Antiisraelische Proteste in Jordanien: Für das Land der Vorfahren

Nirgendwo leben mehr palästinensische Geflüchtete als in Jordanien. Die Hamas dominiert hier nicht, aber die Proteste gegen Israel nehmen zu.

Menschen mit Palästinensertuch um das Gesicht gewickelt stehen auf einer Demonstration.

In Pali-Tüchern gehüllt demonstrieren Menschen am Dienstag vor der König-Abdullah-Moschee in Amman Foto: Alaa Al Sukhni/reuters

AMMAN taz | Die Proteste zogen sich bis tief in die Nacht. Auch in Jordanien versammelten sich am Dienstagabend nach den Meldungen über den Luftanschlag auf ein Krankenhaus in Gaza hunderte Menschen auf den Straßen. Laut Medienberichten versuchten Protestierende in die israelische Botschaft in der Hauptstadt Amman zu gelangen. Au­gen­zeu­g*­in­nen berichten von massiven Tränengaseinsätzen seitens der Polizei.

Vor dem Parlament zeigten laut Medienberichten wütende De­mons­tran­t*in­nen ihre Schuhe, in Nahost eine Geste der Verachtung, um den für Mittwoch geplanten Besuch von US-Präsident Joe Biden zu kritisieren. Biden wollte in Amman für diplomatische Gespräche mit den ägyptischen und palästinensischen Staatschefs, Abdel Fatah al-Sisi und Mahmoud Abbas, sowie Jordaniens König Abdullah II zusammenkommen. Das Treffen wurde jedoch nach dem Krankenhausbeschuss noch am Dienstagabend zunächst von Abbas, dann auch von Jordanien abgesagt.

Es sind keineswegs die ersten pro-palästinensischen Demonstrationen in Jordanien. Seit mehr als einer Woche versammeln sich De­mons­tran­t*in­nen während des abendlichen Ischa-Gebets in der Nähe der israelischen Botschaft. Sie tragen schwarzweiße Palästinensertücher um den Hals und halten Palästina-Flaggen in der Hand. „Wir wollen keinen Frieden, wir wollen sie raus aus dem Land, weil es unser Land ist“, schreit etwa Sawsan, eine 30-jährige Jordanierin mit palästinensischen Wurzeln. Das Land, von dem sie redet, ist nicht ihre Heimat Jordanien. „Das Land“ ist Palästina, mit „sie“ die israelische Besatzung gemeint.

Nicht alle, die an der Kundgebung teilnehmen, drücken sich so plakativ aus. „Der Konflikt zwischen Israel und Palästina ist an einem Punkt angelangt, an dem man eine Lösung erzwingen muss. Die Vereinten Nationen müssen ihre eigenen Resolutionen implementieren“, sagt etwa ein 63-jähriger Mann am Rande der Menschenmenge, der anonym bleiben möchte.

Demonstrationsverbot an der Grenze zu Israel

Nach dem Angriff der Hamas auf Israel und dessen Gegenangriff hallen täglich an mehreren Orten der jordanischen Hauptstadt Parolen gegen die Luftschläge auf Gaza, gegen das Friedensabkommen zwischen Jordanien und Israel, für die „Befreiung Palästinas“. Das Königreich beherbergt mit 2,3 Millionen die höchste Anzahl palästinensischer Geflüchteter weltweit. Sie kamen nach der Vertreibung 1948 während des Palästinakriegs, und nach dem Sechstagekrieg 1967. Die meisten haben inzwischen einen jordanischen Pass, viele sind hier geboren, fühlen sich jedoch dem Land ihrer Vorfahren verbunden.

„Wir möchten gern mehr tun, nach Gaza gehen“, erklärt ein junger Mann bei einer Kundgebung in einem Flüchtlingslager, bei der gelegentlich auch Hamas-Fahnen gezeigt und Slogans geschrien werden. Dass Menschen aus Jordanien unerlaubt nach Israel gehen, davor hat offenbar auch die Führung in Amman Angst. Als die Hamas am vergangenen Freitag zur Mobilisierung in der arabischen Welt rief, fuhren einige Hundert Menschen trotz Protestverbots in das Jordantal an die Grenze zwischen Jordanien und Israel. Videos zeigen, dass die Polizei Tränengas dagegen einsetzte. „An der Grenze sind Demonstrationen verboten worden, weil man Angst hatte, dass die Menschen sonst die Grenze illegal übertreten, was zu einer israelischen Reaktion geführt hätte“, erklärt Edmund Ratka, Direktor der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Jordanien.

Dabei ist die entgegengesetzte Bewegung für das Land viel besorgniserregender. König Abdullah II warnte am Dienstag davor, Geflüchtete aus Gaza nach Jordanien zu vertreiben. „Jordanien fürchtete schon immer, dass Israel die Palästinenser aus der Westbank nach Jordanien vertreiben könnte“, sagt Ratka. Eine erneute Flüchtlingswelle würde das Flüchtlingsland sozial und politisch zusetzen.

Gewalttätige Proteste sind eigentlich nicht Teil der jordanischen Tradition. Zwar habe die Hamas schon „immer sein Publikum hier in Jordanien gehabt“, sagt der jordanische Nahost-Experte Amer al-Sabaileh. So gebe es Verbindungen zu einigen Parteien und den Muslimbrüdern. Allerdings sei sie laut Edmund Ratka nicht die dominante Kraft. Die jordanische Regierung betreibe einen „Spagat zwischen der Notwendigkeit einer pragmatischen Außenpolitik und einer Bevölkerung, in der die Solidarität mit den Palästinensern sehr stark ausgeprägt ist“.

König Abdullah II plädierte bisher für eine Zwei-Staaten-Lösung. Jordanien war 1994 eines der ersten Länder, die Frieden mit Israel schlossen, in den vergangenen Jahren sind mehrere gemeinsame Kooperationsprojekte entstanden, vor allem im Bereich Ressourcen und Sicherheit. Seit über einer Woche trifft sich Abdullah mit westlichen und arabischen Vertretern, um über den aufgeflammten Konflikt zu sprechen. Jetzt aber machte er Israel für den Luftangriff verantwortlich und sprach von Kriegsverbrechen. Auch am Mittwoch demonstrierten in der Nähe der israelischen Botschaft etwa 5.000 Menschen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.