Mahnwache für alle Toten in Nahost: Gegen den Hass

In London fand am Sonntag eine Mahnwache für israelische und palästinensische Opfer statt. Über 1.000 Menschen stellten sich gegen Polarisierung.

Gruppe älterer Menschen bei einer Mahnwache

„Together for Humanity“ Mahnwache in London Foto: Susannah ireland/reuters

LONDON taz | Die Menschen um die kleine Bühne gegenüber von 10 Downing Street tragen keine Fahnen oder Plakate, allerhöchstens Regenschirme. Über 1.000 Menschen sind am Sonntagnachmittag vor dem Amtssitz des britischen Premierministers in London zur Mahnwache der Initiative „Together for Humanity“ gekommen. Es ist ihre zweite Veranstaltung seit dem 7. Oktober zum Gedenken an die Toten beider Seiten im israelisch-palästinensischen Konflikt.

Im Kontrast zu vorherigen Veranstaltungen, Demonstrationen und Märschen wollen die hier Versammelten ein Zeichen gegen die Polarisierung setzen. Es gehe um ein Zeichen gegen die Extremist:innen, welche den schrecklichen Krieg zwischen Israel und Hamas dazu ausbeuteten, um Hass gegen Mus­li­me und Juden zu schüren, so Mitveranstalter Brendan Cox. Cox ist der Ehemann der von einem Rechtsextremisten vor dem Brexitreferendum 2016 ermordeten Labour-Abgeordneten Jo Cox. Menschen aller Hintergründe und Religionen in Großbritannien können nicht nur zusammenleben, sagt er – sie tun das längst, jeden Tag.

Ein Redner ist der Londoner Lehrer Magen Inon. Seine Eltern Bilha und Yakovi wurden am 7. Oktober von Hamas in Israel ermordet. Außerdem sprechen die liberaldemokratische britisch-palästinensische Unterhausabgeordnete Layla Moran, die Familie in Gaza hat, und der palästinensische Friedensaktivist Hamze Awawde aus Ramallah.

Auch Robi Damelin von der Gruppe Parents Circle, der israelische und palästinensische Eltern angehören, die Kinder im Konflikt verloren haben, in Damelins Fall ihr Sohn, sowie Mira Awad, eine palästinensische Sängerin mit israelischer Staatsangehörigkeit.

Der Erzbischof, der Konservative und die Labour-Rebellin

Bemerkenswert ist die Beteiligung des Oberhaupts der anglikanischen Kirche, Erzbischof Justin Welby. Gekommen ist auch der konservative Abgeordnete Tobias Ellwood, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im britischen Parlament, und die Labour-Abgeordnete Stella Creasy, eine Rebellin bei Labour gegen den Standpunkt der Parteiführung von Keir Starmer, sich lediglich für eine humanitäre Feuerpause statt für einen permanenten Waffenstillstand einzusetzen.

Alle Sprecher erkennen das Leid beider Seiten an. Man kann für Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen sein, aber klar gegen Hamas. Man kann für Israel, aber gegen die schweren Bombardierungen der Armee und die Situation im Westjordanland. Man müsse sich gegen „Zyniker“ stellen, die behaupten, es gebe keine Hoffnung auf eine friedliche Lösung, sagt Layla Moran. Moran verlor bereits ein älteres Familienmitglied in Gaza mangels Trinkwasser.

Magen Inon sagt, man müsse gerade angesichts einer Gruppe, die einschüchtern und jegliche Chance auf das Miteinanderleben zerstören wollte, Hoffnung statt Revanche aufrechterhalten. Selbst wenn das vielleicht in Israel gerade nicht möglich wäre, sei es wichtig. Während manche behaupteten, es gäbe niemanden auf der anderen Seite, stünden hier Menschen, die sich gegenseitig respektieren.

„Weil wir Hoffnung brauchen“

Die 41-jährige Hausärztin Bushra ist mit ihrem zehnjährigen Sohn Zakaria gekommen. Die letzten Wochen seien für sie sehr schmerzvoll gewesen, erzählt sie der taz. „Gerade die Polarisierung, die sich jeweils gegen die anderen richtet, macht mir Sorgen. Es ist der Grund, weshalb ich hier hergekommen bin, weil wir Hoffnung brauchen.“

Architekt Ishai, 27, und seine Mutter Yael, 56, wollen sich nach Solidaritätsveranstaltungen für Israel und gegen Antisemitismus einer anderen Sichtweise stellen. „Solidarität ist nach dieser schweren Zeit sehr wichtig“, erläutere Ishai der taz. Mutter Yael gesteht, dass die Teilnahme für sie, mit Familie in Israel, eine Überwindung darstellt. „Es ist etwas, worüber ich vor dem 7. Oktober keine Sekunde nachgedacht hätte.“ Doch es seien hier lauter freundlich gesinnte Menschen, wirft Ishai ein. „Für eine echte Lösung müssen aber Menschen zusammenkommen, für die ein solches Aufeinandertreffen schwer ist.“

So weit ist es noch nicht, aber der anglikanische Erzbischof Welby vergleicht die Veranstaltung mit dem Anzünden eines „Friedenslichts“, das überall als Fanal gelten könne.

Mira Awad singt „We shall live in peace“, ein Lied, das sie zum ersten Mal als Neunjährige auf einer ähnlichen Veranstaltung gesungen hat, wie sie den Versammelten mitteilt, und dann ein palästinensisches Lied zu den Worten des palästinensischen Dichters Mahmoud Darwisch. Die Veranstaltung endet damit, dass Ver­tre­te­r:in­nen verschiedener Glaubensrichtungen eine Kerze anzünden und eine Schweigeminute abhalten.

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