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Quartierskantine in Hamburg-OttensenIm Wohnzimmer des Stadtteils

Die Hamburger Stadtteilküche „La Cantina“ bietet Mittagessen für Alle an. Die meisten Menschen kommen nicht nur wegen der günstigen Preise.

Auch Gurken werden teurer: In der Inflation musste „La Cantina“ die Preise erhöhen Foto: Ralf Hirschberger/dpa

Hamburg taz | Hans-Werner Diez sitzt an der langen „Kommunikationstafel“ in der Mitte des Speisesaals. Die ist als Kontaktpunkt mit dem Tresen einer Bar vergleichbar. Unter dem Tisch liegt Yorkshire Terrier Conny, die an diesem Tag 15 Jahre alt wird. Diez hat deshalb einen Spiralgugelhupf nach Rezept der Backsendung von Franz Ruhm aus dem Jahr 1959 gebacken.

Der 66-jährige Diez ist Rentner und kommt seit Jahren aus dem benachbarten Hamburger Stadtteil Eimsbüttel zum Mittagstisch in die La Cantina.­ Das sei schöner als allein zu Hause zu kochen: „Nette Gesellschaft, schöne Atmosphäre sowieso und das Essen ist gut.“

Illustration von Ali Arab Purian
Die taz total utopisch

🐾 Von der Kneipe an der Ecke bis zum solidarischen Garten in Bogotá: Junge Au­to­r*in­nen haben sich auf die Suche nach utopischen Ideen begeben. Die dabei entstandenen Artikel haben sie in einer Sonderausgabe der taz veröffentlicht.

La Cantina ist eine Stadtteilküche im zunehmend beliebteren Hamburger Stadtteil Ottensen. „Ziel war es, alle Menschen im Stadtteil wortwörtlich an einen Tisch zu bringen und über das gemeinsame Essen eine Verbindung herzustellen“, sagt Nicola Pantelias vom Verein Koala, der die Küche vor über 25 Jahren gründete.

Von Montag bis Freitag gibt es einen Mittagstisch mit einem regulären und einem um rund 50 Prozent ermäßigten Essenspreis von dann 3,20 Euro. Dieser Rabatt wird bis zu einem Monatseinkommen von 1.410 Euro gewährt. Das Küchenpersonal, das über das Jobcenter vermittelt wird, versorgt täglich etwa 100 Menschen, wovon seit der Pandemie nur noch ein Zehntel den vollen Preis bezahlt. Nachmittags wird überschüssiges Essen zu einem Preis von 50 Cent an etwa ebenso viele Bedürftige gegeben, La Cantina wird dann zur Suppenküche.

Die Kantine kämpfte immer wieder ums Überleben

Die langjährigen Freunde Jens Laube und Thomas Carstens haben den Mittagstisch vor ungefähr zwei Monaten für sich entdeckt und sind seitdem Stammgäste. Während Laube dafür aus Alsterdorf im Hamburger Norden anreist, wohnt Carstens in der Umgebung. „Für das Geld kann man schon nicht mehr selbst kochen“, sagt der 56-jährige Carstens mit Blick auf die steigenden Lebensmittelpreise.

Das Personal sei top und schmecken tut es den beiden auch: Bei Carstens liegen gebratene Auberginenscheiben neben den Salzkartoffeln. Dazu ein Joghurtdip und Gurkensalat. „Nicht eine Gräte“, lobt Laube sein Seelachsfilet, das in ­Petersiliensauce schwimmt. Gegenüber reicht eine Dame ihre mitgebrachte Zitrone an ihre Tischnachbarin. Nach dem Essen gehen Carstens und Laube eine Zigarette rauchen und machen einen Spaziergang durch das Viertel.

Immer wieder war La Cantina finanziell bedroht. Derzeit gibt es laut Pantelias Entgeltzuschüsse vom Jobcenter sowie eine Förderung über den Europäischen Sozialfonds; die Suppenküche wird maßgeblich von der Stiftung Reimund C. Reich gestützt. Steigende Kosten und ausbleibende Spenden der Tafel machen das Projekt weiter zu einem „Seiltanz“, wie Pantelias es formuliert.

Die Stücke des Spiralgugelhupfs verteilt Diez anlässlich des Geburtstags seines ­Hundes Conny auf kleinen ­Tellern aus der Küche. Die meisten der übrigen Gäste nehmen das Dessert dankend an, einige gehen im Anschluss zu Conny und streicheln sie.

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