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Antisemitischer Übergriff in DagestanDer Kreml erntet, was er sät

Kommentar von Barbara Oertel

Die antijüdische Krawalle an einem Flughafen im Nordkaukasus sind alles andere als ein Zufall. Der Kreml pflegt schon lange antisemitische Diskurse.

Sturm auf den Flughafen in Machatschkala, Dagestan am Sonntagabend Foto: Ramazan Rashidov/TASS/imago

S chön, dass Moskau die Verantwortlichen für die judenfeindlichen Krawalle auf dem Flughafen der dagestanischen Hauptstadt Machatschkala am Sonntag bereits so gut wie identifiziert hat: Schuld seien subversive Kräfte im Ausland, die die Situation in der Russischen Föderation destabilisieren wollten. Die Spur weist, wie könnte es anders sein, wieder einmal in die Ukraine.

Noch Fragen? Allerdings. Wie kann es sein, dass ein marodierender Mob einen Flughafen stürmt und fast unbehelligt bis auf das Rollfeld vordringt? Zumal Informationen über die Ankunft eines Flugzeuges aus Israel schon Stunden vorher durch die sozialen Netzwerke gegeistert waren. Sollte die Zurückhaltung der Sicherheitskräfte wirklich ein Zufall gewesen sein?

Wie dem auch sei: Angesichts seines Balanceaktes zwischen Israel und der Hamas kann der Kreml derartige Gewaltausbrüche nicht gebrauchen. Hatte Wladimir Putin nicht erst vor Kurzem bei einem Treffen mit Vertretern unterschiedlicher Religionen deren friedliches und gedeihliches Miteinander in Russland beschworen?

Gleichzeitig ist ein antisemitischer Diskurs fester Bestandteil des Kreml-Narrativs, wenn es darum geht, den Krieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen. Dass der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski, selbst jüdischer Herkunft, ein Erfüllungsgehilfe des Westens und eine Schande für das jüdische Volk sei, gehört noch zu den harmloseren Äußerungen.

Doch die russische Führung erntet auch noch an anderer Stelle, was sie gesät hat. So sind vor allem die muslimischen Teilrepubliken im Nordkaukasus, zu denen auch Dagestan gehört, durch Armut und Perspektivlosigkeit für die junge Generation gekennzeichnet.

Gerade auch aus diesen Regionen stammen viele Soldaten, die im Ukraine­krieg verheizt werden und nicht lebend zurückkommen. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass die Lunte im Nordkaukasus kurz ist. Wenn sie Feuer fängt, könnte daraus sehr schnell ein Flächenbrand werden.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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6 Kommentare

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  • Diese antijüdischen Ausschreitungen in Daghestan und anderen Regionen des Kaukasus sind erschreckend und empörend. Viele Jahrhunderte haben ethnisch unterschiedliche turk- und iranischsprachige Bevölkerungsgruppen jüdischen Glaubens - von außen oft als „Bergjuden“ subsumiert - in Frieden unter ihren muslimischen Nachbarn gelebt.



    In neuerer Zeit kam die russisch-imperialistische, dann stalinistische Verfolgung in den Kaukasus, später der NS-Rassenwahn. Auch die jüdische Bevölkerung dort blieb von Deportation und Völkermord nicht verschont.



    Heute ist es das Gift des Islamismus, was diesen alteingesessenen Bevölkerungsgruppen das Leben in ihrer kaukasischen Heimat unmöglich macht. Viele sind schon nach Israel und in andere westliche Länder emigriert. Verschwindet ihre spezifische jüdische Kultur, wird auch der Kaukasus mit seiner einzigartigen Vielfalt ethnischer, kultureller und sprachlicher Gruppen um einiges ärmer.



    Wladimir Putin wird‘s freuen und die Islamisten in Tschetschenien, Daghestan, Aserbaidschan und anderen Orten des Kaukasus sind seine nützlichen Idioten.



    www.juedische-allg...u-an-der-isar/?amp

  • Putin löst nun sein eigenes Problem mit dem Islamismus, indem er diesem einen akzeptablen Feind anbietet…und so die eigenen Reihen festigt.

  • "Schuld seien subversive Kräfte im Ausland, die die Situation in der Russischen Föderation destabilisieren wollten. Die Spur weist, wie könnte es anders sein, wieder einmal in die Ukraine."

    Ausnahmsweise stimmt es diesmal...



    siehe:

    www.zeit.de/politi...utin-hamas/seite-2

  • Ein zweites Tschetschenien kann sich Putin aktuell nicht leisten. Er benötigt doch die antisemitischen Männer aus Dagestan, um die Ukraine von den Nazis zu befreien.

    Russland unter Putin. Das kann man sich nicht ausdenken. Selbst wenn im Kreml der Lokus defekt ist, war natürlich der böse Westen schuld.



    War für erbärmliche Würstchen dich Russland regieren.

    • @DocSnyder:

      „Ein zweites Tschetschenien kann sich Putin nicht leisten. Er benötigt doch die antisemitischen Männer aus Dagestan, um die Ukraine von den Nazis zu befreien.“



      Das haben Sie scharfsinnig formuliert. Danke. Nicht lange her, da war noch der Islamismus im Kaukasus der Hauptgegner des russischen Imperialismus.



      Heute lassen sich die antisemitisch verhetzten Nachkommen der einst stolzen kaukasischen Freiheitskämpfer um Imam Schamil von eben jenem russischen Expansionismus als Kanonenfutter auf ukrainischen Feldern verheizen.