Buch von Esther Slevogt: Bergung eines verlorenen Schatzes
Es ist ein Buch über die aufregende Geschichte des Deutschen Theaters Berlin, das viel über die Potenziale der Kunst erzählt.
Vorhang auf: Die Bühne betritt eine neue bürgerliche Öffentlichkeit. Teil von ihr sind Künstler jüdischer Herkunft, die als Schauspieler, Autoren, Regisseure, Theatergründer und Mäzene wichtige Rollen übernehmen und so dem gesetzlichen Anspruch auf Gleichberechtigung und Partizipation Ausdruck geben.
Dass diese Emanzipation wesentlich war für die Gründung des Deutschen Theaters in Berlin 1883 ist eine der vielen Geschichten, die Esther Slevogt in ihrem wunderbar erzählten und gut recherchierten Buch „Auf den Brettern der Welt. Das Deutsche Theater in Berlin“ herausarbeitet.
Doch schon die Generation der Gründer erlebte antisemitische Anfeindungen und Verleumdungen.
Inszenierungen, Kritiken, Kulturpolitik
Esther Slevogt erzählt über das Haus, die Immobilie, die Ausstattung, die Inszenierungen, die Schauspieler:innen, das Publikum, die Kritiken, die Kulturpolitik. Die Theaterleiter sind ihre wichtigsten Protagonisten, unter ihnen Otto Brahm, Max Reinhardt, Wolfgang Langhoff, Dieter Mann.
Esther Slevogt: „Auf den Brettern der Welt: Das Deutsche Theater Berlin“, Ch. Links Verlag, Berlin 2023; 384 S., 25 Euro
Dabei schafft sie es mit Blick auf den Spielplan, was auf der Bühne gespielt wurde stets in ein Verhältnis zur deutschen Geschichte, zu politischen und ideologischen Diskursen zu setzen. Das ist eine besondere Leistung ihres Buches.
So eckte Otto Brahm, der mit Gerhart Hauptmann und Henrik Ibsen den Naturalismus und damit das Elend der Proletarier und den moralischen Verfall der gehobenen Klassen auf die Bühne brachte, bei den Konservativen im Kaiserreich an. Max Reinhardt setzte ab 1905 auf ästhetische Erfahrungen, die sich gegen Ideologien sperrten und dem Humanismus neuen Raum geben wollten. Er entdeckte die Stücke von Lenz und Büchner wieder und setzte damit dem militaristischen preußischen Geist etwas entgegen.
Deutungsspielräume offen halten
Wolfgang Langhoff versuchte im Kalten Krieg, die Deutungsspielräume offener zu halten, als die Partei es vorsah. Sein Haus, inzwischen Staatstheater der DDR, stand unter besonderer Beobachtung durch die SED und die Stasi, nicht zuletzt, weil weiter ein Teil des Publikums aus Westberlin kam, obwohl das Ostberliner Theater dort als „Volksverhetzer“ beschimpft und zum Boykott aufgerufen wurde.
Dieser zermürbende und oft auch demütigende Kampf Langhoffs wird detailliert, aber auch voller Empathie für den Mann beschrieben, den seine Erfahrungen unter den Nazis trotz allem auf ein besseres Deutschland in der DDR hoffen ließen.
Esther Slevogt ist selbst Theaterkritikerin (unter anderem für die taz) und hat das Deutsche Theater schon in den 1980er Jahren besucht, als sie als Studentin nach Westberlin gekommen war. Sie erzählt mit der Überzeugung von jemand, der einen verlorenen Schatz bergen will. Und es gelingt ihr anschaulich, der doch flüchtigen Kunst des Theaters ein Gesicht zu geben.
Was der Name des Theaters sagt
Das „Deutsche“ im Namen des Theaters verfolgt Slevogt auch mit Blick auf den Umgang mit den Autoren der deutschen Klassik. Sie klopft die historischen Inszenierungen und was von ihnen im Echo der Kritik und in anderen Archivmaterialien überliefert ist darauf ab, wie Kleist und Goethe etwa mit nationalistischen Gedanken in der Zeit des Nationalsozialismus aufgeladen wurden.
Und wie sich die Regisseure in der jungen DDR um Lesarten kümmerten, die etwa Kapitalismuskritik und Emanzipationsverlangen sehen ließen. Sie erzählt, dass Stücke wie „Dantons Tod“ von Büchner zur Auseinandersetzung mit dem Machterhalt ehemaliger Revolutionäre werden konnten, die keine Verbindung zu ihrem Volk mehr haben.
Deshalb ist ihr Buch nicht nur eine kenntnisreiche Lektüre über dieses eine Haus, sondern auch über die Bedeutung, die Theater lange haben konnte. Man lernt das Theater, gerade in der Zeit der DDR, als Institution kennen, die mit vielen Widersprüchen umgehen musste und dafür sensible Instrumente entwickelte.
Neue sozialistische Klassik
Oft muss man staunen über das lange Ringen um Stücke und Inszenierungen, die etwa die Versuche des Intendanten Wolfgang Langhoff begleiteten, eine neue sozialistische Klassik zu schaffen, mit Peter Hacks, Heiner Müller und dem Dramaturgen Heinar Kipphardt. Sie recherchierten im Alltag, benannten Probleme, suchten nach Lösungen und wurden immer wieder von einer Parteilinie ausgebremst, der schon die Problemschilderung zu viel Abweichung von ihrer behaupteten sozialistischen Wirklichkeit war.
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