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EU will aufrüstenDas Schulden-Tabu wackelt

Die EU gibt so viel für Rüstungsgüter aus wie nie – und EU-Ratspräsident Charles Michel fordert mehr. Dabei schaut er auf die Sicherheit der Ukraine.

EU-Ratspräsident Charles Michel, hier am 21.11. in Kyjiw Foto: Pavlo Bahmut/Avalon/imago

Brüssel taz | Die EU will weiter aufrüsten und dazu möglicherweise auch neue Schulden aufnehmen. Dies sagte EU-Ratspräsident Charles Michel am Donnerstag in Brüssel. Die Pläne sollten auch die militärischen Bedürfnisse der Ukraine berücksichtigen, erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Das Ziel sei eine umfassende Verteidigungsunion unter Einschluss des EU-Beitrittskandidaten.

Bisher ist Rüstung in Europa vor allem eine nationale Angelegenheit. Die EU hat zwar eine Verteidigungsagentur namens „European Defence Agency“ (EDA), doch die ist vor allem koordinierend tätig. Die 2017 beschlossene Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion besteht vor allem auf dem Papier. Michel und von der Leyen wollen dies nun ändern – der Krieg in der Ukraine dient als Aufhänger.

„Der Krieg steht vor unsere Türpforte, nun ist Eile geboten“, sagte Michel bei der EDA-Jahreskonferenz. Seit dem Beginn der russischen Invasion habe die EU – die früher eine Friedensunion sein wollte – zwar bereits Tabus gebrochen und etwa für Waffen- und Munitionslieferungen in der Ukraine gesorgt. Doch das reiche nicht. Die Militärhilfe müsse „feuerfest“ gemacht werden.

„Die Sicherheit der Ukraine ist unsere Sicherheit“, betonte Michel. Die EU brauche mehr Raketen, mehr Munition, mehr Luftverteidigung, sagte er offenbar in Sorge vor einem möglichen Rückzug der USA. Dazu müssten nicht nur aktuelle EU-Programme ausgebaut, sondern auch neue Strukturen geschaffen werden. So soll die EDA zum „European Defence Department“ ausgebaut werden, unter der Führung des EU-Außenbeauftragten.

Rekord bei EU-Rüstungsausgaben

Außerdem brauche es einen gemeinsamen Rüstungsmarkt und eine großzügigere Finanzierung von Rüstungsprojekten. Diese könne auch über „Europäische Verteidigungsanleihen“ erfolgen – also durch Neuverschuldung. Soll die EU am Ende vielleicht sogar Kriegsanleihen für die Ukraine begeben? So weit will Michel nicht gehen. Aber man brauche mehr Geld, um die „technologische Basis“ zu stärken. Daher rüttelt er auch am Schulden-Tabu.

Den Fokus auf die Ukraine legte von der Leyen. „Unsere Strategie kann nur vollständig sein, wenn sie auch die Bedürfnisse der Ukraine und ihre industriellen Kapazitäten berücksichtigt“, sagte sie. Die Ukraine sollte auch in die EU-Verteidigungsprogramme integriert werden, um den Anforderungen des Landes im Krieg gegen die russischen Invasionstruppen gerecht zu werden.

Der Krieg in Osteuropa hat zu einer rasanten Aufrüstung geführt. Die Militärausgaben der 27 EU-Staaten haben im vergangenen Jahr mit 240 Milliarden Euro eine Rekordhöhe erreicht. Im Vergleich zum Vorjahr seien die Ausgaben um sechs Prozent gestiegen, heißt es im Jahresbericht, den die EDA in Brüssel vorlegte. Deutschland erhöhte seine Verteidigungsausgaben demnach um 5,4 Prozent.

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1 Kommentar

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    06438 (Profil gelöscht)

    Quelle: ifo institut, ist unabhängig und stellt ihre Recherchearbeit den gesellschaftlichen Gruppierungen ohne Rücksicht auf deren politische Ausrichtung zur Verfügung.

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    Die meisten Nato-Staaten erhöhen ihre Verteidigungsausgaben im Schneckentempo. Die Mehrheit ist 2023 weit entfernt von dem Ziel, zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung dafür auszugeben. Nur 11 von 30 Staaten liegen darüber. „Die zwei Prozent werden in Europa fast ausschließlich an der östlichen Nato-Außengrenze erreicht. Der Westen fährt seine Verteidigungsausgaben trotz massiver Bedrohung in der Ukraine, Baltikum, Polen, Moldau, Balkan und neuerdings Finnland nur verhalten hoch.

    Die Bundesrepublik hat ihre Verteidungsausgaben lediglich um 0,1% auf 1,6% vom BIP erhöht.