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Buch „Convivial Ground“Arbeiten, bauen, wohnen und leben

Friede den Hütten – das will das Baukollektiv Constructlab in seinem aktuellen Buch „Convivial Ground“ propagieren. Doch was ist mit den Palästen?

Arbeit an „ Hotel Egon“, einem Projekt von Constructlab während der IBA Thüringen, 2019 Foto: Thomas Müller

Ein Recht auf Stadt will sich die Berliner Initiative „Urbane Praxis“ mit den Mitteln der Künste, der Gestaltung, Planung und Aktion erstreiten. Das in Berlin ansässige Contructlab ist Teil dieser Initiative. Sein „transnatio­nales Netzwerk“ schlägt seit über zwanzig Jahren vom Mittelmeerraum über mitteldeutsche Provinzstädtchen bis zu den Architekturbiennalen in Chicago oder gerade in Venedig sein Lager auf.

Bevor der Deutsche Pavillon dort bis Ende November zum aktiven Material­depot erklärt wurde, organisierte Constructlab im Auftrag des deutschen Ku­ra­to­r:in­nen­teams schon einmal eine „Hausversammlung“. Auf der Giudecca stellte es einige Wägen auf. Die dienten als Küche, Siebdruckstation oder Werkstatt. Übergeordnetes Ziel war die Nachbarschaftspflege und die Instandhaltung in einem von Be­set­ze­r:in­nen geprägten Viertel.

„Wir beobachten uns gegen­seitig beim Improvisieren. Diese Stadt werden wir gemeinsam gebaut haben“, heißt es im nun erschienenen Handbuch „Convivial Ground“ von Constructlab. Es kommt im robusten Umschlag mit kurzen Projektbeschreibungen, anekdotischen Erinnerungen, Selbst-Interviews und ausführlichen Bildstrecken.

Der Titel verweist auf das 2013 von französischen Intellektuellen verfasste „Convivialist Manifesto“. Dies suchte zwischen Wachstumskritik und Gabentausch ein gutes Zusammen-Leben und griff auf das Konzept der Konvivialität zurück, wie der Philosoph Ivan Illich es in den 1970ern erarbeitete. ­Dessen Buch „Tools for Con­viviality“ liest sich heute als Aufruf gegen einen radikalen Neoliberalismus.

Soziale Kompetenz ist gefragt

„To Gather“, das „Zusammenkommen“ als politischer Akt, ist immer auch Beziehungsarbeit. Zusammen arbeiten und bauen, leben und wohnen, gut Essen wie auch Spaß haben wird bei „Convivial Ground“ groß geschrieben. Stuhlkreis und Agora, runder Tisch oder Lagerfeuer tauchen auf den Farbfotos und Skizzen immer wieder auf. Easy- und Night-Jetter sind auf Grand Tour mit zusammen gezimmerten Kanus, Euro-Englisch erklingt zum Orchester aus Stichsägen und Akkuschraubern, kein Regenschauer trübt die Bilder: Die Fotostrecken zeigen einen Lkw-Anhänger als Werkzeugwagen mit Küche und Bettlandschaft oder erfindungsreich unter Schuhe geschnallte Stempel. Der Pizzaofen wird mit Restholz befeuert und die ausgemusterten Schultafeln zu Fassaden umgewandelt.

Das Buch

„Convivial Ground. Stories from Collaborative Spatial Practices“: Constructlab – Joanne Pouzenc/Alex Römer/Peter Zuiderwijk (Hrsg.), Jovis Verlag, Berlin 2023, 480 Seiten, 32 Euro.

Schlägt Constructlab sein Lager auf, sind Vielfachbegabungen, Hartnäckigkeit und soziale Kompetenz gefragt – das Schweizer Taschenmesser der Urbanen Praxis. Flache Hierarchien werden zwar eingefordert, doch gibt es Tutoren für Spezialaufgaben – wie das Her­aus­ge­be­r:in­nen­team des Buchs: die französische Architektin Joanne Pouzenc, der Berliner Gestalter Alex Römer sowie der niederländische Grafikdesigner Peter Zuiderwijk.

Geld als Treibstoff spiele nur am Rand eine Rolle, heißt es. Mit der Finanzierung gast­gebender ­Institutionen müsse gehaushaltet werden. Dann wird eine Stützkonstruktion gebaut, in der man schon einmal nächtigen kann. Schon bald sei man Teil der lokalen Bevölkerung. Doch dann ist das Projekt üblicherweise wieder vorbei und alle gehen ihrer Wege.

Zuviel gute Laune nervt

Die Präsenz des Netzwerks aus Designer-Builders, Kul­tur­ar­bei­te­r:in­nen und Neuankommenden ist auf Zeit. Constructlab hinterlässt so kaum Spuren, im Guten wie im Schlechten. Und was passiert danach?

Ein im Buch groß gesetztes Zitat des Architekten Eyal Weizman (man kennt ihn auch als Gründer von Forensic Architecture) beschreibt Partizipation als „eine Reihe von Konflikten, Verhandlungen, Manövern und Betrügereien zwischen und innerhalb einer Vielzahl von Akteuren“, doch beherzt wird diese nüchterne Analyse kaum. Irgendwann nervt die ungebrochen gute Laune auf den Bildern und in den Texten.

Was praktisch getan werden kann

Der Stichwortgeber Ivan Illich war in engem Kontakt mit John F. C. Turner, dem Pionier des informellen Selbsthilfe-Bauens in Armutsquartieren von Peru. Und wie das im Buch diskutierte „upcycling“ zur ästhetischen und sozialen Reife getrieben werden kann, zeigt das 1993 gegründete Rural Studio der US-amerikanischen Auburn University überzeugend. Dort lernen Architekturstudierende nämlich, gute Gebäude für arme Gemeinden im ländlichen „Black Belt“ Alabamas nahezu kostenneutral zur Verfügung zu stellen.

„Aber die Holzschiffe / waren nur ein Hippie-Traum“, sang Neil Young 1986 in seinem dystopischen „Hippie-Dream“-Song. Die geselligen Baustellen der Urbanen Praxis konstruieren als wunderbares Projekt des Miteinanderseins den Frieden der Hütten. Doch was ist mit dem Krieg gegen die Paläste, den der Schriftsteller Georg Büchner zudem einforderte?

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