Lars von Triers „Geister – Exodus“: Da unten haust etwas
Lars von Trier beschließt mit „Geister – Exodus“ auf irrwitzige Art seine Krankenhaus-Miniserie. Sie vereint Horror, Komödie und Soap Opera.
Die Welt hat schon genug Sorgen. Braucht es da noch mehr Spuk im Krankenhaus, wie ihn der dänische Regisseur Lars von Trier jetzt mit der dritten und letzten Staffel seiner Miniserie „Geister“ zelebriert? Eine pragmatische Antwort lautet: Ja, weil Halloween ansteht, an dem Tag, der früher als Reformationstag begangen wurde.
Für diesen Anlass kommt das fünfstündige Finale „Geister – Exodus“ in den Kinos genau richtig. Und wie schon in den ersten beiden Staffeln aus den neunziger Jahren überwiegt der eigenwillige Humor von Triers den Schrecken deutlich. Dass die Grenze dazwischen bei ihm mitunter verschwimmt, gehört zur Sache dazu.
Selbst wer die frühen Staffeln nicht kennt, muss auf dieses Vergnügen der unheimlichen Art keinesfalls verzichten. Die Handlung schließt zwar an die vorangegangenen Teile an, setzt jedoch nicht allzu viel voraus. Vereinzelte Rückblenden helfen zur Not. Auch bleibt die Geschichte dieses „Exodus“ in sich geschlossen genug, um für ein neues Publikum zugänglich zu sein. Interesse am Wahnsinn im Reichskrankenhaus, einer der größten Kliniken Dänemarks, vorausgesetzt.
Die Grundidee der gesamten Serie bekommt man im Vorspann in Erinnerung gerufen. Zu großen Teilen unverändert, zeigen dessen erste Bilder die braunstichigen Aufnahmen von altmodisch gewandeten Menschen, die in einem diesigen Tümpel mit riesigen Stofftüchern hantieren.
Eine schlafwandelnde Heldin
Dazu erzählt eine Stimme aus dem Off von der Geschichte des „Rigshospitalet“, kurz „Riget“ genannt, wie auch der Originaltitel der Serie lautet. Dieses „moderne und solide Gebäude“ wurde errichtet auf altem Sumpfland, wo früher die Färberteiche lagen und für ständigen Nebel sorgten. Auf Aberglaube, so der Sprecher, folgte die Wissenschaft der Medizin.
„Geister: Exodus“. Regie: Lars von Trier. Mit Bodil Jørgensen, Mikael Persbrandt u. a. Dänemark 2022, 306 Min. Läuft diese Woche in ausgewählten Kinos
Irgendetwas von damals sei jedoch zurückgekehrt, im Fundament zeigten sich Risse. Dazu folgt die Kamera zwei Händen, die weißes Textil ins Wasser tauchen, fährt weiter hinab zum Grund, durchs Wurzelwerk, bis zu einem matschigen Klumpen Boden, aus dem plötzlich ein Paar Hände mit gestreckten Fingern emporwächst. Die Botschaft: Da unten haust etwas. Und es verspricht nichts Gutes. Von Trier verneigt sich mit diesem Bild bei David Lynch, der ähnliche Kamerafahrten ins Erdreich schätzt. Inspiriert ist diese Horrorkomödien-Soap-Opera denn auch von Lynchs ähnlich hybrider Serie „Twin Peaks“.
Einige Jahrzehnte sind seit den 1994 und 1997 gedrehten ersten beiden Teilen von „Geister“ vergangen. Da viele der Hauptdarsteller von einst inzwischen gestorben sind, war von Trier gezwungen, das Personal der neurochirurgischen Abteilung, in der die Serie spielt, stark zu verändern. Bei diesem Wechsel hilft ihm als Kunstgriff ein Selbstzitat.
So sieht man zu Beginn die neue Hauptfigur Karen (Bodil Jørgensen), wie sie den Abspann der letzten Folge der zweiten Staffel am Fernseher auf DVD sieht. Der Regisseur, der, klassischen Fernsehgepflogenheiten folgend, jede einzelne Folge am Ende für die Zuschauer zusammenfasste, singt diesmal ausnahmsweise sein Resümee. Nicht schön, aber klar. Das Fazit: Mehrere der tragenden Figuren sind gestorben oder ihr Verbleib ist zumindest ungewiss, darunter auch die Hauptfigur Frau Drusse.
Karen nimmt entnervt die DVD aus dem Spieler und schimpft: „Wie können die so etwas Halbfertiges verkaufen? Das ist doch kein richtiges Ende.“ Bevor sie zu Bett geht, notiert sie sich kurz die Namen der „verschwundenen“ Figuren.
Die „richtige“ Geschichte von „Geister – Exodus“ beginnt dann in der Nacht, als Karen zu schlafwandeln beginnt und ihr Haus verlässt, wo sie ein Taxi erwartet. Sie protestiert, dass sie gar keinen Wagen bestellt habe. Der Fahrer beruhigt sie aber, es sei alles in Ordnung. Sagt’s und fährt sie zum Reichskrankenhaus.
Dort setzt von Trier seine selbstreferenziellen Spielereien fort: Beim Pförtner erkundigt sich Karen nach Frau Drusse, worauf dieser zunächst antwortet, dass ihn lange niemand mehr danach gefragt habe. Um dann zu ergänzen: Das sei alles Fiktion, „das hat sich der Idiot von Trier zusammengebraut“.
Animosität zwischen Dänen und Schweden
Karen übernimmt fortan die Rolle von Frau Drusse, die einst Kontakt zu den Geistern im Krankenhaus hergestellt hatte. Die nebenbei noch der Telekinese fähige Karen – sie lässt hin und wieder Wassergläser von Nachttischen gleiten – empfängt im Schlaf Botschaften wie die, dass sie nach dem mutmaßlich gestorbenen „Lillebror“ suchen soll. Dieser war das gemeinsame Kind einer Krankenschwester und eines Geistes und zeichnete sich durch unnatürliches Wachstum aus. Der Schauspieler Udo Kier hatte als Lillebror in den alten Staffeln unvergessliche Auftritte. Er ist auch diesmal von der Partie.
Von Trier arbeitet bei seiner Fortsetzung mit leichten Verschiebungen. Einige der früheren Figuren besetzt er kontinuitätsbewusst in ähnlicher Weise. So erhält auch diesmal die Animosität zwischen Dänen und Schweden den ihr angestammten Platz. Früher war es der schwedische Professor Stig Helmer, der stets über die „dänischen Teufel“ („Danske djævle!“) fluchte, wozu er sich auf den Hubschrauberlandeplatz des Krankenhausdachs zurückzog, um seine Verachtung über die Dächer Kopenhagens hinauszuschreien. Nun übernimmt diese Aufgabe sein Sohn, schlicht Helmer Jr. (Mikael Persbrandt).
Dem Chefarzt, der neu in der neurochirurgischen Abteilung ankommt, bereiten die dänischen Kollegen einen Empfang nach ihrer Art. In einem Trinkspiel, bei dem dänische und schwedische Größen wie Søren Kierkegaard oder Astrid Lindgren einander ausstechen müssen, unterliegt Helmer Jr. gegen den robusten Pfleger Balder, „Bulder“ genannt (Nicolas Bro).
Der alkoholisierte Arzt wird triumphierend auf einer ausgehängten Tür durch die Klinik getragen und zum Abholen auf dem Hubschrauberlandeplatz abgelegt. Er bleibt selbstverständlich. Und bekriegt sich bevorzugt mit dem leitenden Arzt Pontopidan (Lars Mikkelsen), der sich aus sehr großer Vorsicht gern in seinem Stationszimmer einschließt, wo er bei Gelegenheit Mäuse füttert.
Kampf in eigener Angelegenheit
Helmer Jr. ist nicht bloß ein Dänenfeind, der bald bei den „Anonymen Schweden“ im Keller der Klinik seine Zuflucht sucht. Von Trier nutzt diese Figur zusätzlich, um Fragen wie #MeToo zu verhandeln. Denn Helmer Jr. hat eine Schwäche für die ebenfalls schwedische Ärztin Anna (Tuva Novotny). Seine Versuche, sich ihr anzunähern, enden zuverlässig beim schwedischen Anwalt (Alexander Skarsgård), der sein Büro in einer Toilette des Krankenhauses hat.
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „Geister – Exodus“
Von Trier hat jede Menge solcher albernen Einfälle, die dem Finale kein bisschen schaden. Darunter der unveränderte Titelsong „The Shiver“ von Joachim Holbek, in dem tiefe Stimmen zu martialischen Klängen Zeilen singen wie „One, two, three, four, five, six, seven“ oder „R-e-c-t-u-m rectum“. Selbst der infantilste Blödsinn führt dabei zwangsläufig irgendwann wieder zum Kern der Angelegenheit, der mit dem Kampf des Guten gegen das Böse zu tun hat. Im Dienst von Letzterem steht auch der Dämon Grand Duc, gegeben von Willem Dafoe, der seit „Manderlay“ von 2005 in verschiedenen Filmen von Triers mitwirkte.
Für von Trier dokumentiert die Serie im Übrigen einen bitteren Kampf in eigener Angelegenheit, wie sich an seinen Auftritten am Ende der einzelnen Folgen zeigt. Die Zusammenfassung für das Publikum gibt er weiterhin, allerdings zeigt er sich nicht, sondern spricht von hinter einem roten Vorhang, unter dem lediglich ein Paar Schuhe hervorragt. Aus „Eitelkeit“, wie er sagt. Womit er auf seine Parkinson-Erkrankung anspielen dürfte.
Eine weitere Ironie dieser Serie, in der Krankheit und Schmerz dauerhaft zugegen sind. Wie beim Schmerzkongress, der in einer Folge an der Klinik abgehalten wird. Sein Motto: „Schmerz ist dein Freund.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!