Krieg in Nahost: Israel sieht „neue Phase“

Das von der Hamas angegriffene Land setzt im Gazastreifen vermehrt Bodentruppen ein. Ein Fokus: das Tunnelsystem der Terroristen. Derweil droht Iran.

Abschuss einer israelischen Rakete.

Im Kampf gegen die terroristische Hamas: Israel feuert auf den Gazasteifen (Aufnahme vom 29.10.23) Foto: Evelyn Hockstein/reuters

BERLIN taz | „Heute begeben wir uns in eine neue Phase des Krieges“, erklärte der Stabschef des israelischen Militärs (IDF) am Wochenende in einer Videobotschaft. Was er damit meinte, deutete sich bereits am Freitagabend an: Seitdem sind im Gazastreifen vermehrt Bodentruppen des israelischen Militärs aktiv. Mit Panzern und schweren Militärfahrzeugen, unterstützt von anhaltenden Luftschlägen, bereitet Israel im Norden des Gazastreifens offensichtlich jene Bodenoffensive vor, die das Land nach dem Hamas-Überfall am 7. Oktober angekündigt hatte.

Eine der Prioritäten des israelischen Militärs ist die Zerstörung der Infrastruktur der Hamas: Die islamistische Miliz ist bekannt für ihr mehrere hundert Kilometer langes Tunnelsystem, das sich unter dem gesamten Gazastreifen erstreckt. Die unterirdischen Strukturen dienen der Terrororganisation als Schutzbunker, als Waffen- und Güterlager und wohl auch als Versteck der aus Israel entführten Geiseln.

Bei einer möglichen Bodenoffensive des israelischen Militärs verschaffen die Tunnel der Hamas auch einen entscheidenden Vorteil: Sie können sich unbeobachtet von der feindlichen Armee bewegen – über die zahlreichen Ausstiegspunkte der Tunnel, die sich auch unter zivilen Gebäuden und Krankenhäusern befinden sollen –, diese überraschen oder in einen Hinterhalt locken.

Die Hamas hätte einen klaren Heimvorteil

Ein solcher Angriff, bei dem Militante aus einem Tunnel stürmten und israelische Bodentruppen attackierten, soll sich bereits am Sonntag in der Nähe des Grenzübergangs zwischen Israel und Gaza ereignet haben. Über den Erez genannten Übergang waren am 7. Oktober Terroristen der Hamas und weiterer extremistischer Gruppen aus Gaza nach Israel gekommen.

Bereits am Freitag und Samstag konzentrierten sich die israelischen Luftschläge auf die Untergrundbunker und Tunnel. Wie das Militär am Sonntagmorgen auf Telegram mitteilte, hätten Kampfflugzeuge im Verlaufe des vergangenen Tages mehr als 450 Hamas-Ziele bombardiert. Auch einige führende Köpfe des militärischen Flügels der Hamas sollen dabei getötet worden sein, darunter Issam Abu Rukbeh, der für die „Luftwaffe“ der Hamas verantwortlich war und die Angriffe am 7. Oktober mit koordinierte. Am Samstagmittag gab Israel zudem bekannt, dass weitere Milizionäre an einem Strandabschnitt in Nordgaza getötet wurden, als diese israelische Truppen beschossen.

Die Hamas hätte bei einer Bodenoffensive einen klaren Heimvorteil: Die israelische Armee wäre zu einem Häuserkampf gezwungen, in einem Gebiet, das – trotz aller Aufklärung – der Hamas deutlich besser vertraut ist. Die IDF sind der Hamas zwar rein zahlenmäßig weit überlegen – Israel hat insgesamt über 300.000 Reservisten mobilisiert, die Hamas soll hingegen lediglich über etwa 30.000 Kämpfer verfügen. Doch bei Häuserkämpfen verschwinde dieser Vorteil, analysierte die israelische Zeitung The Times of Israel. Denn er zwinge Armeen, sich in kleinere Gruppen aufzuteilen. Diese sind dann leichter anzugreifen, mit Beschuss oder auch mit improvisierten Sprengvorrichtungen, auch aus dem Schutz von Gebäuden heraus.

Derweil konzentriert sich die Hamas in ihren Kampfhandlungen nicht nur auf die Abwehr der Bodentruppen, sondern feuerte weiter Raketen auf israelisches Gebiet ab. Immer wieder ertönen seit Freitag die Sirenen: in der Küstenmetropole Tel Aviv, im südlichen Aschkelon und in der Wüstenstadt Dimona, wo eines der ältesten Kernkraftwerke der Welt sowie ein Kernforschungszentrum in Betrieb sind. Fragmente abgeschossener Raketen gingen außerdem in mehreren Orten Zentralisraels nieder.

Drei Tote im Westjordanland

Auch an der Nordgrenze geht der Konflikt weiter: Am Sonntagnachmittag gaben die IDF an, eine Militärbasis der Miliz Hisbollah im Südlibanon bombardiert zu haben. Iran, das die Hisbollah unterstützt und finanziert, zieht selbst seine Rhetorik weiter an: „Das zionistische Regime“, schrieb Präsident Ibrahim Raisi am Sonntag auf X, ehemals Twitter, könnte mit seinem Verhalten „alle zum Handeln zwingen“.

Auch im Westjordanland gibt es weiter Razzien und Militäraktionen. Am Sonntag wurden dort drei bewaffnete Palästinenser getötet. Israel hat in der Nacht zu Sonntag außerdem den prominenten Siedleraktivisten Ariel Danino im Westjordanland festgenommen – im Sinne der öffentlichen Sicherheit. Die vier kommenden Monate soll der Aktivist in Präventivhaft verbringen.

Derweil warnte der Golfstaat Katar, der zwischen Israel und der Hamas um die Befreiung der über 220 nach Gaza verschleppten Geiseln vermittelt: Der Bodeneinsatz der Israelis verkompliziere die Verhandlungen und auch die Befreiung der Geiseln. Majed Al-Ansari, Sprecher des katarischen Außenministeriums, sagte dem US-Fernsehsender CNN: „Verhandlungen funktionieren nur in Zeiten der Ruhe.“ Niemand in der Region könne sich ein Ende der Verhandlungen für die Geiselbefreiung leisten, betonte er.

Katar ist bereits seit Beginn des gegenwärtigen Krieges als Nahost-Vermittler tätig und spricht mit beiden Parteien direkt. Dass unlängst israelische Geiseln freigelassen wurden, wird dem Verhandlungsgeschick des Golfstaats zugeschrieben.

Laut Katar – das die Hamas bisher finanziell unterstützt hat und von allen Golfstaaten das beste Verhältnis zu Iran hat – sei die Miliz bereit, „sofort“ Geiseln freizulassen, allerdings nur im Tausch. „Alle Gefangenen in den Gefängnissen der zionistischen Besatzung“, so Hamas-Chef Yahya Sinwar, müssten im Gegenzug freigelassen werden. Israels Premier Benjamin Netanjahu hatte zuvor bestätigt, dass seine Regierung sich dazu bespreche. Er betonte auch, dass eine Bodenoffensive die Fähigkeit Israels, die Geiseln zu befreien, nicht negativ beeinflussen würde.

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