Berlin-Serie Capital B: Anarchie und Größenwahn
Eine Dokuserie zeigt die Geschichte Berlins seit dem Mauerfall. Trotz aller Widerstände wurde die Stadt so, wie es sich die CDU-Riege damals ausmalte.
Am Anfang wollte Florian Opitz selbst nicht daran glauben: Wenn er nach einer Dokumentation suche, wie Berlin seit dem Mauerfall zu dem geworden ist, was es heute ist, müsse er nur in eine Bibliothek gehen, so seine Überzeugung. Doch der Filmemacher wurde nicht fündig. Also machte er sich, sechs Jahre ist das schon her, selbst an das Projekt, die jüngere Geschichte der Stadt zu erzählen. Nun kann man das Ergebnis der Arbeit sehen: die 5-teilige Doku-Serie „Capital B – Wem gehört Berlin?“
In kleineren Städten würde man wohl von einem gesellschaftlichen Event allerersten Ranges sprechen, angesichts des großen Bahnhofs rund um die Premiere am Montagabend im Säälchen am Holzmarkt, bei der Opitz sein Bonmot zum Besten gab. In Berlin natürlich juckt es naturgemäß keine Sau, wenn mitten in Yuppiehausen ein paar Protagonist:innen der Stadtentwicklung zum gemeinsamen Kinoabend zusammenkommen. Muss es auch nicht. Das ist ja auch der Charme dieser Stadt. Doch für alle, denen Berlin etwas bedeutet, gilt dennoch: Guckbefehl!
Dabei hat Marion Brasch, Radiomoderatorin und gebürtige Ostberlinerin, eigentlich so recht mit ihren den Abend einleitenden Worten. Also nicht mit der Bezeichnung der Serie als „Capital Bra“, sondern mit der so berlintypischen Selbstüberzeugung: „Soll mir erstma jemand wat Neuet erzählen über eene Stadt, in der ick jeborn bin.“
Und dann kommt da diese wuchtige Doku von einem zugezogenen Süddeutschen, der sich chronologisch von 1989 an durch die Zeit wühlt. Die ersten beiden Folgen erzählen von Techno und Mauerfall, Hausbesetzungen und Bauboom, und man denkt nicht etwa, „kenn ick schon“, sondern eher so: Wow.
Zum guten Teil liegt das an den Archivbildern, die Opitz und sein Team zu Tage befördert haben, vieles davon nie gesehen und künstlerisch verwoben mit den Bildern des heutigen Berlin, die nichts, aber auch gar nichts mehr mit der Stadt von vor mehr als 30 Jahren zu tun haben.
Zum anderen begründen das Wow die tragenden Figuren der Serie. 25 Gesprächspartner:innen, allesamt auf die ein oder andere Weise prägend für die Stadt, von Klaus-Rüdiger Landowsky und Andrej Holm bis Klaus Wowereit und Kool Savas.
Erzählung der Gegensätze
Sie alle brauchen keinen verbindenden Kommentar, sondern zeichnen in ihren Widersprüchen eine Erzählung der Vielschichtigkeit. Auf Erinnerungen Eberhard Diepgens (CDU), der bräsig aus einem Ledersessel heraus seine Leistungen als Vor- und Nachwende-Bürgermeister hervorhebt, folgt zuverlässig eine Kommentierung von Renate Künast (damals Alternative Liste) oder dem Häuserkämpfer Sandy Kaltenborn.
Von „Protagonisten“ sprach Brasch – also den Künstler:innen, Aktivist:innen und Linken – sowie von „Antagonisten“ – den konservativen Politikern und Baulöwen. Anwesend waren bei der Premierenfeier nur Mitglieder der ersten Gruppe.
Den Antagonisten aber muss das nichts ausmachen, denn Berlin ist geworden, wie sie es sich nach der Wende vorgestellt haben. Zeigt der erste Teil – „Sommer der Anarchie“ – noch vor allem das Lebensgefühl der aufbrechenden Generation in Ost und West, das Suchen nach Freiräumen im runtergerockten Ostberlin mit dem Gefühl „Uns gehört die Stadt“, endet dieses abrupt mit der Räumung der Mainzer Straße – der „Machtdemonstration nach der Regellosigkeit“, wie es heißt.
In Teil 2 – „Größenwahn“ – ist der Niedergang dann bereits angelegt. Da malen die Diepgens und Landowskys ihre Version der Stadt, die auf 4 Millionen Einwohner:innen wachsen, Parlament und Konzernzentralen beheimaten soll. Da werden, während die Protagonist:innen im Tresor dem Hedonismus frönen, die Filetgrundstücke der Stadt verhökert.
Es gibt zwar die Realität der „Stadt der Döner und alleinerziehenden Mütter“, wie Holm sagt, aber gleichzeitig den Größenwahn der Konservativen, die wieder Metropole werden wollten. Wie sie gewonnen haben – oder was noch bleibt –, sieht man ab jetzt in der Arte-Mediathek und am 3./4. Oktober auch so im Fernsehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Nahost-Konflikt vor US-Wahl
„Netanjahu wartet ab“
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Anschläge auf „Programm-Schänke“
Unter Druck
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Grundsatzpapier des FInanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik