Graphic Novel „Genossin Kuckuck“: Traum und Trauma
Zum Erscheinen ihrer autobiografischen Bilderzählung „Genossin Kuckuck“ wird Anke Feuchtenberger mehrfach Thema auf dem Comicfestival Hamburg.
Finster sind die Zeichnungen in „Genossin Kuckuck“. Es scheint unmöglich, sie restlos zu verstehen, aber umso leichter ist es, sie in aller Bitterkeit nachzufühlen. Schneckenmenschen schleppen vom Gift vertrocknete Gefährtinnen ans Wasser. Ein nacktes Mädchen flieht vor den Jungs, und die Hündin Mona wird die Jagd auf den Keiler verlieren – als sie zurückkommt, quillt ihr das Gedärm aus dem Bauch.
Anke Feuchtenbergers Comics sind selten leichte Kost, dafür wissen sie wohl einfach zu viel von der Natur des Menschen, von Gewalt und verdrängter Sexualität. Doch selbst an ihrem übrigen Werk gemessen wirkt ihr soeben bei Reprodukt erschienener Band „Genossin Kuckuck“ unerwartet abgründig. Vielleicht weil die düstere Fabel so was wie Anke Feuchtenbergers Autobiografie ist.
Über 13 Jahre hat die Künstlerin an diesen rund 450 Seiten gearbeitet und da es nun endlich fertig ist, fällt die Veröffentlichung zusammen mit einer ganzen Reihe Feuchtenberger betreffende Angelegenheiten. Im Textem-Verlag erscheint fast zeitgleich das von Andreas Stuhlmann und Ole Frahm herausgegebene Buch „Die Königin Vontjanze“, ein umfangreicher Sammelband wissenschaftlicher Betrachtungen ihres Werks. In Feuchtenbergers eigenem Mami-Verlag legen 48 ihrer ehemaligen Schüler:innen an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) eine Anthologie vor.
Außerdem hat das Ende September stattfindende Comicfestival Hamburg Feuchtenberger in diesem Jahr die Hauptausstellung gewidmet. Am 27.9. fand dort ein Symposium über ihre Bedeutung für das grafische Erzählen statt: also über die längst internationale Strahlkraft ihrer Arbeiten und mehr oder weniger erfolgreiche Versuche der Comicforschung, ihr vielschichtiges und die Grenzen der Gattung strapazierendes Werk zu durchdringen.
Lehrerin der Avantgarde
Auch wenn diese Projekte nicht unabhängig voneinander entstanden sind, ist das doch ein bemerkenswerter Auftritt für eine Künstlerin, die zwar seit Jahrzehnten Expert:innen begeistert, mit einem nicht unbedeutenden Teil ihres Tuns aber doch eher im Hintergrund wirkt: Da ist etwa die HAW, an der Feuchtenberger seit mehr als 25 Jahren lehrt.
Ihre Schüler:innen haben die Kunstform Comic auf den Kopf gestellt und zählen heute zu den prägenden Stimmen des Subgenres Graphic Novel, darunter Birgit Weyhe, Barbara Yelin, Line Hoven, Sascha Hommer oder Simon Schwarz. Und so dicke das klingen mag: Die Erfolgsgeschichte des deutschsprachigen Kunstcomics und der heute internationalen Anziehungskraft hiesiger Hochschulen beginnt nicht nur mit Anke Feuchtenberger, sondern hätte ohne sie wohl auch nicht stattgefunden.
Dabei stammt Feuchtenberger selbst gar nicht aus der Comic-Bubble. 1963 in Ostberlin geboren, hat sie ihre Kindheit in der DDR verbracht, ästhetisch vorgeprägt von tschechischen Märchen und russischer Avantgarde. Das Zeichnen beginnt sie mit 15 Jahren. Inspiration und Zusammenarbeit findet sie am Theater, wo sie für freie Gruppen Kostüme herstellt, Puppen und Plakate entwirft. Studieren wird sie schließlich Bildhauerei und Grafik an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee.
Mit Comic als Gattung kommt Feuchtenberger erst nach dem Mauerfall in Kontakt. Da ist sie fast 30 und längst über die ersten Schritte hinaus, entlang von Theaterszenen und -tableaus einen eigenen Stil zeichnenden Erzählens zu entwickeln. Und auch wenn sie bald Aufmerksamkeit erregt und ankommt in der Szene, hat sie doch wenig Ambitionen, den Status quo des West-Comics aufzuholen. Sie hat Wichtigeres vor.
Feuchtenbergers Bildsprache ist fantastisch, metaphorisch und nicht immer leicht zu verstehen, weil sie nicht so recht trennt zwischen einer erzählten Handlung und dem, was sie psychologisch mit einem macht. Traum und Trauma liegen hier sehr dicht beieinander. Feuchtenberger arbeitet zu Weiblichkeit und Gewalt – ist immer zutiefst politisch, feministisch, aber nie so, dass sie die Kunst Engagement oder Aktivismus unterordnen würde. Was die handwerklichen Genrekonventionen des Comics angeht, übernimmt sie, was sie gebrauchen kann, und lässt den Rest beiseite.
Bis heute erwächst die Dynamik von Feuchtenbergers Erzählungen nur selten aus den Figuren, sondern vielmehr aus der Abfolge ihrer Panels. Wie die Kameraführung in einem sehr ruhigen Film schaut sie sich in Landschaften um, verharrt bei mitunter surrealen Objekten und Figuren, die sie zwar außerordentlich präzise tuscht und zeichnet – meist schwarz in schwarz –, die insgeheim aber eher metaphorischen Verweisen zu folgen scheinen als physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Sprechblasen verwendet sie sparsam und selbst in den aufwendig geletterten und poetisch-wortgewaltigen Paratexten fasst sie sich in der Regel eher kurz.
Es ist nicht jedermanns Geschmack, aber doch unbestreitbar, dass die typischen HAW-Graphic-Novels einen harten Einschlag zur Illustration und Bildergeschichte haben und nur wenig vom rasanten Witz frankobelgischer oder auch amerikanischer Comics. Aber obwohl sich Feuchtenbergers Handschrift durchaus auch in den Arbeiten ihrer Schüler:innen wiederfinden lässt, geht sie selbst doch erstaunlich wenig auf in dem von ihr gestifteten Genre.
Anke Feuchtenberger: „Genossin Kuckuck“, Reprodukt 2023, 448 S., zweifarbig mit Goldschnitt, 44 Euro
Andreas Stuhlmann, Ole Frahm (Hrsg.): „Die Königin Vontjanze: Kleiner Atlas zum Werk von Anke Feuchtenberger“, Textem-Verlag 2023, 292 S., 23 Euro
Jul Gordon, Brigitte Helbling, Magdalena Kaszuba, Birgit Weyhe (Hrsg.): „Tandem – In der Lehre bei Anke Feuchtenberger“, Mami-Verlag 2023, 240 S. mit Klappen, 25 Euro
Ganz besonders im neuen „Genossin Kuckuck“ steht all das mit gleichem Recht nebeneinander: ein detailreich durch sechs, sieben, acht Panels gejagter Schminkvorgang im Badezimmer, scheinbar ewig ruhende Landschaftsbilder und metaphernsatte Seiten voller Symbole und spielerischem Lettering.
Feuchtenbergers Opus magnum verspricht der PR-Text über „Genossin Kuckuck“. Damit hat er wohl recht. Nicht nur zeichnerisch und kompositorisch ist der umfangreiche Band ein Meisterstück. Auch inhaltlich beeindruckt, mit welcher Empathie und scharfsinniger Beobachtung Feuchtenberger ihr kindliches Selbst befragt und über allerprivateste Beziehungen den Bogen schlägt zum großen sozialen Rahmen: zum Leben in der DDR, zu Kriegstraumata, Missbrauch, russischen Freunden und dem Untergang der ganzen Sache.
„Genossin Kuckuck“ ist kein angenehmes Buch, es ist wunderschön und quälend zugleich, weil es zwar eine konkrete historische Situation beackert, aber eben doch auch sehr grundsätzlich an den Sollbruchstellen des Seelenhaushalts herumnagt. Es ist so was wie die Essenz von Anke Feuchtenbergers Schaffen und wird künftig als der entscheidende Referenztitel für Fans und Forschung gleichermaßen gelten. Beide dürfen sich freuen, über das Buch und weil mit dem Hamburger Symposium ein so umfangreiches wie vielversprechendes Programm bevorsteht.
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