Sinti-Vereinsvorsitzender über Mahnmal: „Ein Wegweiser in die Zukunft“
Der Sinti-Verein Hamburg hat auf dem Friedhof am Diebsteich in Hamburg-Bahrenfeld ein Mahnmal errichtet. Am Sonntag wird es feierlich eingeweiht.
taz: Herr Rosenberg, warum ist der Friedhof Diebsteich im Hamburger Westen ein geeigneter Platz für das Mahnmal?
Christian Rosenberg: Hier ist einfach sehr viel Unrecht verübt worden. Einerseits wurden zu Zeiten des Nationalsozialismus von hier aus besonders viele Sinti und Roma deportiert. Andererseits wurden auf dem Friedhof Diebsteich auch viele Sinti und Roma begraben, die damals in Hamburg zwangsgebunden waren.
Was bedeutet zwangsgebunden?
Sie durften die Stadt nicht verlassen und mussten hier Zwangsarbeit verrichten. Aber sie haben überlebt.
Was bedeutet der Friedhof Diebsteich für Sie heute?
Auf dem Friedhof Diebsteich werden auch heute die meisten Sinti und Roma in Hamburg beigesetzt. Das hat damit zu tun, dass man dort Gruften bauen darf. In unserer Kultur ist das ein wichtiger Teil der Bestattung. Außerdem ist der Friedhof zentral gelegen und gut erreichbar. In der Vergangenheit war er immer wieder ein Ort der Gespräche, Fragen und tiefer Emotionen. Vielen Menschen wissen einfach sehr wenig zum Thema und sind aber interessiert.
Woran soll das Mahnmal für Sinti und Roma erinnern?
52, ist Vorsitzender des Sinti-Vereins zur Förderung von Kindern und Jugendlichen e. V. sowie Gründungsmitglied der Bundesvereinigung der Sinti und Roma. Er wurde 2022 mit dem Kultur- und Ehrenpreis der Sinti und Roma für besondere Verdienste im Bereich Bildung und Bürgerrechte ausgezeichnet.
Natürlich soll es generell an das Unrecht des Nationalsozialismus erinnern. Die ermordeten Sinti und Roma und alle Opfer des Holocaust. Die Toten dürfen nicht vergessen werden. Aber viele der hier Beigesetzen haben den Holocaust überlebt und verkörpern mit ihrem unglaublichen Lebenswillen ein Zeichen dafür, dass es sich immer lohnt, die dunkelsten Zeiten und tiefsten Höllen durchzustehen. Sie sind eine Stimme der Hoffnung, die wir am Leben erhalten wollen.
Warum brauchen wir so eine Stimme der Hoffnung insbesondere in der Gegenwart?
Die Krisen und Kriege der heutigen Tage lassen einen leicht verzweifeln, das ist verständlich. Doch diese Menschen haben gezeigt, es gibt immer einen Grund weiterzumachen. Sie haben Familien gegründet und so die Zukunft gestaltet und an sie geglaubt. Davon können die Menschen heute nur lernen.
… und das neue Mahnmal soll so ein Ort der Zukunft sein?
Feierliche Einweihung des Mahnmals für Sinti und Roma, Eröffnungsrede von Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher, So, 26. 11., 11 Uhr, Friedhof Diebsteich, Am Diebsteich 4, Hamburg
Ja, denn durch Nöte kommen Menschen oft zusammen. Das Mahnmal soll kein Ort sein, an dem einem die erinnerungskulturelle Rute der Schuld übergehauen wird. Niemand kann die Vergangenheit ändern oder wieder gut machen. Aber wir haben eine Verpflichtung, die Vergangenheit anzuerkennen und das für die Zukunft zu nutzen. Alle Menschen sind von dieser schrecklichen Vergangenheit traumatisiert, auch die Mehrheitsgesellschaft.
Traumata zu bearbeiten ist schwierig. Wie kann das aus Ihrer Sicht gelingen?
Wir müssen miteinander ins Gespräch kommen, uns über die Vergangenheit versöhnen und gemeinsam Verantwortung für die Zukunft übernehmen. Über jegliche Diskriminierung darf nicht mehr geschwiegen werden, von niemandem. Das Mahnmal ist zwar eine Erinnerung an die Vergangenheit, aber auch ein Wegweiser in die Zukunft. Es ist ein symbolischer Ort als auch realer Ort für Begegnung. Sowohl im Alltag als auch bei Veranstaltungen. Außerdem hat er eine ganz besondere Aura.
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