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Berlin-Serie Capital BAnarchie und Größenwahn

Eine Dokuserie zeigt die Geschichte Berlins seit dem Mauerfall. Trotz aller Widerstände wurde die Stadt so, wie es sich die CDU-Riege damals ausmalte.

Eberhard Diepgen und Klaus-Rüdiger Landowsky (rechts) schwingen den ganz großen Hammer Foto: dpa

Am Anfang wollte Florian Opitz selbst nicht daran glauben: Wenn er nach einer Dokumentation suche, wie Berlin seit dem Mauerfall zu dem geworden ist, was es heute ist, müsse er nur in eine Bibliothek gehen, so seine Überzeugung. Doch der Filmemacher wurde nicht fündig. Also machte er sich, sechs Jahre ist das schon her, selbst an das Projekt, die jüngere Geschichte der Stadt zu erzählen. Nun kann man das Ergebnis der Arbeit sehen: die 5-teilige Doku-Serie „Capital B – Wem gehört Berlin?“

In kleineren Städten würde man wohl von einem gesellschaftlichen Event allerersten Ranges sprechen, angesichts des großen Bahnhofs rund um die Premiere am Montagabend im Säälchen am Holzmarkt, bei der Opitz sein Bonmot zum Besten gab. In Berlin natürlich juckt es naturgemäß keine Sau, wenn mitten in Yuppiehausen ein paar Prot­ago­nis­t:in­nen der Stadtentwicklung zum gemeinsamen Kinoabend zusammenkommen. Muss es auch nicht. Das ist ja auch der Charme dieser Stadt. Doch für alle, denen Berlin etwas bedeutet, gilt dennoch: Guckbefehl!

Dabei hat Marion Brasch, Radiomoderatorin und gebürtige Ostberlinerin, eigentlich so recht mit ihren den Abend einleitenden Worten. Also nicht mit der Bezeichnung der Serie als „Capital Bra“, sondern mit der so berlintypischen Selbstüberzeugung: „Soll mir erstma jemand wat Neuet erzählen über eene Stadt, in der ick jeborn bin.“

Und dann kommt da diese wuchtige Doku von einem zugezogenen Süddeutschen, der sich chronologisch von 1989 an durch die Zeit wühlt. Die ersten beiden Folgen erzählen von Techno und Mauerfall, Hausbesetzungen und Bauboom, und man denkt nicht etwa, „kenn ick schon“, sondern eher so: Wow.

Zum guten Teil liegt das an den Archivbildern, die Opitz und sein Team zu Tage befördert haben, vieles davon nie gesehen und künstlerisch verwoben mit den Bildern des heutigen Berlin, die nichts, aber auch gar nichts mehr mit der Stadt von vor mehr als 30 Jahren zu tun haben.

Zum anderen begründen das Wow die tragenden Figuren der Serie. 25 Gesprächspartner:innen, allesamt auf die ein oder andere Weise prägend für die Stadt, von Klaus-Rüdiger Landowsky und Andrej Holm bis Klaus Wowereit und Kool Savas.

Erzählung der Gegensätze

Sie alle brauchen keinen verbindenden Kommentar, sondern zeichnen in ihren Widersprüchen eine Erzählung der Vielschichtigkeit. Auf Erinnerungen Eberhard Diepgens (CDU), der bräsig aus einem Ledersessel heraus seine Leistungen als Vor- und Nachwende-Bürgermeister hervorhebt, folgt zuverlässig eine Kommentierung von Renate Künast (damals Alternative Liste) oder dem Häuserkämpfer Sandy Kaltenborn.

Von „Protagonisten“ sprach Brasch – also den Künstler:innen, Ak­ti­vis­t:in­nen und Linken – sowie von „Antagonisten“ – den konservativen Politikern und Baulöwen. Anwesend waren bei der Premierenfeier nur Mitglieder der ersten Gruppe.

Den Antagonisten aber muss das nichts ausmachen, denn Berlin ist geworden, wie sie es sich nach der Wende vorgestellt haben. Zeigt der erste Teil – „Sommer der Anarchie“ – noch vor allem das Lebensgefühl der aufbrechenden Generation in Ost und West, das Suchen nach Freiräumen im runtergerockten Ostberlin mit dem Gefühl „Uns gehört die Stadt“, endet dieses abrupt mit der Räumung der Mainzer Straße – der „Machtdemonstration nach der Regellosigkeit“, wie es heißt.

In Teil 2 – „Größenwahn“ – ist der Niedergang dann bereits angelegt. Da malen die Diepgens und Landowskys ihre Version der Stadt, die auf 4 Millionen Ein­woh­ne­r:in­nen wachsen, Parlament und Konzernzentralen beheimaten soll. Da werden, während die Prot­ago­nis­t:in­nen im Tresor dem Hedonismus frönen, die Filetgrundstücke der Stadt verhökert.

Es gibt zwar die Realität der „Stadt der Döner und alleinerziehenden Mütter“, wie Holm sagt, aber gleichzeitig den Größenwahn der Konservativen, die wieder Metropole werden wollten. Wie sie gewonnen haben – oder was noch bleibt –, sieht man ab jetzt in der Arte-Mediathek und am 3./4. Oktober auch so im Fernsehen.

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4 Kommentare

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  • Genius huius loci.

  • Aus geschichtlicher Neugier habe ich mir die fünf Folgen in zwei Blocks angeschaut und war zu Beginn noch relativ von der Dokuinszenierung angetan, vor allem weil ich selbst einmal in Berlin gelebt habe und zum anderen, die Entwicklung der Stadtpolitik immer medial verfolgt habe. Irgendwann fiel mir dann auf, dass sich Optitz lediglich auf eine Handvoll Politiker und eine größere Anzahl Subszene fokussiert hatte, was mir angesichts der gesamten Transformation der nun neuen Stadt zu dünn war, denn es kamen zu wenige Protagonisten des "gemeinen" Volkes mit der Schnodderschnauze vor und auch wie sich die Stadt in der Hochkultur weiterentwickelt hat, was eine ebenso spannende Geschichte von Geld und Macht bedeutete. Die Kultur wurde dermaßen hochgepäppelt, weil sich Berlin als kulturelle Metropole gegen Paris, London und Wien nach dem Willen der Oranisatoren aus Politik und Kulturbusiness behaupten wollte und weltweit die Karawane der Kunstsüchtigen anzulocken gedachte. Die Milliarden, die für die Bodeinsel und viel andere Kunst- und Kulturpaläste im Baugrund der Stadt verschwanden dienten nicht nur der Hebung des Renommes der City, sondern brachte vielen Insidern der Kultur mehr als nur Ruhm und beachtung ein. Geld, was sich aber im gegensatz zu den immensen Kosten nicht amortisierte, sondern allen Steuerzahlern aufgebürdet wurde, auch denjenigen, die sich nicht für die Zirkusnummern der Elitekünstlerinnen interessierten, Eliason, Hirst, Koons, Richter, Saraceno oder anderen, die über die documenta und die Biennalen eine Treppe im Turm der Reüssierten aufgestiegen waren. Lediglich die Verhüllung des Reichstages wurde erwähnt, wobei ausgelassen wurde, dass Christo und Jeanne Claude ihr Monumentalwerk ohne institutionelle Finanzspritzen der Stadt beanspruchten. Die sieben Millionen Besucher sahen das, was die beiden Künstlerinnen als Label versprachen: Spektakel größter Dimension. Wo wurde die Kunstszene der Stadt aufgegriffen, Fazit Null. Muss man nicht sehen.

    • @LeNoir:

      ich bin in berlin wedding aufgewachsen, habe die zeiten miterlebt und mich in der doko absolut nicht wiedergefunden. gut aufgemacht, interessantes filmmaterial ans licht gefördert, aber streng der eigenen ideologie folgend aufgebaut und geschnitten. das ist mir zu eindimensional, zu sehr aus der heutigen zeit beurteilt, weniger im kontex der der damaligen zeit. wer selber berlin in der zeit nicht erlebt hat, bekommt durch die doku nur ein stark fokussiertes scheibchen berlin und zeitgeist geliefert.

    • @LeNoir:

      Es wäre evtl interessant gewesen, wenns vor der Wahl rausgekommen wäre.

      Jetzt ist es nur mehr ein Überblick über das same old same old, das war, und das nun wiederkommt.