piwik no script img

Neuer Rostock-„Polizeiruf“Nächtlicher Anruf, neue Wendung

Ein deutscher Fernseh-Krimi, der eine Trigger-Warnung verdient hat: Das müssen sich die Beteiligten erstmal erarbeiten. Und das machen sie sehr gut!

Evelyn Sonntag (Judith Engel) gibt die Hoffnung nicht auf, dass ihre Tochter wiederkommt Foto: Christine Schroeder/NDR

Evelyn Sonntag arbeitet bei der Rostocker Telefonseelsorge. Es ist mitten in der Nacht, als etwas Unerhörtes geschieht – das ist einem gleich klar, ohne die näheren Umstände zu kennen. Denn Tochter Jessica ruft an. Aber nicht lange: „Ich hätte nicht anrufen sollen“, sagt sie und legt wieder auf. Diese Mutter kann einem irgendwie leid tun.

Wir haben es in diesem Fall zunächst mit einem toten Mann zu tun, der regelrecht drapiert aufgefunden wird, festgebunden an einen Glastisch, geknebelt, überall Blut; Sexspielzeug wird gefunden.

Es könnte sich um einen brutalen Ritualmord handeln oder ein unkontrolliertes Sexdate. Die beiden Ermittlerinnen, Katrin König (Anneke Kim Sarnau), die LKA-Profilerin, und die immer noch neue Kollegin Melly Böwe (Lina Beckmann) nehmen routiniert die Arbeit auf. Schnell ist klar, dass der Tote als Facharzt für plastische Chirurgie gearbeitet hat – und „ein Arschloch“ war.

Doch dann, natürlich, nimmt der Fall eine unerwartete Wendung. Am Tatort wird DNA gefunden, die auf einen alten Fall verweist. Zwei Haare stammen von einer Toten. Und richtig, da kommt Jessica ins Spiel, die nächtliche Anruferin, die ja aber offensichtlich lebt. Ja, was denn nun?

​ Rostock-„Polizeiruf 110“​

„Nur Gespenster“, So., 20.15 Uhr, ARD; 21.45 Uhr, One und in der ARD-Mediathek

Lauter Warnsignale

Keine Bange, der Krimi klärt das alles auf, man kann gut folgen und alles ist super spannend – und erschütternd. Denn es ist so: Vor 15 Jahren verschwand Jessica spurlos. Damals war sie magersüchtig, hat die Schule geschwänzt, nahm Drogen – lauter Warnsignale! Nur hat sie niemand wahrgenommen …

Vor drei Jahren wurde Jessica sogar für tot erklärt. Vater Robert wollte einen Schlussstrich ziehen. Auch, weil seine Frau all die Jahre über immer wieder, sich an jeden Strohhalm klammernd, darauf hoffte, dass die Tochter doch noch lebt. Nun aber dieser nächtliche Anruf und die DNA-Spuren. Und dieser tote Mann. Gibt es einen Zusammenhang?

Aber sicher, wir sind hier in einem ARD-Krimi. Und dieser hier gehört zu den richtig guten. Das liegt am Team, das zwei starke Frauenfiguren anführen.

Wir erinnern uns: Alexander Bukow (Charly Hübner) hat den Dienst quittiert. Stattdessen ermittelt inzwischen seine Halbschwester Melly Böwe. Ja ja, das ist etwas hanebüchen und sorgt dann auch für Stunk im Team. „Sind wir eine Erbdynastie?“, fragt ein Kollege seinen Chef herausfordernd und durchaus gerechtfertigt, aber he, ist halt Film. Aber ein brillanter.

Seelische Verletzungen

Das liegt auch an der erstklassigen Besetzung. Evelyn Sonntag wird von Judith Engel glänzend gespielt. Die Mutter wirkt wie erstarrt, wie in einem Kokon gefangen, fragil und irgendwie kindlich naiv. Was ihr Ehemann sagt, wird gemacht. Die Fassade ist alles.

Ihrem Sohn geht es nicht besser. Der wuchs bei der Tante auf, nachdem seine Schwester für immer verschwunden war. Sein Verhältnis zu den Eltern ist distanziert. Adrian Grünewald (bekannt aus „Im Westen nichts Neues“) gibt den scheinbar abgeklärten, gefühlskalten Sohn mit einer ganz eigenen Entrücktheit, das ist absolut sehenswert.

Die beiden Figuren müssen schwerste seelische Verletzungen mit sich herumtragen – das ist mitunter schwer zu ertragen. Menschliche Abgründe tun sich auf. Mit denen kennt sich Katrin König ja bestens aus, wie wir auch wieder in dieser ergreifenden Folge sehen. Und überhaupt: Die Schlussszene lässt den Atem stocken, so viel Elend aber auch … Und deshalb: Ich bin ja generell gegen spoilern, aber dieser Krimi hat eine Triggerwarnung verdient.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!