Epidemiologe über Pandemie-Politik: „Zustand wie vor der Pandemie“

Trotz steigender Covid-Zahlen empfiehlt der Bremer Epidemiologe Hajo Zeeb keine Masken und Tests für alle, jedoch die Aufarbeitung der Pandemie-Politik.

Eine weg geworfene Maske auf einem Gehweg

Weg damit: Nur wenige tragen noch Maske Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

taz: Herr Zeeb, tragen Sie momentan Maske?

Hajo Zeeb: Nein, gar nicht.

Hatten Sie erwartet, dass das in diesem Winter mehr Leute tun würden?

Es sind etwas weniger, als ich gedacht hatte. Als ich das letzte Mal Bahn gefahren bin, waren es vielleicht 10 Prozent. In anderen Situationen wundere ich mich hingegen, wenn jemand etwa draußen eine Maske nutzt. Aber es kann jetzt halt jeder selbst entscheiden.

Aber ohne klare Kriterien. Damit sind wir an demselben Punkt wie vor der Pandemie, oder?

Das würde ich nicht ganz so sagen. Wir haben den klaren Anhaltspunkt, dass wir jetzt eine typische jahreszeitliche Infektionslage haben, vermutlich aufgrund der Jahre des intensiven Schutzes stärker als sonst, aber trotzdem ein normales Geschehen. Etwa ein Viertel der Atemwegserkrankungen gehen auf Covid zurück, aber selbst wenn man das jetzt bekommt, sagen viele richtigerweise, „okay, es ist nicht mehr so schlimm, aufgrund von Impfungen und durchgemachten Infektionen bin ich vor schwerer Erkrankung geschützt“. Und da ist es eben dem oder der Einzelnen überlassen, sich oder andere aktiv zu schützen.

Manche setzen sich hustend mit einem positiven Test ohne Maske in die Bahn. Ich frage mich, ob sie anders entscheiden würden, wenn es in der Pandemie eine klarere Kommunikation gegeben hätte, nicht so ein Hin und Her, von dem alle verwirrt und genervt waren am Ende.

Wir haben jetzt den Zustand wie vor der Pandemie, da gab es ja auch schon hoch infektiöse Atemwegserkrankungen wie die Grippe und niemand hat hier in Deutschland eine Maske getragen. Aber ja, darüber müssen wir jetzt nachdenken, ob man klarere Botschaften aussenden sollte, ganz unabhängig von Corona.

60, ist Professor für Epidemiologie an der Universität Bremen und leitet die Abteilung Prävention und Evaluation am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS).

Ich weiß nicht, welche Botschaft ausgesendet werden müsste, damit ich begreife, dass es eine wirklich wieder gefährliche Mutation gibt oder gar ein neues bedrohliches Virus – oder dass besorgniserregend viele Menschen krank sind.

Das ist tatsächlich eine unglückliche Situation. Wir waren die ganze Zeit hypernervös, wenn es Meldungen gab über die ersten 30 Fälle einer neuen Mutation aus Asien, aber die erreichen jetzt nicht mehr den Mainstream der Medien-Kommunikation. Wir haben ja die ganze Zeit versucht zu vermitteln, dass Viren dauernd mutieren, diese Erkenntnis scheint sich durchgesetzt zu haben.

Aber wie würden Sie da noch klarmachen können, wenn es kein business as usual wäre?

Dann müssten wir wohl wieder konzertiert mit allen Möglichkeiten der Kommunikation klarmachen, dass es eine andere, bedrohlichere Situation ist.

Konzertiert? Haben Sie Vertrauen, das wir in dieser Hinsicht besser aufgestellt sind als vor der Pandemie?

Besser bestimmt …

Aber? Sie antworten sehr zögerlich.

Das liegt daran, dass ich viel gelernt habe über die Heterogenität des ganzen Kommunikationssektors. Mein Vertrauen war vor der Pandemie größer, dass das System bei einer besonderen Notlage reibungslos funktioniert, also nicht nur bezogen auf die Kommunikation, sondern grundsätzlich. Und es hat im großen Stil funktioniert, aber nicht reibungslos. Derzeit wüsste ich nicht, woran ich festmachen sollte, dass es beim nächsten Mal besser wird.

Es gibt immer wieder Politiker wie zuletzt den thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, aber auch Medien, die Lehren aus der Pandemie ziehen wollen. Aber ich sehe nicht, dass das tatsächlich passiert. Sie?

Wir wollen das in Bremen jetzt machen, uns zusammensetzen mit Wissenschaftler:innen, Gesundheitsamt, Politik und uns dabei auch anschauen, wie wir kommuniziert haben, um eben beim nächsten Mal besser reagieren zu können. Wir leben im pandemischen Zeitalter, solche und andere Krisen werden uns schon noch mal treffen. Ganz vorne auf der Agenda steht der Klimawandel und seine Auswirkungen auf Gesundheit, das ist eine mindestens so große Herausforderung wie Corona.

Sie sollten auch Me­di­en­ver­tre­te­r:in­nen einladen.

Absolut, ja.

„Ich würde Tests machen, wenn ich weiß, dass ich jemanden aus einer Risikogruppe besuche – und auch nur bei Erkältungssymptomen“

Gibt es außer der Krisenkommunikation noch etwas, was man aus Ihrer Sicht besonders in den Blick nehmen sollte?

Es gibt ein paar Dinge, die jetzt ganz gut laufen wie die Warnsysteme, Bremen nimmt ja auch am Abwasser-Monitoring teil und der Informationsaustausch ist ein bisschen besser geworden. Der Digitalisierungsschub ist da, aber ausbaufähig. Und man muss drauf achten, dass wir flexible Strukturen aufrechterhalten, die man sofort nutzen kann.

Sie wurden mit der Aussage zitiert, es sei sinnvoll, sich bei Symptomen zu testen.

Ich würde die Tests machen, wenn ich weiß, dass ich jemanden aus einer Risikogruppe besuche – und auch nur bei Erkältungssymptomen. Ohne Symptome sind die Tests nicht zuverlässig genug.

Wenn man Kinder hat, käme man momentan nicht aus dem Testen raus.

Tatsächlich hat derzeit durchschnittlich jedes vierte Kind eine Atemwegsinfektion, jedes vierte davon Corona. Da kann man nicht die ganze Zeit testen, das wäre zu aufwändig und zu teuer.

Würden Sie ein fittes Kindergartenkind mit Rotznase und positivem Coronatest zu Hause lassen? Wenn ich davon ausgehen muss, dass es sich im Kindergarten angesteckt hat und andere mit Corona weiter die Gruppe besuchen?

Schwierige Entscheidung. Ich weiß es nicht.

Wer nicht testet, muss solche Entscheidungen nicht treffen.

Das ist wohl so, ja.

Journalisten bitten Sie regelmäßig einen Blick in die Glaskugel zu werfen: „Wie schlimm wird dieser Winter?“ Haben Sie Sorge, dass Sie Entwarnung geben, eine Woche später kommt die böse Überraschung und niemand schützt sich?

Klar, aber ich treffe meine Aussagen ja aufgrund der Beobachtung von Daten zum Infektionsgeschehen, die haben eine Weile Bestand. Und es wäre auch nicht gut, wenn wir versuchen würden, jede Infektion zu verhindern. Das macht einfach keinen Sinn. Wir leben in einem Meer von Viren und Bakterien und wir brauchen die Auseinandersetzung mit ihnen, sonst sind wir anfälliger für schwere Verläufe, weil das Immunsystem nicht trainiert ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.