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Prozess um spekulativen LeerstandRückenwind für Mie­te­rschutz

Auch beim vierten Räumungsprozess gegen Mie­te­r*in­nen der Habersaathstraße 40-48 sieht es nicht gut aus für den Eigentümer. Das Urteil fällt im November.

Ist die Habersaathstraße 40-48 abrissreif? Die Zweifel daran wachsen Foto: Christoph Soeder/dpa

Berlin taz | Der kleine Gerichtssaal ist so voll, dass die als Letzte eintreffenden Zu­schaue­r*in­nen die Verhandlung im Amtsgericht im Stehen verfolgen müssen. Die dauert aber ohnehin nicht sehr lange: Eine gütliche Einigung kommt nicht infrage, bilanziert die Richterin. Der Eigentümer der Habersaathstraße 40–48, Andreas Pichotta, der seine langjährigen Mie­te­r*in­nen mit Räumungsklagen rauswerfen will, sowie die Mieterin und die Anwälte nicken zustimmend.

Eine Beweiserörterung ist ebenfalls nicht nötig, denn die Fakten liegen alle auf dem Tisch: Pichtotta, Geschäftsführer von Arcadia Estates, will den noch bewohnten Plattenbau, der sich trotz Vernachlässigung in einem durchaus passablen Zustand befindet, abreißen lassen und durch einen profitableren Neubau mit Luxuswohnungen ersetzen. Mit Verwertungskündigungen versucht er die zwölf verbliebenen Altmie­te­r*in­nen trotz unbefristeter Verträge loszuwerden, die sich dagegen wehren. So weit, so klar – es geht um spekulativen Abriss und die typische Berliner Verdrängung von Alteingesessenen.

Die Richterin macht entsprechend kurzen Prozess und will am 20. November das Urteil verkünden. Wohin die Reise geht, lässt sie allerdings schon durchblicken: Das von Pichotta eingereichte Gutachten, das den Abriss des Hauses begründet, sei – sie zögert einen Moment und scheint um die richtige Wortwahl zu ringen – „im Wesentlichen eher ungeeignet beziehungsweise unvollständig“, sagt sie schließlich. Und außerdem aus dem Jahr 2018 und damit veraltet.

„Es ist ja auch nicht das erste Verfahren“, sagt sie mit Blick auf die vielen Zuschauer*innen, die vor allem aus den anderen Be­woh­ne­r*in­nen des Hauses und ihren Un­ter­stüt­ze­r*in­nen bestehen. Ihre Befürchtung vor Tumulten oder Zwischenrufen ist allerdings unbegründet, die Stimmung ist entspannt.

Mieterin wohnt seit 33 Jahren in dem Haus

Dazu gibt es auch allen Grund, denn dass die Richterin sich auf das erste Urteil gegen einen Mieter beziehen will, macht Hoffnung: „Eine Wohnung ist kein Aktienpaket“, hieß es Mitte August, zack, Räumungsklage abgewiesen, die Freude unter den Be­woh­ne­r*in­nen war groß. Ob es in diesem Fall genauso ausgeht, wird sich im November zeigen.

Mieter Daniel Diekmann, dessen Urteil im Dezember fallen soll, glaubt fest daran. „Der Gutachter ist bekannt dafür, Häuser runterzuschreiben“, sagt er. Andreas Pichotta will nicht mit der taz reden, ihm hat die Überschrift des Artikels über den ersten Prozess gar nicht gefallen, sagte er im Vorfeld.

Die Be­woh­ne­r*in­nen sind dafür umso auskunftsfreudiger. „Mir fällt ein kleiner Stein vom Herzen“, sagt die beklagte Mieterin Angelika Schulz nach der Verhandlung. Seit 33 Jahren wohnt sie bereits in dem Plattenbau. Und das soll auch so bleiben. „Das ist mein Kiez“, sagt sie.

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