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Wahlen in der SchweizRechtsruck stärker als erwartet

Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) gewinnt stärker hinzu als von den Umfragen vorhergesagt wurde. Verluste für die Grünen.

Auszählung der Stimmzettel in einem der Sporthalle Weissenstein in Bern Foto: Keystone/imago

Bern taz | So richtig Freude mag nicht aufkommen am Wahlfest der Sozialdemokratischen Partei (SP) in der Berner Altstadt an diesem Wahlsonntag. Trotz leichten Gewinnen von bis zu einem Prozent sieht man eher Kopfschütteln als lachende Gesichter im rot beleuchteten Saal.

Denn die National- und Ständeratswahlen bringen laut Hochrechnungen ein klares Votum hervor: Die Schweiz rückt stärker nach rechts als in den Umfragen erwartet.

So gewinnt die rechtspopulistische SVP mit bis zu vier Prozent stark hinzu. Die linken Grünen – bei den letzten Wahlen noch klare Gewinnerin – verlieren um vier Prozent. Die SP holt von den ihr bei der letzten Umfrage prognostizierten Gewinnen nur etwa die Hälfte und landet bei um die 17.5 Prozent. Der Ständerat, die kleine Kammer, bleibt in bürgerlicher Hand.

Wohl noch nie fand eine Wahl in der Schweiz derart im Schatten globaler Krisen statt, wie jetzt. Krieg im Nahen Osten, der russische Überfall auf die Ukraine, Corona, Klimawandel, Inflation – während die Welt aus den Fugen gerät, schienen die Wahlen selbst in den Berichten Schweizer Medien in der Woche vor dem 22. Oktober unterzugehen.

Sicherheit und Stabilität statt Wandel

Dabei passt die Unauffälligkeit als Tugend sowohl zur Schweizer Mentalität als auch zur Politik. Als direktdemokratischer Staat mitten in Europa pflegen vor allem die bürgerlichen Parteien gern das Image der Schweiz als neutrales Land, das sich mit dem Verweis auf die eigene Sonderrolle aus den drängendsten globalen Fragen heraushält. Sicherheit und Stabilität werden dem Wandel vorgezogen.

Dass man damit bei Corona gut fährt und sowohl die Direkte Demokratie als auch die Neu­tralität und das Versprechen des immensen Wohlstands darstellt, mit diesen Argumenten ziehen die bürgerlichen Parteien in jeden Wahlkampf – und plädieren jeweils für ein Weiter-so. Als heilige Kuh überragt das Wohlstandsversprechen jede politische Entscheidung.

Dieses Versprechen kombinierte die SVP mit einer ausländerfeindlichen Kampagne und warnte vor Kriminalität, dem Verlust von Sicherheit und der Neutralität. Die SVP, die den politischen Diskurs in der Schweiz in den letzten 30 Jahren stark nach rechts gezogen hat, ist damit erfolgreich.

Das mag einerseits am europaweiten Trend rechtspopulistischer Parteien liegen. Andererseits gleicht die SVP ihre Verluste von der Wahl 2019 aus, als sie 3,8 Prozent verlor.

Migration statt Bankenübernahme im Fokus

Trotz der massiven politischen Versäumnisse im Rahmen der Übernahme der Großbank Credit Suisse durch die UBS im März und trotz der Schweizer Tatenlosigkeit in Fragen der Unterstützung der Ukraine stand das Thema Migration in diesem Wahlkampf im Fokus – gemeinsam mit dem Anstieg der Krankenkassenprämien. Die SVP schien von ihrem Thema mehr zu profitieren als die SP von der sozialen Frage.

Ob die SVP ihre Bestmarke von 2015 knacken wird, ist noch offen. Doch klar ist, dass die grüne Welle von vor vier Jahren abebbt und das Pendel wieder eindeutig nach rechts ausschlägt. In einem konservativ geprägten Land wie der Schweiz ist das nicht überraschend – für die Linke dennoch eine große Enttäuschung.

Im Dezember wird das neue Parlament die siebenköpfige Regierung, den Bundesrat, wählen. Traditionell setzt sich dieser nach dem Konkordanzprinzip zusammen, wobei die vier stärksten Parteien miteinbezogen werden. Ob sich an der Zusammensetzung etwas ändert, ist noch unklar.

Nach der Wahl 2019 forderten die Grünen einen Sitz, scheiterten jedoch mit ihrer Kandidatur. Mit der jetzigen Niederlage wird ein grüner Sitz in der Regierung noch unwahrscheinlicher.

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13 Kommentare

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  • Wenn linke Parteien wieder an Bedeutung gewinnen wollen, dann sollten sie sich die Politik von Dänemark anschauen.

  • Dazu sollte man wissen, dass es vor Kurzem schwere Krawallen bzw Massen (!) Schlägereien zwischen verfeindeten Eritraeer-Gruppenu.a. in Winterthur gab.



    Das Ausmaß der Gewalt hat selbst erfahrene Polizisten überrascht. Das hat den Diskurs (leider) maßgeblich geprägt.

  • Vorschläge der Grünen bestehen gerne darin, dass der Bürger weniger hat und der Staat mehr. Die Verluste der Grünen sind schmerzlich, nach den letzten 4 Jahren aber keine Überraschung.

  • "für die Linke dennoch eine große Enttäuschung"

    Eine Enttäuschung kann ja auch das Ende einer Täuschung sein.

    Unter Mette Fredriksen (Dk.) gewannen die Sozialdemokraten die Wahlen, und die Rechtsaußen fielen von 20 auf 10 Prozent.

  • Die Grünen verlieren auch ohne fehlende PR-Kampagne für ein Heizungsumbaugesetz.



    Weil die Leute sich zu leicht von einem Anti-Ausländer-Wahlkampf beeindrucken lassen.

    • @Land of plenty:

      Ich denke nicht, daß die Leute dumm sind und sich von einem Anti-Ausländer Wahlkampf beeindrucken lassen.

      Es ist doch so, daß die alten Parteien, zu denen inzwischen auch die Grünen gehören, die Probleme nicht gelöst bekommen. Und der ewige Ruf von ihnen “Du darfst weder rechts noch links wählen.” verfängt nicht mehr.

      Es gibt inzwischen auch in der Schweiz massive Reallohn - Rückgänge. Und die alten Parteien zeigen immer wieder, daß sie das nicht lösen wollen oder können. Also wählt der Schweizer (und inzwischen ja nicht nur er) andere Parteien (Spoiler: Die es auch nicht können.)

      Grundsätzlich widerspiegelt doch der Wahlausgang, daß man die Nase voll hat, man will was anderes. Und die Schweizer haben ja nicht mal den EU Stress. Ob uns das gefällt oder nicht: Brüssel hat Geschmäckle, auch die Berliner Blase ist abgehoben. Und die bislang führenden Parteien haben die Problem unseres Landes immer noch nicht verstanden.

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    Die Moderation

    • @Konfusius:

      Tun sie doch schon. Kaum ein Politiker ergreift noch Partei für Geflüchtete. Welche Partei die Vorstellungen der vielen glücklichen Rechten umsetzt, ist zweitrangig. Was passiert eigentlich, wenn alle "westlich orientierten" Länder rechts regiert werden, oft von vormals linken oder mittigen Parteien? Wir werden es bald sehen. Noch ein, zwei Legislaturperioden max.

    • @Konfusius:

      Achtung: in Polen sind die nicht gescheitert (immer noch stärkste Kraft), es hat sich eine breite Front gegen sie gebildet. Diese hat reichlich Innere Widersprüche und man kann nur hoffen, daß sie hält. Aber da denke ich an die "alle außer Bibi"-Koalition in Israel und sehe wenig Hoffnung, daß KO in Polen durch die komplette Legislaturperiode hält. Zu wünschen ist es aber, natürlich!

  • Gentle reminder, dass die SVP-Schweiz der führende Hamas-Unterstützer in Europa ist.

    • @Ajuga:

      Bin nun wahrlich kein SVP-Anhänger, aber wo haben Sie denn das her?

    • @Ajuga:

      Quelle?

    • @Ajuga:

      Die Herleitung/ Begründung dieser Aussage würde mich interessieren. Die alte Kiste mit dem Bankgeheimnis kann es ja nicht sein, das haben die Amerikaner den Schweizern ja zerschossen.



      Dürfen Hamas-Leute in der Schweiz wie in Katar unbehelligt ihren Geschäften nachgehen? Dubiose Vereine? Unterwanderung des IKRK?