentare

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  • Der Klimawandel ist zu schnell und zu komplex für uns.



    ---



    Der Schlusssatz war doch "Ironie"? Oder?



    Vom o.a. wissen wir mMn. schon seit > 30 Jahren. Böse "Wissenschaftler" behaupten sogar seit 1972, als der Club of Rom die 1. Version des Berichtes "Die Grenzen des Wachstums" herausgab!

    • @Sikasuu:

      "für uns". In Hinsicht auf unser Vermögen, dafür umzugehen.

  • Nicht vergessen: Bürokratie ist politisch gemacht, beschossen.



    Die Bürokratie schafft schafft seltenst selbst Bürokratie.



    Die politische Mehrheit oder Verantwortliche (Minister) gehören adessiert!!!

    • @KielerSprotte:

      Bürokratie ist Selbstzweck. Selten gemacht.

  • Bis auf den letzten Satz ein sehr guter Artikel.



    Mit dem sogenannten Klimawandel (den gibt es seit 4.3 Milliarden Jahren) hat die aktuelle Situation aber meiner Ansicht nach nichts zu tun.



    Eher mit Flussbegradigung, Bodenversiegelung, Abholzung von Wäldern, Bebauung in Flusstälern, unzureichendem Ausbau von Kanalisation, unzureichender Vorsorge.



    Klimawandel ist ein beliebtes Strohmannargument für Politiker, um von eigenen Versäumnissen abzulenken.

    • @Liberaler:

      Nur weil Klima auch wandelt, heißt das nicht, dass das Wort für menschengemachten Klimawandel nicht Klimawandel heißen kann.



      Fun fact: es heißt allgemeinegültig so.

  • Aus den 1950ern kenne ich noch das starke mehrmalige Überfluten der Wiesen hinter dem Grundstück. Wir Kinder waren begeistert und schwammen sogar darin. Whoow, da flog bei einem Sturm der 5 m hohe Schornstein der Bäckerei 30 von meinem Elternhaus vom Dach weg, 1978 saßen wir mehrere Tage aufgrund des Schneechaos diese Winters an der Nordseeküste fest, eingeschneit. Ich habe Fotos aus den 1920 Jahren, da war unser Ortsmittelpunkt komplett überflutet.



    Ich bin absolut keine Klimawandel-Leugnerin, verzichte auf ein Auto, nutze nur das Fahrrad ohne Motor und fahre damit auch im Urlaub damit mal 2.000 km.



    Aber die heutige Generation sieht sofort bei schlechten Wetter die Folgen des Klimawandels, braucht Warnmeldungen auf dem Smartphone bei etwas Wind ....



    Es kommt nur wenige auf die Idee, dass Überschwemmungen oft die Folge von riesigen zugebauten Flächen und Bach-/Flußbegradigungen, Staustufen, ..... resultieren.



    Die früher riesigen überfluteten Wiesen hinter unserem Grundstück sind jetzt komplett zugebaut. Wenn der Bach, wie früher oft, mal über die Ufer tritt, dann Panik, Panik, Klimawandel, Klimawandel ...

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Vielleicht hilft hier auch ein Blick auf unsere europäischen Nachbarn.



    Die erleben ja den gleichen Klimawandel.



    Haben sich aber teilweise schon vor langer Zeit auf den Weg gemacht, um die Resilienz gegenüber Klimakatastrophen zu erhöhen:



    Holland hat riesige Sperrwerke vor den Flußmündungen, riesige Polder, aus denen die Landwirte umgesiedelt wurden und einen nationalen Hochwasserschutz. Dort würde niemand auf die Idee kommen, kleine Kommunen mit dem Deichbau zu betreuen.



    Spanien baut Großstädte wie Barcelona um, damit sie im Sommer kühler werden: Autofreie Viertel mit vielen Bäumen, die Schatten spenden.



    Dänemark hat über 60% der Häuser und Wohnungen auf klimafreundliche Nah- und Fernwärme umgestellt und ist bald komplett unabhängig von Öl und Gas.

    Deutschland hat all dies verschlafen und ignoriert. Stattdessen wurde hier die „Schuldenbremse“ eingeführt.

    Ob die uns wohl bei den kommenden Dürren und Fluten helfen wird?



    Oder bedeutet sie in der Konsequenz nur, das es für jeden bedrohten Haushalt nur 15 (!!) Sandsäcke gibt und jeder mit den existentiellen Schäden alleine gelassen wird?

    • @48798 (Profil gelöscht):

      Schuldenbremse ist super. Deutschland gibt über 80 MRD mehr aus im Vergleich zu vier Jahren davor und es fehlen noch Mal 60 MRD



      Das ist eine Politik der Geldverschwendung.

  • Wir (nicht nur in Deutschland) wissen schon lange, also seit gut 40 Jahren, was auf uns zu kommt. Seit Jahren jeden immer größere Delegationen zu "Klima-Gipfeln". Alle Jahre wieder werden Absichtserklärungen" verabschiedet. Möglichweise sogar in der Absicht, sich daran zu halten. Es handelt sich aber um ein Suchtproblem. Wie bei einem Alkoholiker, der sich seit 40 Jahren vornimmt, morgen mit dem Trinken Aug zu hören. Das geht so lange, bis es kein Morgen mehr für ihn gibt. Oder mit Zwangsentzug, was eine globale Ökodiktatur bedeuten würde. Die ist nicht in Sicht. Dafür käme allenfalls China in Frage, falls sie die Weltherrschaft erringen sollten.

  • Das stimmt schon so.



    Allerdings ist da nicht böser Wille grundlegend, sondern das Ganze ist einfach mit Arbeit verbunden:



    Um Hochwassergefährdungsgebiete zu erfassen müssen Daten gesammelt werden.



    Dann müssen Prognosen erstellt werden.



    Erst dann, nach 2, 3 Jahren, können Gegenmaßnahmen geplant werden. Wenn sich demokratische Organe, Länder, Kreise und Kommunen geeinigt haben, sind neben oberer und unterer Wasserbehörde auch noch Umwelt, Eigentümer und Bürgerbeteiligung dran.



    Auch hier bremst Fachkäftemangel nicht nur in den Behörden, sondern auch in den entsprechenden Planungsbüros.



    Ganz nebenbei gibt es dann noch Lobbyarbeit, denn evtl.



    Rückhaltezonen, Flächen für Auen und Maßnahmen gehören in Deutschland Irgendjemand und hier muss der Staat, sprich, z.B die Gemeinde zum Preis, den z.B. dem Bauern im Traum erschien, kaufen.



    Ja, das dauert. Mit einem Despoten an der Spitze ging das wahrscheinlich schneller, doch wie uns die Geschichte oder andere Länder zeigen, interessiert die das Schicksal der Bevölkerung nur bedingt.



    Einen anderen Weg, der besser wäre, als alle Interessen zu berücksichtigen, kann ich nicht erkennen.

  • Nein, der Klimawandel ist nicht zu schnell und nicht zu komplex. Wir wissen seit dem Bericht des Club of Rome was zu tun ist, doch Politiker und die Mehrheit unserer Bürger handeln nicht Verantwortungsbewusst. Alle schauen nur auf den schnell verdienten Euro, denn der langsam verdiente Euro würde auch zum Überleben und zu einem noch besseren Leben taugen.

    Nach der Flut werden die Bauern wieder Ausgleichszahlungen erhalten, damit sie nicht insolvent gehen, von der selbst mitverursachten Lage, und dann geht es wieder weiter wie immer. Die Schadenskosten die heute, morgen und in zukunft noch zu zahlen sind, wären die letzten 50 - 60 Jahre sinnvoller in Klimaschutzmassnahmen angelegt gewesen. Dann gäbe es schon heute Tracker mit klimaneutralem Antrieb und das deutsche Gemüse und der Wein wäre auch frei von Pestiziden und Bürgerbewegungen müssten sich nicht darum kümmern, das z.B. Glyphosat und Lasso von unseren Äckern verbannt wird. Die Politik und die Bauern tun hier nichts für unsere Gesundheit und nichts für den Erhalt unserer Natur- und Landschaftspflege.

  • Na die Bauern werden wieder unsere Steuergelder bekommen und alles wird gut.

  • schon schlecht wenn man das nicht auf die Bürger abwälzen kann. Sobald der Staat Umwelt-, Klima oder Natur schützen soll, ist plötzlich nichts mehr dringend.

    • @Wes:

      Die Bürger sind der Staat und sollten ihr Umfeld schon schützen. Und es gibt sogar Bürger die meinen es müsste nicht geschützt werden bis es sie selbst trifft dann wird wieder nach dem Staat geschrien..

  • Wenn Rhüden feucht wird bleibt Bornum trocken. Die Rhüdener sind schon seit Jahren gebeutelt.