piwik no script img

Energiewende-Projekte auf der KippeDer Norden bangt

Viele Förderungen für lokale Projekte der Energiewende stehen seit dem Haushaltsurteil auf der Kippe. Welche Projekte im Norden sind gefährdet?

Muss dringend grüner werden: Stahlwerk von Arcelor Mittal in Bremen Foto: Sina Schuldt/dpa

Hamburg/Bremen/Hannover/Kiel taz | Dass sich Mi­nis­te­r:in­nen aller Parteifarben aus den Ländern und ihr Bundeskollege einig sind, kommt nicht häufig vor. Doch nachdem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Montag mit den Wirtschafts- und En­er­gie­mi­nis­te­r:in­nen der Länder zusammenkam, um über die Auswirkungen des Karlsruher Haushaltsurteils zu sprechen, herrschte ausnahmsweise Eintracht: „Alle Projekte, die wir konzipiert haben, müssen möglich gemacht werden“, sagte Habeck und gab damit auch die Meinung seiner Länder-Kolleg:innen wieder. Allein: Viel mehr als ein Appell an die Ampel-Koalition im Bund war es nicht.

Und so ist auch im Norden den Mi­nis­te­r:in­nen und Se­na­to­r:in­nen klar, dass hinter vielen Projekten, die durch den Bund gefördert werden sollen, weiterhin größere und kleinere Fragezeichen stehen. Schließlich dürfte es nicht ganz einfach werden, die seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlenden 60 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfond (KTF) aufzutreiben.

Mit dem KTF werden mehrere Ziele verfolgt: Gefördert werden soll damit die energetische Gebäudesanierung, die Dekarbonisierung der Industrie sowie der Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Elektromobilität und der Ladeinfrastruktur. Jetzt stehen einige ursprünglich geplanten Subventionen auf der Kippe, die ortsunabhängig bereitgestellt werden sollten: So etwa die Förderung für E-Auto-Besitzer:innen bei der Anschaffung von Ladestationen, Photovoltaikanlagen und Speicher.

Große Sorgen haben auch die Länder im Norden, vor allem wegen einzelner lokaler Projekte. Welche anvisierten Projekte sollen wie versprochen gefördert werden? Welche müssen angesichts geringerer Förderung kleiner ausfallen? Und welche fallen aus der Liste, falls die Ampel-Regierung die fehlenden Milliarden nicht auftreibt?

Schleswig-Holstein rechnet weiter mit Batterie-Fabrik

In der Nähe von Heide rollen die Baufahrzeuge: Auf der 110-Hektar großen Fläche will das schwedische Unternehmen Northvolt eine Giga-Fabrik für Autobatterien errichten. Die Region im Kreis Dithmarschen produziere die sauberste Energie in Deutschland im Überfluss, lobt das Unternehmen auf seiner Homepage. Zudem wird das sandige Feld im Beinahe-Nirgendwo staatlicherseits hübsch vergoldet: 137 Millionen Euro will Schleswig-Holstein beisteuern, das Bundeswirtschaftsministerium 109 Millionen. Hinzu kommt eine staatliche Anleihe von 600 Millionen Euro.

So zumindest war der Plan bislang. Doch dann kam das Karlsruher Urteil, das auch die North­volt-Ansiedlung betreffen könnte. Denn sowohl in Kiel als auch in Berlin sollten die Fördermittel für die Fabrik, die 3.000 Menschen Arbeit bieten soll, aus Krediten stammen, die für andere Zwecke aufgenommen wurden. So wollte die schwarz-grüne Regierung in Schleswig-Holstein das Geld für Northvolt aus einem Ukraine-Sondertopf nehmen.

Wenn diese Regierungs­-konstellation bleibt, werden die mit Sicherheit eine Lösung finden

Kristina Vogt (Linke), Wirtschaftssenatorin Bremen

In Kiel beschloss das Parlament bereits vergangene Woche, für das laufende und das kommende Jahr Haushaltsnotlagen zu beschließen. „Das Land hat seine Hausaufgaben gemacht. Ich erwartete nun, dass der Bund das ebenso macht“, sagte Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) vor dem Bund-Länder-Treffen.

Nach den Beratungen am Montag freute sich sein für Umwelt und Energiewende zuständiger Kabinettskollege Tobias Goldschmidt (Grüne): „Wichtig ist die klare Aussage, dass alle Projekte, die bereits Bewilligungen erhalten haben, auch finanziert werden können.“ Robert Habeck hatte nach dem Treffen gesagt, dass er an der Förderung der Großprojekte festhalten wolle: Projekte, zu denen neben Northvolt auch eine Intel-Fabrik in Magdeburg und eine Chiphersteller-Fabrik bei Dresden gehören, beträfen den wirtschaftlichen Kern Deutschlands.

Weil der Kieler Landtag die Notlage festgestellt hat, kann Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) weitere Investitionen, etwa in Krankenhäuser oder für Schulen, über Sonderkredite zahlen. Mittel, die nicht abgerufen werden, will Heinold zum Schuldenabbau nutzen.

Bekommt Hamburg seinen Elektrolyseur?

Der Hamburger Senat listet 36 Projekte auf, die betroffen sein könnten. Die Linkspartei spricht deshalb schon von einer „Liste des Horrors“. Projekte mit einem Fördervolumen von mehr als einer Milliarde Euro sind in Gefahr. Das prestigeträchtigste Projekt ist dabei der Großelek­trolyseur für grünen Wasserstoff im Hafen: Für das Leuchtturm-Projekt der Hamburger Energiewende war bislang mit einer Förderung von rund 106 Millionen Euro gerechnet worden.

Die Anlage soll aus überschüssigem grünem Strom Wasserstoff herstellen und damit Energie speichern. Für Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) ist die Anlage Teil des Ziels, Hamburg zum führenden Standort der Wasserstoffwirtschaft in Europa zu machen.

Nach dem Bund-Länder-Treffen am Montag versuchten Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) und Energiesenator Jens Kerstan (Grüne) für Ruhe bei den betroffenen Unternehmen zu sorgen: „Es ist mir ein Anliegen, dass Unternehmen sich auch künftig darauf verlassen können, dass eingegangene Zusagen gehalten werden“, sagte Leonhard. Und Kerstan zeigte sich optimistisch, dass dennoch bald Förderbescheide ausgestellt werden können. „Ich gehe davon aus, dass die innovativen Großprojekte wie der Ausbau der Wasserstoffwirtschaft in Hamburg gelingen werden.“

Auf der Kippe stehen auch zwei weitere Förderungen im höheren zweistelligen Millionenbereich: So plant der Hamburger Flughafen einen Umbau für Wasserstoff-Nutzung, bereits ab 2025 sollen die ersten Flugzeuge in Hamburg abheben können, die ausschließlich mit Wasserstoff betrieben werden. Dafür war mit einer 43 Millionen Euro-Förderung gerechnet worden. Auch sollte eigentlich noch 74 Millionen Euro für Landstromanlagen für Containerschiffe im Hafen bereitgestellt werden.

Neben diesen größeren Wirtschaftshilfen wackeln auch eine Reihe kleinerer Förderprojekte: Die energetische Sanierung der Hamburger Bezirksämter, der Neubau eines Lehrschwimmbeckens im Bezirk Wandsbek, und für die Kinder- und Jugendarbeit im Bezirk Eimsbüttel war fest mit der Generalsanierung eines Spielhauses gerechnet worden.

Niedersachsens Groß­projekte scheinen gesichert

LNG-Terminals und grüner Wasserstoff sind die beiden großen Themen in Niedersachsen, von Rot-Grün zum „Energiewendeland Nummer eins“ ausgerufen. Kaum ein Monat verging in den letzten zwei Jahren, ohne dass irgendwo Förderbescheide überreicht oder Spatenstiche vollzogen wurden.

Ein nicht unwesentlicher Teil dieser Projekte hängt am Tropf des KTF. Für immerhin zwei Großprojekte kam die Entwarnung ziemlich prompt: Salcos, die Umstellung des Stahlwerks in Salzgitter auf CO2-arme Produktion, soll nicht gefährdet sein – zumindest für die Anschubfinanzierung wurde der Förderbescheid längst überreicht. Und auch der „Anleger für verflüssigte Gase“ in Wilhelmshaven hat seit letzter Woche eine Zusage des Haushaltsausschusses des Bundestages – trotz schwieriger Gesamtlage. 600 Millionen Euro sollen in den Ausbau des Hafens fließen, daran hängen private Investitionen von TES und Uniper.

Weitere Großprojekte stemmen die Energiekonzerne RWE – mit einem ganzen Elektrolyseur-Park in Lingen – und EWE – mit der „Clean Hydrogen Coastline“ in Emden, Bremen und an weiteren Standorten. Letzteres ist ein Projekt zu Erzeugung, Transport und Speicherung von grünem Wasserstoff.Auch für sie gilt seit Montag die Ansage: Alle geplanten Projekte sollen realisiert werden – auch wenn die Finanzierung noch lange nicht geklärt ist.

Noch sehr viel unklarer ist, was aus den Fördertöpfen für die energetische Sanierung und den Umstieg auf nicht-fossile Heizungen passiert. Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) mahnte jedenfalls schon einmal, die Unterstützung der Bür­ge­r:in­nen bei der Wärmewende und der Kommunen bei der Wärmeplanung nicht zu vergessen.

Bremen sorgt sich um Forschung und Naturschutz

Das Wasserstoff-Programm „Clean Hydrogen Coastline“ betrifft auch Bremen. Hier können noch drei weitere Großprojekte aufatmen. „Für die politischen Unwägbarkeiten in Berlin kann ich jetzt nicht garantieren, aber wenn diese Regierungskonstellation bleibt, werden die mit Sicherheit eine Lösung finden“, sagte Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) nach dem Treffen am Montag.

Da ist einmal das Stahlwerk von Arcelor Mittal – bislang erzeugt es etwa die Hälfte aller CO2-Emissionen im Land. Doch eine Dekarbonisierung der Stahlproduktion soll hier künftig grünen Stahl ermöglichen. Ab 2026 soll Eisenschwamm in einer Direktreduktionsanlage gewonnen werden, die zunächst mit Erdgas betrieben wird, später mit Wasserstoff. Deswegen ist Arcelor Mittal so abhängig von der Wasserstoffproduktion in Norddeutschland, ebenso vom Anschluss Bremens ans Wasserstoffnetz.

Bremen soll im Zuge des Projekts „Hyperlink“ ans Wasserstoffnetz angeschlossen werden. Auch hierfür gibt es das zugesagte Geld, sagte Habeck laut Vogt am Montag. Das vierte Projekt ist das Vorhaben von Airbus, ein klimaneutrales Flugzeug zu entwickeln. Das Forschungsprojekt will dafür flüssigen Wasserstoff nutzen.

Etwas über 300 Millionen Euro sind in Bremen für die vier Projekte eingeplant, sagt Vogt, das meiste geht fürs Stahlwerk drauf. Bremens Beteiligung liegt bei 30 Prozent, etwas über eine Milliarde Euro soll entsprechend vom Bund kommen.

Trotz der Zusage ist Vogt in Sorge: dass die Regierung sich nur auf den KTF konzentriere und dafür „alle anderen Sachen platt macht“. Passiert sei das schon im Bereich Forschung. „Es ist schon gekürzt worden, für den KTF.“ Die meisten Leute verkürzten das Thema derzeit. „Das ist durchaus komplex.Ich befürchte, dass es im Haushalt des Bundeswirtschaftsministers zu Umschichtungen kommt.“

Auch eine weitere Bremer Senatorin sorgt sich: Kathrin Moosdorf (Grüne), zuständig für Umwelt, Klima, Wissenschaft und Energie. Von der aktuellen Situation betroffen seien derzeit alle Förderrichtlinien, die auf dem „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ beruhen. „Das sind insgesamt vier Milliarden Euro, die im KTF angesiedelt sind und mit denen wichtige Projekte zum Klimaschutz finanziert werden sollen“, schreibt Ressortsprecherin Ramona Schlee.

Ein bereits eingereichtes Projekt mit einer beantragten Fördersumme von 4,8 Millionen Euro werde wohl nicht bearbeitet. Auch „Naturschutz, Landschaftsschutz, Bodenschutz und Vertragsnaturschutz könnten nicht weiterentwickelt werden“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Nicht schlimm! Zur Wasserstoffproduktion soll ja nur Strom aus CO2-freien Quellen verwendet werden. In Deutschland laufen Winterhalbjahr ganztägig Kohle- und Gaskraftwerke. Im Sommerhalbjahr gibt es verfügbare Zeiten am Mittag und am Wochenende, wenn die Industrie ruht. Über das Jahr gerechnet sind es vielleicht 2 Stunden am Tag. Ein weiterer Ausbau der Solarenergie wird nachts nicht mehr Strom liefern. Die CO2-freien Betriebszeiten im deutschen Energiekonzept sind über Jahrzehnte begrenzt.

    Elektrolyseure enthalten knappe und teure Materialien. Die Baukosten sind vom Standort weitgehend unabhängig. Also entscheiden die Betriebsstunden und Strompreise über die Wirtschaftlichkeit. Überlegen Standorte sind sämtliche Staaten, die geografisch bedingt mehr Sonnen-, Wind oder Wasserkraft nutzen können. Italien, Spanien, Griechenland, Nordafrika, arabische Staaten, Mexiko, die USA, Kanada, Norwegen, Finnland,



    Dann sind da die Strompreise. Lieferanten von Erneuerbare Energien erhalten garantierte Mindestabnahmepreise. Aktuell Solaranlagen 6,3 oder 8 Cent. Ältere Anlagen deutlich mehr. Möglicherweise sind Elektrolyseure netzendgeldpflichtig. Dagegen stehen wieder industrielle Stromtarife in anderen Ländern mit 2 bis 4 Cent/Kwh.







    In Europa gehören Elektrolyseure, Batteriefabriken, Stahlwerke mit Elektoreduktion und Chemiewerke eindeutig nach Skandinavien oder Frankreich. Finnland konnte im April 2023 die Stromkosten um 75 % Senken auf unter 60 EUR/MWh. - Warum gingen wohl in Finnland die Strompreise massiv runter, während sie hier stiegen? - Frankreich kann seinen Strommarkt zukünftig so gestalten, daß Kernkraftwerke generell Wasserstoffgas erzeugen und bei Strommangel gleichzeitig als Reservekraftwerke dienen. Elektrolyseure erreichen dort viel höhere Laufzeiten als hier. Überschüssiger Strom aus Deutschland kann dort auch billiger bezogen werden als in Deutschland selbst. So entfallen z.B. Kostenumlagen für Bau und Bereithaltung von Gaskraftwerken mit Mannschaften.

  • Viele sinnvolle Investitionen in die Zukunft, wer könnte das ernsthaft bestreiten. Die goßen Linien der Abkehr von der fossilen Energie stimmen.



    Das die CDSU das ausbremsen will ist gelinde gesagt eine Katastophe. Nur an der eigenen Macht (Posten) interessiert, aber nicht an die Zukunftsfähigkeit unseres Landes und der zukünftigen Generationen. Und wenn denn noch die klimaschädlichen Subventionen drastisch reduziert werden... ist das ein hoffnungsvoller Anfang der Decabonisierung...



    Daher: Die Regierung muss durchhalten.....

    • @KielerSprotte:

      Es ist nicht die Opposition die die Investitionen streicht, es ist die Regierung. Es ist auch nicht die Opposition, die dafür sorgt dass die Gelder nicht bereitstehen, es ist das Bundesverfassungsgericht

      Die Opposition hat einen fragwürdigen Umstand vor Gericht gebracht - das ist nicht ehrenrührig: Einen Verdacht auf Verstoß gegen das Grundsgesetz zu ignorieren ist keine Lösung.

      Davon einmal ab: Die Regierung hat einen Haushalt und entscheidet darüber. Wenn die Regierung also mitteilt, dass jetzt kein Geld mehr für den Klimaschutz da ist, dann nur weil von all den Projekten der Bundesregierung der Klimaschutz jenes ist, das zuerst über Bord geworfen wird wenn das Geld knapp wird.

  • Wenn erst mal Klima schädigende Projekte gestrichen werden, wäre schon viele erreicht.

    Artikel: "der „Anleger für verflüssigte Gase“ in Wilhelmshaven hat seit letzter Woche eine Zusage des Haushaltsausschusses des Bundestages"

    Der Ausschuss hatte eine Reihe von Beschlüssen gefasst, für die das Geld fehlt.



    Das ist kein Förderbescheid und auch keine wirksame Bereitstellung von Mitteln. Die macht der Bundestag als Ganzes. Es ist zu hoffen, dass nun auch der LNG-Irrsinn gebremst wird.