Nachhaltiges Design in Wien: Clever die Welt retten

Die Schau „Critical Consumption“ im Wiener Museum für angewandte Kunst zeigt nachhaltiges Produktdesign. Ob es über den Prototyp-Status hinauskommt?

Lauter Parfüm-Taschen, von Sylvie Fleury zum Werk "Acne" verwendet

Sylvie Fleury: „Acne“ (2014). Das Werk besteht aus Parfum-Tragetaschen Foto: Courtesy Galerie Mehdi Chouaktri/Gunnar Meier Schweiz

Da ist zum Beispiel das Radiogerät „Kubo Magno“ vom indonesischen Designer Singgih Susilo Kartono, das auf Java zu Fairtrade-Bedingungen hergestellt wird. Es ist gebaut aus lokalem Palisanderholz, das Unternehmen pflanzt es regelmäßig nach. Gleichzeitig führt Kartono so die Holzschnitz-Tradition fort, die für diesen indonesischen Landesteil typisch ist.

Gleich daneben zeigt das „Tin Can Radio“, wie man auch mit einfachsten Mitteln (nämlich aus Konservendose, Pappe, Klebestreifen und wenigen Elektronikbauteilen) ein funktionstüchtiges Billigradio bauen kann – in großen Teilen der Welt immer noch wichtigste Informationsquelle.

Das Programm „Slow Hot Computer“ von Sam Lavigne strapaziert den Computer, auf dem die Software installiert ist, so sehr, dass der Rechner nicht nur heiß läuft, sondern auch so langsam wird, bis man an ihm praktisch nicht mehr arbeiten kann – eine unfreiwillige Zwangspause für Überproduktive.

Kontrolle über Konsum

Alle diese Exponate sind zur Zeit in der materialreichen Ausstellung „Critical Consumption“ im Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) zu sehen, wo sie als Beispiele dafür herhalten, wie Verbraucher die Kontrolle über ihren Konsum und seine Produkte behalten, und welche Selbstverteidigungsmethoden gegen Unternehmensstrategien, Überkonsum und Wegwerf-Mentalität möglich sind.

„Critical Consumption“: MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien, bis 8. September 2024

Im Mittelpunkt steht dabei die Modeindustrie, wo durch Versandhäuser wie Zalando eine besonders problematische Verschwendungssucht um sich gegriffen hat. Als Alternative zeigt das Ghanaische Kollektiv „Dead White Men's Clothes“, was für fantasievolle Bekleidung aus europäischen Kleiderspenden in Afrika entsteht. „Tenant of Culture“ aus den Niederlanden hat die omnipräsenten Kunststoff-Versandtaschen von Amazon zu Basecaps verarbeitet.

Hier wird aber auch schon das Pro­blem der meisten Projekte deutlich, bei denen Design die Welt retten soll: Es dominiert das Handgemachte, der Prototyp und das Einzelstück; Produkte, die erfolgreich im großen Stil in Serie gegangen sind, gibt es kaum; die Möglichkeit der Konsumverweigerung wird nicht einmal erwogen.

Leider ohne Hartz IV-Möbel

Eine Lücke in der Ausstellung illustriert die Problematik besonders klar: Es fehlt der Berliner Architekt Van Bo Le-Mentzel, der 2010 mit seinen „Hartz-IV-Möbeln“ eins der erfolgreichsten DiY-Projekte der letzten Jahre lancierte. Die Entwürfe, nach denen man aus billigen Baumarktmaterialien und ohne große handwerkliche Fähigkeiten eine komplette Wohnungseinrichtung bauen kann, wurden über ein Blog und in ein gut verkauftes Buch vertrieben; über sie wurde breit in der Presse berichtet.

Mit Hilfe der sozialen Medien gelang es Le-Mentzel früh, eine Community aufzubauen, die Bilder von ihren Eigenbauten teilten und sich gegenseitig Tipps gaben. Motto der gesamten Kollektion: „Konstruieren statt Konsumieren“, also ein Slogan, der für viele Exponate in „Critical Consumption“ gelten könnte.

Gut ein Jahrzehnt später erinnern sich offenbar nicht einmal die Kuratoren einer Ausstellung über „kritischen Konsum“ daran. Und wir wissen, dass die „Hartz-IV-Möbel“ nicht revolutioniert haben, wie sich Leute mit wenig Geld einrichten. Die leben immer noch in billigem Plastik- und Pressholz-Murks von Ikea und Poco, der nach ein paar Jahren entsorgt wird, wenn die Farbe abblättert oder die Verschraubungen irreparabel aus dem Pressspan ausgebrochen sind.

So lange sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen und das Bewusstsein der Käufer nicht grundlegend ändern, kann Design wenig ausrichten, selbst wenn es noch so gut gemeint und clever daherkommt. Und so könnte die Bilanz der Ausstellung aussehen.

Da die Öffentlichkeit trotz Sweatshops in Entwicklungsländern, Klimawandel und globaler Umweltverschmutzung allenfalls minimale Veränderungen ihrer Lebensgewohnheiten zu akzeptieren bereit ist, wirken die gestalterischen Alternativen in der Wiener Schau lediglich wie ein weiteres Konsumangebot unter vielen. Trotz dieser bitteren Erkenntnis, oder vielleicht gerade deswegen, ist sie uneingeschränkt sehenswert.

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