piwik no script img

Spaniens Überraschungsteam aus GironaOde an den Fußball

Der Girona FC wirbelt die spanische Liga durcheinander. Míchel, der Trainer des Spitzenreiters, lässt sich von Pep Guardiola inspirieren.

Rundum zufrieden: Trainer Michel scheint in Girona alles zu gelingen Foto: imago

Das Spitzenrestaurant Celler de Can Roca galt bislang als berühmtester Botschafter der Stadt Girona; in den einschlägigen Rankings wurde es jahrelang als globale Nummer eins geführt. Neuerdings aber kommentiere die Foodie-Gemeinde weniger seine Kreationen als den örtlichen Fußballklub, verriet Joan Roca, einer der leitenden Brüder, zuletzt der Tageszeitung La Vanguardia: „Köche und Kollegen aus aller Welt schrei­ben mir dauernd, um mich zu beglückwünschen.“

Wer den Girona FC kicken sieht, kann den euphorischen Impuls gut nachvollziehen. Das Team aus der katalanischen Provinz zwischen Pyrenäen und Costa Brava führt nach 13 Spieltagen die spanische Liga an, zwei Punkte vor Real Madrid, vier vor dem FC Barcelona. Es hat elfmal gewonnen, nur einmal verloren und mit 31 Toren mehr erzielt als jede andere Mannschaft. Solche Zahlen gab es außerhalb der heiligen Dreifaltigkeit des spanischen Fußballs von Real, Barça und Atlético Madrid noch nie. Wie erst recht nicht den Umstand, dass ein Außenseiter mit einer Gehältergrenze von 51,98 Millionen Euro (Real: 727,45 Millionen) dabei auch noch den besten Fußball zeigt.

Am Wochenende etwa, während eines 2:1 bei Rayo Vallecano, dem sechsten Auswärtssieg in Serie: Wie ein Schwarm überfiel Girona den Strafraum, erdrückend wie beim Rugby, filigran in den Kombinationen, initiiert von Kapitän Aleix García, dem omnipräsenten Linksverteidiger Miguel Gutiérrez oder dem aufrückenden Innenverteidiger Daley Blind, weiterverarbeitet von Halbspitze Iván Martín, dem elektrischen Savinho auf links, dem intelligenten Viktor Tsygankov auf rechts, vollendet von dessen ukrainischem Landsmann Artem Dovbyk; mit 7,75 Millionen Euro ist der Mittelstürmer der teuerste Einkauf in der Geschichte eines Klubs, der seinen Kader bevorzugt aus Talenten, Leihgaben und Ablösefreien komponiert.

Im Ergebnis steht „eines der besten Teams, gegen das ich seit Jahren gespielt habe“ – so sagte es Rayos Trainer Francisco nach einem auch von seiner Elf rundum offensiv geführten Match mit insgesamt 41 Torschüssen, dem bisher spektakulärsten der spanischen Saison.

Besser als Real oder Barça

Es war eine Ode an den Fußball mit so durchweg hohem Rhythmus, wie ihn Real und Barça schon lange nicht mehr hinbekommen, und ein ganz spezieller Sieg für den Vater des Girona-Märchens, Trainer Míchel. Der 48-Jährige kam nach Hause, er ist Rekordtorschütze von Rayo, war später auch Trainer dort, ein Sohn von Vallecas, dem Madrider Arbeiterviertel par excellence, wo seine Eltern den ganzen Tag in ihrem Obstgeschäft standen, derweil er von seiner Großmutter aufgezogen wurde. „Míchel, Enkel der María, willkommen im Kiez“, begrüßten ihn die Heimfans vor dem Anpfiff auf einem Transparent, das Stadion klatschte minutenlang.

In Spanien wird Míchel mittlerweile für höchste Aufgaben gehandelt, aber wäre er nicht bei Rayo trotz eines Erstligaaufstiegs entlassen worden, würde er bestimmt dort noch trainieren. So ging es über Huesca – ebenfalls Aufstieg – vor gut zwei Jahren nach Girona, damals auch zweitklassig. Nach den ersten Monaten mit Míchel drohte gar der Fall in die dritte Liga. Die Klubführung? Verlängerte trotz Ergebniskrise seinen Vertrag. Sie schätzte seinen Spielstil. Girona gehört zu 47 Prozent der City Football Group, einem weltweiten Vereinskonglomerat mit Manchester City an der Spitze. Den Fußball, den Pep Guardiola dort predigt, möchte man gern überall sehen.

Während Míchel bald in Taktikorgien mit Guardiola fachsimpelte („Es wäre dumm, die Nähe nicht zu nutzen“) und die Mannschaft aus ihrer bescheidenen Provinz nach Manchester durfte („Wir wähnten uns bei der Nasa“, so ein Spieler), gelang noch in derselben Saison über die Playoffs der Aufstieg in die erste Liga und dort auf Anhieb beinahe der Einzug ins internationale Geschäft. Zumindest das sollte diesmal klappen, der ursprüngliche Diskurs vom Klassenerhalt hat sich bei 27 Punkten Vorsprung auf die Abstiegszone erledigt. „Wir setzen uns keine Grenzen“, so Míchel, der Girona auch dadurch eroberte, dass er sich, eher untypisch für Rest-Spanier, nicht zu fein zum Erlernen der katalanischen Sprache war.

Um das nur gut 14.000 Zuschauer fassende Stadion Montilivi kursiert jetzt immer öfter der Name einer englischen Stadt: Leicester. Dort wurde vor acht Saisons mit der Meisterschaft die Mutter aller modernen Fußballsensationen gefeiert. Kann Girona einen Leicester machen? „Zweifelsohne können sie um den Titel kämpfen“, findet Carlo Ancelotti, der Trainer von Real Madrid; dem Verfolger.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!