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Geschichte der extremen Rechten„Kein ostdeutsches Phänomen allein“

Knud Andresen forscht im Projekt „Hamburg rechtsaußen“ zu rechter Gewalt. Dazu startet nun eine Vortragsreihe zur Geschichte des Phänomens seit 1945.

1993: Die Särge von fünf Türkinnen stehen nach dem Anschlag vor dem ausgebrannten Haus in Solingen Foto: Franz-Peter Tschauner/dpa
Interview von Amira Klute

taz: Herr Andresen, braucht es den Blick auf die Geschichte des Rechtsextremismus, weil die Gegenwart gerade immer rechter wird?

Knud Andresen: Ja, durchaus. Für die Geschichtswissenschaften ist ein aktueller Hintergrund immer interessant. Extrem Rechte wurden in der BRD lange als randständig wahrgenommen. Das hat sich 2011 mit der Selbstenttarnung des NSU geändert. Mein Kol­le­g*in­nen Daniel Gerster, Kerstin Thieler und ich wollen mit der Vortragsreihe deutlich machen, dass die extreme Rechte in der bundesdeutschen Geschichte keine Randerscheinung war, sondern immer eine Rolle gespielt hat – auch wenn ihre politischen Parteien lange isoliert waren.

Bei der AfD sieht das jetzt aber anders aus.

Fabian Hammerl
Im Interview: 

Knud Andresen Jahrgang 1965, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg und forscht zur Geschichte der extremen Rechten.

Das stimmt. Um den Aufstieg der AfD zu verstehen, kann ein Blick in die Geschichte hilfreich sein, auch um zu erkennen, wenn sich bestimmte Forderungen wiederholen. Momentan wird aus aktuellem Anlass zum Beispiel wieder auf den Asylkompromiss der frühen 1990er-Jahre verwiesen. Der wird bisweilen als Erfolgsgeschichte erzählt, wobei seine Entstehungsbedingungen völlig ausgeblendet werden. Der Kompromiss muss nämlich im Kontext einer Welle massiver rechter Gewalt betrachtet werden.

Welche Rolle spielen dabei Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland?

Für die 1990er-Jahre muss man sagen: die rechten Anschläge mit hohen Todeszahlen liegen alle im Westen, denken wir an die Brandanschläge in Solingen und Mölln. Pogrom­artige Ausschreitungen wie in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda hat es auch im Westen gegeben. Es ist wichtig, rechte Gewalt nicht in den Osten zu externalisieren. Trotzdem gibt es spezifisch ostdeutsche Voraussetzungen.

Welche sind das?

Vortragsreihe

19. Oktober, Franka Maubach: Rechte Gewalt und Rassismus-Erfahrungen im Nachkriegsdeutschland

2. November, Patrick Wagner: Polizei und rechte Straßenmobs in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft der 1990er

23. November, Uffa Jensen: Der antisemitische Doppelmord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke

7. Dezember, Carsta Langner: Über die (Nicht-)Wahrnehmung rechter Gewalt in der (post-) sozialistischen Umbruchsgesellschaft Ostdeutschlands

11. Januar, Barbara Manthe: Vom Rechtsterrorismus zur rechtsradikalen Gewalt. Die Bundesrepublik in den 1980ern

1. Februar, Janosch Steuwer: Zeit der Brandanschläge. Die rechte Gewalt der frühen 1990er

18.30 Uhr, online und vor Ort: Beim Schlump 83, Hamburg

Aus der Umbruchssituation ab 1989 haben sich zum Beispiel Elemente einer rechten Jugendkultur stark verfestigen können. Daraus ist der NSU entstanden. Und diese Etablierung rechter Jugendkultur beobachten wir bis heute, wenn auch in anderer Form. Rechte Gewalt ist aber eben kein ostdeutsches Phänomen allein, sondern in Gesamtdeutschland wirkmächtig.

Was lässt sich aus der Geschichte für den zukünftigen Umgang mit der extremen Rechten mitnehmen?

Wir betrachten im Forschungsprojekt „Hamburg rechtsaußen“ auch Momente der Gegenwehr. Es gibt zum Beispiel eine lange Geschichte migrantischer Selbstorganisierung gegen rechte Gewalt. Die Beschäftigung mit der Geschichte der extremen Rechten ist nicht allein eine Frage der Erinnerung. Es geht auch darum, den Blick zu erweitern auf Perspektiven marginalisierter Gruppen in dieser Gesellschaft.

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