Tagung in Bremen: Kolonialismus und Meer
Dekolonisation betrifft alle Gesellschaftsbereiche. Eine Tagung betrachtet die Rolle der Küstenregionen für den Kolonialismus und seine Überwindung.
Die unter den mehrheitlich weißen Gästen wenig bekannte UN-Dekade sei bereits Ende 2024 vorbei, sagte Nyari. Doch es gibt sie, ebenso wie Senatsbeschlüsse oder Absichtserklärungen. Aber Dekolonialisierung, also das Beenden der kolonialen Kontinuitäten, ist langwierig – mindestens das wurde beim taz Salon klar.
Auch dass das Thema viel mehr Platz in der Bildung braucht, bei der Ausbildung von Lehrkräften angefangen. Und dass die Spuren bis heute anhalten. Sprute sprach daher die Verantwortung der Konsument*innen an: „Früher waren sie als Kolonialware bekannt, heute heißen sie Bananen und liegen im Supermarkt.“
Das Thema freilich ist größer, als dass ein taz Salon es in anderthalb Stunden abhandeln könnte. Am Mittwochabend wurde, so richtig mit Festakt im Bremer Rathaus, das Symposium „Der Elefant im Raum“ eröffnet. Bis einschließlich Freitag untersuchen die Teilnehmenden die Spuren, die der Kolonialismus in Übersee hinterlassen, sowie die Folgen, die er im hiesigen Kultur- und Wirtschaftsraum gezeitigt hat. Zugleich fragen die Mitwirkenden nach Möglichkeiten, mit diesem schwierigen Erbe umzugehen.
Forschung setzt Einsicht in das Unrecht voraus
Alle Vorträge der Tagung werden per Zoom übertragen. Organisiert hat sie die an der Uni angesiedelte Bremer Arbeitsgruppe Kolonialgeschichte unter Leitung von Norman Aselmeyer zusammen mit dem aktivistischen Netzwerk „Dekolonisierung Nordwest“. „Das ist die Idee, diese beiden Bereiche in den Dialog zu bringen“, so Aselmeyer. Die Vorstellung, Geschichte in einem unpolitischen, gegenwartsfernen Raum erforschen zu können, hält er für „eine Illusion“.
Damit steht er nicht allein. Gerade die Forschung zu Kolonialismus setzt die Einsicht in das Unrecht dieser brutalen Strategie der Kapital-Akkumulation voraus. Sprich: Sie ist der Dekolonialisierung verpflichtet. Entsprechend hatte beispielsweise Mitte Oktober das Ostfriesische Landesmuseum in Emden zusammen mit dem Marinemuseum Wilhelmshaven ein ähnliches Symposium ausgerichtet – auf Initiative der örtlichen Aktivist*innen, wie Museumsdirektorin Jasmin Alley der taz erläutert hatte.
Und mit deren Beteiligung: „Es geht nicht zuletzt darum, Deutungshoheit abzugeben“, so Alley. „Ich möchte Menschen mit Rassismuserfahrung ansprechen, Menschen die sich als Schwarz oder als People of Color identifizieren.“
Das ist jetzt in Bremen nicht anders. Ein wenig erinnert die bewusste Aufhebung der Grenzen zwischen wissenschaftlicher und politischer Sphäre auch an den Gründergeist der Bremer Universität. Der war es, Anfang der 1970er, ein Anliegen, Forschung und Lehre jenseits des akademischen Elfenbeinturms zu betreiben – und sie mit den sozialen Bewegungen der eigenen Lebenswirklichkeit zu verbinden. „Wir wollen die Leute, die es betrifft, zu Wort kommen lassen und einbeziehen“, so Aselmeyer.
Schwierigkeit in Bremen: Die einschlägigen Initiativen und Vereine befinden sich in einer Art Umbruch, manche sind ganz verstummt, andere konzentrieren sich auf den Kampf um Namen und Schilder. Seit fast 50 Jahren wird in Bremen darum gerungen, dass keine Straße mehr den Namen Adolf Lüderitz’ trägt, der durch einen betrügerischen Deal die deutsche Landnahme in Namibia begonnen hatte. Warum es Bremen so schwer fällt, diese unangemessene Ehrung zu beseitigen, ist wahrscheinlich nur mit psychiatrischem Wissen zu klären.
Allerdings hat dieses politische Engagement keinen globalen Bezugsrahmen – anders als der juristisch-politische Kampf für Reparationen für Völkermorde und Vernichtungsaktionen. Davon berichten beim Bremer Symposium Jephta Nguherimo aus Kensington, der die OvaHerero People’s Memorial and Reconstruction Foundation gegründet hat, sowie Oswald Masebo aus Tansania: Der Geschichtsprofessor lehrt an der Uni Dar-es-Salaam. Sein Spezialgebiet ist die Kolonialgeschichte Ostafrikas.
Grundlegend sind seine Forschungen zum Maji-Maji-Krieg, den er als Völkermord bewertet wissen will: Schon allein die erdrückende Zahl von bis zu 300.000 Toten, von deutschen Truppen durch Gewehre, Bajonette und Hunger regelrecht beseitigt, legt diese Einstufung nahe. Nguherimo und Masebo sprechen am Freitag beim letzten Panel der Tagung.
Fischerei als Kolonialisierung der Ozeane
Gerade im Bereich der Dekolonisierungs-Forschung drängt sich dieser sphärenübergreifende Ansatz ebenso auf wie die geografische Fokussierung auf die Küstenregion und die Hafenstädte als unmittelbar involvierte Orte. Nicht nur als Ausgangspunkte.
So lassen sich die Stadtgründungen des 19. Jahrhunderts an der Jade – Wilhelmshaven – und an der Wesermündung ohne das koloniale Paradigma des 19. Jahrhunderts kaum richtig erfassen: Nach der „Colonie Bremerhaven“ fragen die Direktorin des dortigen Stadtarchivs, Julia Kahleyß, und der Leiter des stadthistorischen Museums Kai Kähler daher in einem Vortrag am Donnerstag.
Plastischer noch wird das Zusammenspiel von Regional- und Globalgeschichte aber im Vortrag von Ingo Heidbrink werden. Der Historiker, der an der Old Dominion University in Norfolk, Viriginia, lehrt, hat einen auf den ersten Blick exotischen Ansatz: Er untersucht die Fischereirechtsgeschichte, die sich als Kolonialisierung der Ozeane erweist.
Tatsächlich haben sich die damaligen Großmächte ab 1882 die bis dahin als frei geltenden Weltmeere sukzessive durch Verträge aufgeteilt, genau wie die Europäer zwei Jahre später auf der Kongo-Konferenz den Kontinent Afrika. Heidbrink widmet sich im Panel „Koloniale Verwicklungen“ am Donnerstagmittag der Fernfischerei, die er in seinem Vortrag als „vergessenen bremischen Kolonialismus“ beschreibt. Einen, der den Ersten Weltkrieg deutlich überdauert hat – und auch in der Gegenwart zu heftigen Konflikten führt.
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