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Wahlsieg von Geert WildersDer Druck wächst

Kommentar von Tobias Müller

Die rechtspopulistische PVV hat die Wahlen in den Niederlanden gewonnen. Es ist das Resultat einer jahrelangen rechten Diskursverschiebung im Land.

Sieht von Weitem sogar aus wie Trump: Geert Wilders am Wahlabend in Scheveningen Foto: Remko de Waal/imago

I n der Stunde seines größten Triumphs kündigte Geert Wilders an, die Nie­der­län­de­r*in­nen würden künftig „wieder an erster Stelle“ stehen. Unweigerlich musste man an Donald Trump denken, dessen Wahl unter Europas identitären Parteien einst für einen „patriotischen Frühling“ sorgen sollte. 2017 war das, und Wilders’ damals anvisierter Wahlsieg war als Auftakt gedacht. Er fiel aus, Mark Rutte und seine VVD blieben an der Macht, und manche liberalen Medien fühlten das Ende der populistischen Welle nahen.

Am Tag der übernächsten Parlamentswahlen, sechseinhalb Jahre später, prophezeite ein befreundeter Kolumnist, die Niederlande würden an diesem 22. November ihren „Trump-Moment“ erleben. Dass Wilders’ PVV den Wind im Rücken hat, zeichnete sich in den Tagen zuvor ab. Dass der besagte Moment als derartige Dampfwalze durch das politische Den Haag rollen würde, nicht.

Der aus PVV-Sicht perfekte Sturm fiel jedoch nicht vom Himmel. Er ist das Ergebnis einer inhaltlichen und rhetorischen Verschiebung, der die Partei seit Jahren den Weg bereitet hat. Wenn heute achtzig Prozent der Teilnehmenden einer Umfrage weniger Asyl­be­wer­be­r*in­nen im Land wollen und „Glückssucher“ eine weit verbreitete abschätzige Bezeichnung für Geflüchtete ist, geht das auf die jahrelange Agitation der PVV zurück.

Tiraden gegen „Den Haag“ und „Brüssel“ sind auch Standard-Programm anderer rechter Parteien, die in den vergangenen Jahren ins Parlament einzogen. Sie folgen dem Wilders’schen Muster – genau wie die Aufforderung zum „Widerstand“ gegen die Regierung, die er ab der Flüchtlingskrise 2015 verstärkt durchs Land posaunte. Die Parole „eigen volk eerst“, für die man zu Beginn des Jahrtausends noch sozial geächtet wurde, ist heute längst salonfähig. Die PVV hat nun das Feld geerntet, was sie selbst bestellt hat.

Dominante Position

Wilders, diese Nuance muss sein, wurde mit Sicherheit von vielen Menschen gewählt, die über kein geschlossen rechtsextremes Weltbild verfügen. Und genauso sicher von vielen, die, gefragt nach ihrer Wahlentscheidung, mit größter Selbstverständlichkeit sagen, dass sie wegen der vielen Mi­gran­t*in­nen zu wenig Geld im Portemonnaie und ihre Enkel keine Chance auf eine eigene Wohnung hätten.

Dieser Diskurs ist in den Niederlanden vorläufig in einer dominanten Position, genauso wie eine programmatische Geringschätzung für Gender- und Klimapolitik, eine aggressive Abkehr gegenüber Europa oder regelmäßige Attacken auf alles, was in PVV-Kreisen mit dem diffusen Label „woke“ bedacht wird. Ob Wilders nun in der Regierung landet oder nicht: Der Druck auf diese Gesellschaft wird immens zunehmen. Und wie einst Trumps Wahlsieg dürfte nun der von Wilders im identitären Europa die Ambitionen beflügeln.

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19 Kommentare

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  • Ich frage mich, wann unsere "wehrhafte Demokratie" endlich mit dem "wehren" beginnt: Also rechtsextremistische Parteien SOFORT verbieten und rechtssicher erkannte Faschisten verhaften, bevor sie ihren gefährlichen Unsinn per Wahlen auch noch multiplizieren können.

  • Ich halte die Stimmung hier in den Kommentaren für übertrieben.

    Wenn das was heutige Rechtspopulisten gesellschaftlich anstreben Faschismus pur ist, dann waren die DDR und die Bundesrepublik bis 1999 (ja auch unter Brandt/Schmidt) faschistische Staaten.

    Ja die Gefahr eines steten Rutschens noch weiter nach Rechts ist durch die Offenheit dieser Parteien für Rechtsextreme sehr real ABER es ist ja nicht der Wunsch nach einem totalitärem Polizeistaat, der den Großteil deren Wähler antreibt. Diese wollen "einfach" eine restriktive Zuwanderungspolitik und weniger identitätspolitische Zumutungen im Alltag...1990 ist das Vorbild und nicht 1940. Aus deren Sicht wurde der Diskurs in den letzten 30 Jahren nach links verschoben.

    • @Chris McZott:

      Die alte rechte Legende, dass der heutige rechte Rand so wäre, wie früher die Konservativen oder gar Linken wird auch durch ständige Wiederholung nicht wahr.



      NIEMALS waren in D Konservative gegen Europa.

      Und unter Helmut Kohl plakatierte die CDU 1984 "mit uns für offene Grenzen in Europa".

      www.kas.de/documen....1&t=1681398693518

      Was wohl eher nicht den Vorstellungen des heutigen rechten Randes entspricht.

      Achja, ein Wahlplakat der CDU zu den Europawahlen

      • @Kaboom:

        Ja, diese EU-Ablehung ist der einzige Unterschied zwischen den heutigen Rechtspopulisten und der Realen Politik bis 1999.



        Das liegt aber auch dran, dass die meisten Politiker es jahrelang geschafft haben positive Auswirkungen (für den Bürger) dem Nationalstaat zu zu schrieben und alles Negativ (für den Bürger) der EU in die Schuhe schieben ("wir müssen es ja machen weil Brüssel es will").

      • @Kaboom:

        Meinte die CDU damit wirklich Offenheit für millionenfache Einwanderung nach Deutschland oder doch nur die Möglichkeit für Bundesbürger ihre Verwandten zu besuchen, unkomplizierter in den Urlaub zu fahren, oder vielleicht war die konservative Motivation für "Europa" doch nur, Gott behüte!, handelspolitische Interessen des Großkapitals (siehe das Plakatmotiv)? Die Linken haben ja immer an der EU kritisiert dass diese im Grunde ein neoliberales Wirtschaftsprojekt sei.

        Für die Rückkehr der türkischen Gastarbeiter war Kohl in den 80er sehr wohl. Helmuth Schmidts Warnung vor "Mord und Totschlag" bei zu hohem Einwandereranteil, ist ja bekannt. Und wie sich die CDU noch in den 1990er beim Asylkompromiss oder der Änderung des Staatsbürgerrechtes durch Rot-Grün positioniert hat, wissen Sie doch bestimmt auch...

      • @Kaboom:

        Das ist aber so ziemlich der einzige ernsthafte Unterschied. Äußerungen eines SPD-Kanzlers Schmidt z. B. zum Thema Migration, auch im TV, würden heute wahrscheinlich zu einem Abbruch der Sendung führen.

  • Wenn man dieses traurige Wahlergebnis als das Ergebnis einer Diskursverschiebung wertet, dann macht man es sich zu einfach. Dieses Votum wurde ja nicht einfach herbeiredet. Es ist das Ergebnis nicht gelöster Probleme, und die heißen (im Moment) nicht Klima- oder Sozialpolitik.

  • 8G
    81283 (Profil gelöscht)

    es gibt nur eins. die linke muss wieder auf die strasse und sichtbar werden. weg vom 200.000 tweet über thema x.

    wir müssen genau den druck machen, den rechts macht ...

    das ist so einfach wie plausibel.

  • Den Hauptgrund für die Flucht vieler Wähler zu rechten Propagandisten sehe ich in der Tatsache, dass sich die eigentlich demokratischen Parteikadidaten nicht zusammentun und einheitlich gegen die Klimakatastrophe und Probleme ihrer Sozialhaushalte kümmern, sondern sich gegenseitig -verharmlosend- belauern und viel zu populistische Abgrenzungen vornehmen, mur um gewählt zu werden. Das merken die Wähler, wenn Kandidaten unglaubwürdig werden und damit der Demokratie, in der auch Probleme gemeinsam gelöst werden müssen, schaden. So gesehen sind auch Merz, Spahn Lindner und ein sich versteckender, vor problemtischen Aussagen drückender Olaf Scholz unglaubwürdige Steigbügelhalter, die nur die unbequemen Grünen raushalten wollen.

  • "Der Druck auf diese Gesellschaft wird immens zunehmen." Auf welche? "Die Gesellschafft" hat Wilders doch gerade gewählt und wird eher Erleichterung verspüren. Vielleicht sollte die Linke einfach mal die woken Nebenschauplätze verlassen und den Menschen soziale und pragmatische Politik anbieten.

  • Die jahrelange rechte Diskursverschiebung ist ein Symptom, aber keine Ursache. Was aber ist der Grund für diese Verschiebung? Ich vermute, dass ignorieren von Ängsten und Wünschen von einem überwiegenden Teil der Bevölkerung ein Grund ist.

    • @Stoffel:

      Nö. Der Abstand zum letzten "Wirken" der extremen Rechten ist inzwischen so groß, dass die meisten sich daran nicht mehr erinnern. Und die Anzahl der Überlebenden des Holocaust ist inzwischen zu gering, als dass ihre Besuche an Schulen keine relevante Wirkung haben.

    • @Stoffel:

      Sehe ich genau so.

  • Der Grund sei eine "rechte Diskursverschiebung". Das ist so wunderschön im Passiv ausgedrückt, als könnte man, oder konkret die Linke und bürgerliche Mitte, nichts dagegen unternehmen. So, wie die Plattentektonik, verschiebt sich halt immer mal was.

    Und dann war genau diese "nicht-Rechte", will ich sie mal zusammenfassend nennen, jahre- und teilweise jahrzehntelang in der Regierungsverantwortung, hat alle Ämter besetzen können und auch die bürgerlichen Beiräte und Medien(-kontroll-)strukturen. Und dennoch steht sie scheinbar machtlos dieser ominösen "Diskursverschiebung" gegenüber.

    Ist schon seltsam...

    Ist es denn vielleicht auch möglich, dass wenn man schon von den eigenen Politikern ausgenommen wird wie eine Weihnachtsgans und stets aufs neue der Eindruck zurückbleibt, dass neues Geld nur zu Geld hinströmt, man es auch einfach mal mit den Rechten probieren kann?

  • Was erwartet man von den Menschen. Auch wir hören "Doppelwumms" und "Sondervermögen" ohne dass es erklärt oder gar verstanden wird. Die Propagandamedien, allen voran telegram, liefern absurde Theorien und Verleumdungen, also läuft der Wähler dem lautesten Schreier nach. Und das sind die extremen Rechten.

  • Pressevorschau ?

    "Die rechtspopulistische AFD (PVV) hat die Wahlen in Deutschland (den Niederlanden) gewonnen. Es ist das Resultat einer jahrelangen rechten Diskursverschiebung im Land."

    Fast alle relevanten deutschen Parteien einschließlich der noch zu gründenden Partei der Sahra W. tragen schon heute zur rechten Diskursverschiebung bei.....

    • @Bürger L.:

      So siehts aus.

      Aber hey, wir haben sooo lange versucht, die Faschisten zu verstehen und sie einzubinden und ihnen den dEMoKrAtiSchEn diSkURs nicht zu verweigern.



      Wieso funktioniert das nicht?



      Vor 100 Jahren hat es doch auch super funktioniert, den Rechten zuzuhören. Oder etwa nicht?

  • Noch gestern las ich einen Artikel der der neuen Partei von Omtzigt vorne sah, alles beruhend auf Umfragen....



    wenn das kein Warnschuß ist, anscheinend geben viele Menschen ihre wahren Entscheidungen in Umfragen nicht kund, gerade wenn es um eine geächtete Partei geht. Der Frust scheint aber so groß zu sein, dass es für solch ein Ergebnis reicht...



    Wenn das man kein Omen für D ist, der Frust ist hier evtl auch größer, als die Umfragen aussagen...



    Letztlich ist es aber nicht die Folge einer Diskursverschiebung nach rechts, vielmehr ist die Neoliberalisierung der Gesellschaft der Grund für die Diskursverschiebung, die eigene unsicherheit pardon Flexibilisierung wird eben auf Sündenböcke geschoben. Auf diesem Misthaufen gedeihen dann Wucherblumen wie Wilders, oder die affde.

    • @nutzer:

      "Noch gestern las ich einen Artikel der der neuen Partei von Omtzigt vorne sah, alles beruhend auf Umfragen...."

      Und jetzt sieht es so aus, als ob Omzigt und VVD, um eine linksgrün geführte Regierung zu verhindern, mit Wilders gemeinsame Sache machen.

      Also das, was nach gegenwärtigem Stand in mindestens einem deutschen Bundesland in einem Jahr passieren wird.



      Nur dass wir es dort nicht mit einem liberalen Bürgerfascho zu tun haben, sondern mit einem Menschen mit "gschlossen rechtsextremistischem" Weltbild, dessen Ziel die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und die Überwindung des "deutschen Schuldkults" ist.