Hass durch Memes auf TikTok: Bomben zwischen Katzenvideos

Auf TikTok verbreiten sich Verschwörungstheorien und antisemitische Inhalte. Das liegt am Algorithmus und an der Lust auf Einfachheit.

Drei TikTok-Videos mit Menschen, die auf israelische und palästinensische Flaggen zeigen.

Einmal flux auf die Flagge gezeigt und fertig ist die Propaganda Screenshot: TikTok

Lange müssen wir nicht swipen, bis ein Mann aus unserem Smartphone raunt: „Wie kann es sein, dass der israelische Geheimdienst, einer der besten der Welt, nicht von dem geplanten Terroranschlag der Hamas wusste?“ Bei dem Versuch, uns auf TikTok über den Krieg zwischen Hamas und Israel zu informieren, stoßen wir nach nur wenigen Minuten auf seine Verschwörungserzählung: Die Israelis würden einen ausgeklügelten Plan verfolgen, bei dem sie den Anschlag der Hamas bewusst zuließen, um sich als Opfer zu inszenieren und einen Krieg anzuzetteln.

Antisemitische Verschwörungstheorien finden sich öfter auf TikTok. Es reicht nach „Palästina“ und „Israel“ zu suchen, um sie angezeigt zu bekommen. Am Montag verkündete der Berliner Clanchef Arafat Abou-Chaker in einem TikTok-Livestream mit dem salafistischen Prediger Pierre Vogel, der israelische Präsident Benjamin Netanjahu sei schlimmer als Adolf Hitler. Er hatte bereits in vorherigen Streams Israel mit Nazi-Deutschland verglichen.

TikTok ist nicht die einzige App, auf der antisemitische Inhalte im Zuge des Kriegs in Nahost verstärkt geteilt werden. Besonders ist, dass die Positionierungen in der für die App typischen Darstellungsart erfolgen. Nicht nur von Demos, sondern auch mit Liedern und den auf TikTok typischen Tänzen verbreiten In­flu­en­ce­r:in­nen ihre Ansichten zum Krieg und erreichen damit eine sehr junge Zielgruppe.

60 Prozent der TikTok-Nutzer:innen sind unter 30, die Hälfte davon minderjährig. Gerade in dieser Altersgruppe ist Social Media eine zentrale Quelle, um Nachrichten zu konsumieren. Im Vereinigten Königreich geben 41 Prozent der unter 24-Jährigen an, soziale Netzwerke seien ihr Hauptzugang, um sich über das Weltgeschehen zu informieren.

Diesen Trend haben auch deutschsprachige Nachrichtenmedien erkannt. So ist die Tagesschau auf TikTok vertreten und teilt dort informative Beiträge – auch zum Krieg. Doch diese Videos reihen sich in einen kurzweiligen Feed ein, den Use­r:in­nen nur schlecht selbst regulieren können.

Denn was auf der TikTok-Startseite angezeigt wird, bestimmen im Wesentlichen Algorithmen. So folgen dort Nachrichten, etwa über Bomben auf das Flüchtlingslager in Dschabalia stakatto-artig auf eine Kette von Katzenvideos, jungen Frauen, die in U-Bahnen tanzen, und Witzen, wie oft Männer über das Römische Reich nachdenken.

Memes und Tänze statt seriösen Nachrichten

Selbst wer aktiv nach „Palästina“ und „Israel“ sucht, bekommt nicht nur seriöse Medien angezeigt. Ihre Beiträge verschwinden zwischen meinungsstarken Inputs von Influencer:innen. Viele zeichnen dabei ein stark vereinfachtes Bild des Konflikts. “Pro-Palästina“ und “Pro-Israel“ differenziert häufig nicht zwischen den einzelnen Ak­teu­r:in­nen in der Region, trennt nicht zwischen Hamas und Zi­vi­lis­t:in­nen aus Gaza oder der israelischen Regierung und Israelis.

Wie einfach es sich manche Content Creators machen, sieht man an typischen TikTok-Tänzen. Der Song „Jalebi Baby“ von Tesher und Jason Derulo, Emoji einer Israel-Flagge rechts, Palästina-Flagge links, und schon hüpfen TikTok-Stars hüfteschwingend in die Richtung der Seite, die sie unterstützen. Diese Art, Präferenzen auszudrücken, ist typisch für TikTok. Man verkündet, ob man Süßes oder Herzhaftes zum Frühstück mag, Hunde oder Katzen. Oder eben: Welche Kriegspartei man unterstützt.

Auch populär sind Videos, die zeigen, welche Celebrities für Israel und welche für Palästina Partei ergreifen, welche Staatspräsidenten sich auf die israelische beziehungsweise palästinensische Seite gestellt haben.

Verschwörungstheorien florieren ohne Komplexität

„Das ist noch nicht unbedingt antisemitisch. Aber eine einfache Darstellung einer komplexen Realität macht anfällig für Verschwörungsideologien“, warnt Ronja Schonscheck von der Werte­Initiative – jüdisch-deutsche Positionen e.V., die gerade die Website OYVEY.de gestartet hat, um über Antisemitismus im Netz aufzuklären.

Gerade die Eindimensionalität, die auf der Plattform vorherrscht, hält die Expertin zu Antisemitismus und Verschwörungsideologien für problematisch: „Widersprüche und eine Wirklichkeit mit Graustufen aushalten zu können, ist wichtig für unsere Resilienz gegenüber antisemitischen Narrativen.“

Häufig geht die vereinfachte Darstellung mit einer klaren Kategorisierung in Gut und Böse einher. Der Versuch, Israel als „böse“ zu inszenieren, relativiert nicht nur den Terror der Hamas. „Er bedient auch uralte antisemitische Narrative von Täter-Opfer-Umkehr und macht den jüdischen Staat nach derselben Logik zum Sündenbock“, erklärt Schonscheck.

TikTok-Trends in Form von Emojis, Songs, Tänzen und Filtern können dabei als „Codes“ fungieren, die Antisemitismus verschleiern. In einem Video singt ein Content Creator von der israelischen „Besatzung“ palästinensischer Gebiete. Dabei blendet er Karten ein, die ganz Israel als besetztes, eigentlich palästinensisches Gebiet darstellen und so das Existenzrecht des Staates in Frage stellen. Über 5 Millionen Likes hat dieses TikTok aktuell. Das ist mehr, als viele von Deutschlands bekannteste Tik­To­ke­r:in­nen erhalten.

Doch nicht nur dadurch sind antisemitische Narrative auf TikTok schwerer zu erkennen. Häufig werden sie als Kritik gegenüber dem Staat Israel verharmlost. Israelbezogener Antisemitismus ist auf der Plattform eine gängige Strategie, um antisemitische Narrative auf die staatliche Ebene zu übertragen. „Hier passiert eine begriffliche Verschiebung, die Léon Poliakov mit dem Ausdruck „Israel als Jude unter den Staaten“ gefasst hat“, meint Schonscheck. „Das Wort Zionist ersetzt lediglich das Wort Jude, das antisemitische Narrativ bleibt dasselbe.“

Um legitime Kritik an der israelischen Regierung von anti-israelischem Antisemitismus abzugrenzen, empfiehlt Schonscheck den 3D-Test des israelischen Politikers Nathan Sharansky. Die drei Ds stehen für Doppelstandards, Delegitimierung und Dämonisierung. Ist ein „D“ in Bezug auf Israel erfüllt, kann von Antisemitismus gesprochen werden, so Schonscheck.

„Doppelstandards gelten zum Beispiel, wenn Israel abgesprochen wird, sich selbst verteidigen zu dürfen, obwohl dieses Recht für jeden anderen Staat gilt. Eine Delegitimierung findet statt, wenn Israel sein Existenzrecht abgesprochen wird“, erläutert Schonscheck. Dämonisierung sieht Schonscheck im Begriff „Apartheid“ für Israel. Weitere Beispiele für eine Dämonisierung sind Vergleiche zwischen Israel und Nazi-Deutschland – siehe Abou-Chaker. „Oder wenn man Gaza als Konzentrationslager bezeichnet.“ Alle diese Aussagen finden wir auf TikTok.

Der Algorithmus mag, was Menschen wütend macht

Dass Antisemitismus auf der App gut verfängt, liegt Schonscheck zufolge auch am Algorithmus. Laut TikTok hängt es unter anderem von den eigenen Interaktionen – liken, teilen, kommentieren – ab, welche Videos im Feed vorgeschlagen werden. Da gerade unter emotionalisierenden Bildern viel diskutiert wird, werden diese so auch weit verbreitet. Antisemitische Beiträge fallen in diese Kategorie.

TikTok reagierte nach einer Abmahnung durch EU-Kommissar Thierry Breton wegen Falschinformationen zum Krieg im Nahen Osten mit der Einrichtung einer gesonderten Leitstelle. Auch das hebräische und arabische Moderationsteam wurde verstärkt. Seit dem 7. Oktober löschte die Plattform mehrere hunderttausende Videos zum Konflikt – so auch das über eine angebliche Verschwörung im israelischen Geheimdienst.

Aber Desinformationen und antisemitische TikToks kursieren weiterhin. Die EU kündigte am 19. Oktober an, eine Untersuchung gegen den Konzern einzuleiten, sollte TikTok nicht binnen sechs Tagen vorlegen, wie genau gegen Hassrede und gewalttätige Inhalte auf der Plattform vorgegangen wird.

Auf Nachfrage der taz, wie die neue Leitstelle funktioniere und warum trotzdem antisemitische TikToks kursieren, betont das Unternehmen, man setze „Richtlinien gegen Gewalt, Hass und gefährliche Fehlinformationen weiterhin durch.“ TikTok dulde keinen Antisemitismus. Zusätzlich verweist die Plattform darauf, dass sie das Gedenken an die Shoa fördere.

Schonscheck hält jedoch nichts davon, Social Media zu verteufeln. „Soziale Medien haben eine wichtige Funktion als unmittelbarer Draht in die Region und zur Amplifizierung von Stimmen, die sonst nicht gehört werden. Das hat man 2022 bei der Revolution im Iran gesehen“, meint sie. „Es braucht jedoch gleichzeitig die klassischen Medien, die Fakten checken und Informationen gesichert einordnen. Im Idealfall ergänzt sich das.“

In erster Linie bleibt die Eigeninitiative von Use­r:in­nen gefragt, denn TikToks Maßnahmen gegen Antisemitismus reichen nicht aus. Es gilt, sich nicht von Falschmeldungen, Verschwörungserzählungen und Antisemitismus blenden zu lassen, sondern sie und die Profile, die sie verbreiten, zu erkennen. Und dann? „Unbedingt melden und Gegenrede leisten.“

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