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Krieg in der UkraineSingen für Drohnen und Funkgeräte

In der westukrainischen Kleinstadt Roschyschtsche sammeln Kinder und Jugendliche wöchentlich Spenden. Damit unterstützen sie die Armee.

Sammeln für die Armee: die jungen Freiwilligen von Roschyschtsche Foto: Juri Konkewitsch

Luzk taz | Sie treffen sich jeden Sonntag – Kinder und Jugendliche aus der westukrainischen Kleinstadt Roschyschtsche. Der Ort liegt in der Region Wolhynien, die an Polen und Belarus grenzt. Sie nennen sich „Banderowzy“ – nach dem nationalistischen ukrainischen Politiker Stefan Bandera – eine der umstrittensten Figuren der jüngeren Geschichte der Ukraine.

In Wolhynien hatten vor 80 Jahren die ersten bewaffneten Formationen ukrainischer Nationalisten zu operieren begonnen, die im Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis, sowjetische Truppen sowie polnische Partisaneneinheiten kämpften.

Die Kinder und Jugendlichen versammeln sich im Zentrum von Roschyschtsche, um Spenden zu sammeln. Das Geld übergeben sie an Freiwillige, die dafür Fahrzeuge, Drohnenabwehrkanonen, Quadrocopter, und Walkie-Talkies kaufen.

„Wir müssen etwas tun, wir können uns nicht einfach zurücklehnen, die Hände in den Schoß legen und auf das Ende des Krieges warten“, versucht Wiktoria Schwartzkop, die Initiatorin des sogenannten Kinderfreiwilligenbataillons, die Jugendlichen zu motivieren. Auch ihr Vater ist im Kampfeinsatz für die Ukraine. Das gilt für die meisten freiwilligen Nachwuchskräfte hier.

Patriotische Lieder

Die jungen Menschen helfen der Armee beim Kauf von Munition und Waffen, während ihre Eltern oder Brüder an der Front kämpfen. Angefangen hat alles mit fünf Kindern, mittlerweile hat die Gruppe 25 Mitglieder. Was tun sie, um Geld zu bekommen? Sie singen.

„Anfangs war es sehr beängstigend, zum ersten Mal heraus zu gehen und zu singen. Dann haben wir damit jedoch 15.000 Hriwna (umgerechnet knapp 400 Euro) zusammenbekommen und das hat uns Mut gemacht. Deshalb haben wir beschlossen, weiter Gelder für das Militär zu sammeln“, sagt Wiktoria.

Manchmal kommen die Jugendlichen auch in die Stadt Luzk. Ihr Auftritt beginnt und endet mit der ukrainischen Nationalhymne. Sie tragen hauptsächlich patriotische Lieder vor, zum Beispiel solche, die in den Jahren 1917–1921 und während des Zweiten Weltkriegs von Kämpfern für die Freiheit der Ukraine gesungen wurden. Das jüngste Mitglied dieser Freiwilligengruppe ist 6, das älteste 23 Jahre alt.

Seit Beginn ihrer Tätigkeit am 14. Juli 2022 haben die Jugendlichen mehr als 2 Millionen Hriwna (umgerechnet 51.300 Euro) gesammelt. Auf die Frage, was sie tun würden, wenn der Krieg irgendwann einmal zu Ende sein werde, lautet die Antwort: „Dann werden wir Mittel für den Wiederaufbau der Ukraine sammeln.“

Wichtige Rolle

Eines der Gruppenmitglieder sagt: „Die Menschen, die uns zuhören, sind ganz unterschiedlich. Ich sehe Gleichgültigkeit in den Augen einiger von ihnen, wenn wir singen. Deshalb werde ich durch meine Aktivitäten alles dafür tun, dass es in der Ukraine weniger Gleichgültigkeit gibt.“

Auch nach fast 20 Monaten Krieg spielen Spenden und Freiwillige weiterhin eine erhebliche Rolle bei der Ausrüstung der ukrainischen Armee. Werbung für das Sammeln von Geld und Gegenständen für die Soldaten ist überall zu sehen – von sozialen Netzwerken bis hin zu Reklametafeln auf den Straßen der Städte. Der Grund dafür ist nicht der Mangel an Mitteln aus dem Haushalt oder internationaler Unterstützung.

„Wir sind dort wichtig, wo der Staat langsam arbeitet. Ein Generator, eine Ladestation, eine teure Visiereinrichtung oder eine Wärmebildkamera, ein Fahrzeug für eine mobile Besatzung einer Panzerabwehreinheit – das alles sind Dinge, die jetzt sofort benötigt werden“, sagt Olja Waljanik, die Leiterin der Wohltätigkeitsstiftung „Hangar“.

Hangar schloss im September eine Spendenaktion ab, die drei Monate gedauert hatte. Das Ergebnis: über 10 Millionen Hriwna (rund 250.000 Euro). Mit diesem Geld kann auf 67 Anfragen von Militäreinheiten reagiert werden. Die höchste Spende betrug eine Million Hriwna (25.000 Euro), die kleinste vier Kopeken.

Spenden für Mörser

Der Direktor der renommiertesten Stiftung in der Ukraine, Come Back Alive, Taras Tschmut, hat wiederholt erklärt, dass es für nichtstaatliche Akteure oft einfacher sei, die notwendige Ausrüstung für die Armee auf dem Waffenmarkt zu kaufen. Im Sommer spendeten die Ukrainer an diesen Fonds, um Mörser für Einheiten zu erwerben, die die Grenze der Ukraine zu Belarus verteidigen.

Ein Trio von Freiwilligen – die Blogger Sergei Pritula, Sergei Sternenko und Latschen (Pseudonym) – startete im Oktober eine Spendenaktion im Wert von mehreren Millionen Dollar, um Angriffsdrohnen zu kaufen. Diese können 300 bis 500 Kilometer weit fliegen.

„Der Krieg geht weiter und die Fähigkeit der Menschen zu helfen, ist so langsam erschöpft“, sagt Viktoria Schwartz­kop. Sie und ihre jungen Mitstreiter müssen die Bewohner im Hinterland daran erinnern, dass die Soldaten jeden Tag Unterstützung brauchen.

Dabei entwickeln die Freiwilligen neue Methoden, um Menschen zur Unterstützung der Armee zu ermutigen. Sie wiederholen dabei auch oft den Satz: Wenn das Hinterland die Front vergisst, wird die Front bald da sein, wo das Hinterland ist.

Aus dem Russischen Barbara Oertel

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7 Kommentare

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  • Juri Konkewitsch , Autor*in des Artikels,

    the author taz writes about the fact that the children who collect money to help the army of Ukraine called themselves Banderivtsi in honor of those Ukrainians who fought for their country 80 years ago, because they were deprived of it after the First World War and, unfortunately, the Second World War. They fought until they were destroyed by the Soviet regime, which is still not properly condemned in the world (like the modern russian one).

  • Juri Konkewitsch , Autor*in des Artikels,

    would be interested to know where you were taught history? Me, for example, not only at the university, but also in life, because I grew up in these lands where, as you say, "Bandera supporters" killed peaceful Jews and Poles. And it was my grandfather's brother who was shot at night by Soviet special forces disguised as Bandera residents.



    It is not out of place for you to remember that Bandera himself was in a German concentration camp, and his brother was killed there by the Nazis.



    But the most important question is: where were you taught history and what books and authors did you read. Do you know about such a concept as "bloody lands"? And if they knew, they definitely wouldn't believe that there are historical figures who are white and fluffy. And then surely they would at least think about how a nation that was stripped of its statehood after the First World War could defend itself and elect a state?

    • @Juri Konkewitsch:

      In dem Beitrag heißt es literally, Banderas Anhänger hätten gegen Kombatanten gekämpft. Der systematische Massenmord an Juden und polnischer Zivilbevölkerung wird darin genauso unter den Teppich gekehrt, wie die antisemitische und faschistische Ideologie.

      International anerkannte Historikern wie Grzegorz Rossoliński‑Liebe ist zu verdanken, dass diese Hintergründe lückenlos aufgearbeitet sind. Der Autor der TAZ versucht hingegen ein Bild von Banderas Organisation zu zeichnen, welches ihr Wirken auf das reduziert, was dem Autor in den Kram passt: Nationalismus.

      Dass dieser Nationalismus in Wort und Tat mehr als antisemitische Züge trug und der zeitgenössischen Forschung neben dem deutschen und dem italienischen Faschismus gar als einer der drei Archetypen faschistischer Bewegungen im Europa der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt, wird geflissentlich ignoriert. Ich verweise auf die Arbeiten Mathias Wörschings, der gewiss kein Freund Russlands ist.

      Auch der Verweis auf Banderas Internierung in Sachsenhausen ist keine Widerlegung von dessen genuin faschistischer Ideologie und stellt bei näherer Betrachtung fast schon eine Infamie gegenüber den Opfern des Holocaust dar. Nach heutigem Stand ist unstrittig, dass die Nazis Bandera nach dessen Kollaboration internierten, weil sie keine konkurrierenden Nationalismen dulden wollten. Damit hatte diese so genannten "Ehrenhaft" sowohl im Motiv, als auch in ihren konkreten Privilegien, die Bandera bis zu seiner Entlassung genoss, nichts, aber auch gar nichts, mit der Entmenschlichung und dem millionenfachen Massenmord in den KZ gemein, für die dieser Begriff gemeinhin steht.

      Die Erwiderung des Autors, wonach alle historischen Persönlichkeiten quasi Blut an den Händen haben, spottet jeder Beschreibung. Ist das etwa ein Argument dafür, diese Person und seine Ideologie schon Kindern als heldenhaft einzutrichtern?

      Es macht mich sprachlos, was die taz mittlerweile für Autor*innen hat.

  • Ich empfinde es als fragwürdig und geschmacklos, Kinder für den Krieg sammeln zu lassen. Fehlt nur noch, dass die Kirche die Waffen segnet. Das erinnert mich an dunkle Zeiten.....

    • @Rudi Hamm:

      Man nennt das auch Indoktrination.

      Überigens haben die Anhänger Stephan Banderas nicht allein gegen Kombatanten gekämpft, wie es der Artikel darstellt (Zit: "gegen die Nazis, sowjetische Truppen sowie polnische Partisaneneinheiten"), sondern eben auch Massakker an tausenden Juden und polnischen Zivilisten verübt. Das macht Bandera für mich persönlich nicht zur "umstrittenen" Person, sondern zu einem Massenmörder. Anders herum scheint er in der Ukraine weniger umstritten zu sein: So wird die Grußformel der OUN ("Slawa Ukrajini, Slawa Herojam") seit einigen Jahren als offizieller Gruß wieder-eingeführt und reihenweise Plätze nach dieser "umstrittenen" Figur benannt. Wenn man über massenmord hinweg sieht, ist das nationalistische Verblendung - bestenfalls.

    • Juri Konkewitsch , Autor*in des Artikels,
      @Rudi Hamm:

      the parents of these children are under fire every day. can you stop them from helping their parents kill the invaders who came for their life, land, freedom and state?

    • @Rudi Hamm:

      Ich weiß nicht - besser die Kinder sammeln für was sinnvolles wie ukrainische Soldaten statt zB. die katholische Kirche.