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Berlin hat zu wenig entsiegelte FlächenUnterm Pflaster ist es zu trocken

Alle reden von der „Schwammstadt“. In Friedrichshain-Kreuzberg wollen BürgerInnen selbst eine Straße teilentsiegeln. Doch so einfach geht es nicht.

So geht Entsiegelung: Von Anwohnern angelegte Blumenwiese am Kreuzberger Landwehrkanal Foto: Wolfgang Borrs

Berlin taz | An der Ohlauer Straße, die vom Görlitzer Park zum Landwehrkanal führt, stehen Linden. Bei etlichen wirkt die Baumkrone im unteren Bereich welk: Hier haben sich Spinnmilben, winzige Parasiten, an den Blättern gütlich getan. Auch wenn die Bäume wieder neu austreiben, stellt der Befall eine Schwächung dar – befördert durch die jahrelange Trockenheit, unter denen das Berliner Stadtgrün gelitten hat.

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Kein Wunder, findet die Initiative „Reichenberger Kiez für alle“: Die Baumscheiben, also die ungepflasterten Flächen rund um die Stämme, sind viel zu klein, und der größte Teil der Niederschläge findet nie den Weg zu den Wurzeln – obwohl der sogenannte Unterstreifen zwischen Gehweg und Bordsteinkante mit dem typischen Berliner Kleinpflaster bedeckt ist, das den Boden nicht hermetisch abschließt.

„Bei einem kurzen Starkregen läuft das meiste schnell ab, und bei sehr leichtem Regen verdunstet das meiste von der Oberfläche der Steine“, sagt Fiete Rohde, der in der Ohlauer Straße wohnt und sich in der Initiative engagiert. „Dass wirklich 25 Prozent des Wassers versickern, wie es offiziell heißt, kommt sehr selten vor.“ Auf die Baumscheiben selbst falle kaum Regen, solange die Bäume belaubt sind.

Jetzt soll sich etwas ändern: In einem freundlichen Schreiben haben die AGs „Entsiegel-Truppe“ und „Kiezgrün“ der Initiative Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann und Umweltstadträtin Annika Gerold (beide Grüne) sowie die zuständigen Ämter über eine Entsiegelungsaktion in Kenntnis gesetzt. Am 30. September sollen „mindestens hundert Bürger:innen“ antreten, um Kleinpflastersteine aus dem Boden zu hebeln und mehr als 200 Quadratmeter durchlässige, begrünbare Fläche zu schaffen. Man hoffe auf die „geschätzte Unterstützung“ des Bezirksamts und freue sich „auf die gemeinsamen Abstimmungsschritte“.

Aufs Straßengesetz über Geh- und Radwege verwiesen

Trotz des charmanten Tons und mitgelieferten Entwürfen, wo genau das Pflaster entfernt werden soll, hatten die AktivistInnen dort jedoch keinen Erfolg: „Die von Ihnen geplante Entsiegelung in der Oh­lauer Straße wird durch das Straßen- und Grünflächenamt abgelehnt“, heißt es in der Antwort trocken. Zur Begründung wird auf die „Ausführungsvorschriften zu Paragraf 7 des Berliner Straßengesetzes über Geh- und Radwege“ verwiesen, nach denen der Gehwegunterstreifen „grundsätzlich in Mosaikpflaster verlegt“ werde. Daran sei man gebunden.

Hier könnte man doch allerhand Fläche entsiegeln: Blick in die Ohlauer Straße in Kreuzberg Foto: Wolfgang Borrs

Zudem dürften Privatpersonen keine Arbeiten im öffentlichen Straßenland ausführen, heißt es in der E-Mail, die der taz vorliegt. Das dürften nur „Fachfirmen, die im ULV (Amtliches Unternehmer- und Lieferantenverzeichnis) als Steinstraßenbaufirma eingetragen sind“. Sollte die Aktion stattfinden, handele es sich um eine „Ordnungswidrigkeit, die durch das Bezirksamt geahndet würde“.

Die von Ihnen geplante Entsiegelung wird durch das Straßen- und Grünflächenamt abgelehnt

Bezirksamt FHX

Auch wenn die Absage vielleicht nicht ganz überraschend kam – ein bisschen hatte die Initiative doch auf einen Beschluss der BVV Friedrichshain-Kreuzberg vom 28. Juni gesetzt. Darin fordert das Bezirksparlament das Bezirksamt auf, „es Anwohnenden, Gruppen und Vereinen auf niedrigschwelligen Antrag (verstärkt) kurzfristig zu ermöglichen, in Kooperation mit dem Bezirksamt Baumscheiben zu vergrößern, Parkplätze zu entsiegeln sowie Grünflächen zu pflegen und Fußwege in Teilen (Gehwegunterstreifen) zu entsiegeln, wo dies ohne Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit und Barrierefreiheit möglich ist“.

Das Bezirksamt solle dafür Fördermittel beim Senat anwerben, heißt es in dem Beschluss, der auf einen Antrag der linken Bezirksverordneten Karolin Behlert zurückgeht. Die Bedingungen für solche Entsiegelungen seien auf der bezirklichen Website „mit einem Hinweis auf das Handbuch Gute Pflege“ zu veröffentlichen, wie es jetzt schon für die Begrünung von Baumscheiben gilt. Künftig solle dort auch darüber informiert werden, wie man am besten an Pflanzmaterial, Leihwerkzeug oder Fördermittel komme.

„Unorthodoxen Lösungen“

Für Behlert liegt die Dringlichkeit auf der Hand: „Berlin will zur Schwammstadt werden, gleichzeitig ist ein Drittel bebaut, asphaltiert oder sonst wie versiegelt“, sagt sie der taz. In ihrem Bezirk seien es sogar rund 65 Prozent der Fläche. Um schnell ein „klügeres Regenwassermanagement“ zu erreichen – ein Ziel, das politisch von allen politischen Lagern in der Stadt geteilt wird –, müsse man „auch mal gemeinsam nach unorthodoxen Lösungen suchen“. Weil den Bezirksämtern die Ressourcen fehlten, sollen Anwohnende in die Bresche springen können.

Dass dem Bezirksamt aus einem BVV-Beschluss keine direkte Verpflichtung erwächst, weiß Behlert natürlich – und auch, dass Vorschriften Vorschriften sind: „Der bürokratische Wahnsinn ist eben Teil des Alltags.“ Sie hätte sich aber gewünscht, dass das Bezirksamt seine Skepsis schon im BVV-Ausschuss klarer erläutert hätte, so die Linken-Politikerin: „Dann hätte man gemeinsam am Text feilen können.“

Sie kann auch in den Ausführungsvorschriften zumindest Spielräume erkennen. Etwa wenn es dort in der Vorbemerkung heißt, „auf begründeten Antrag“ könne von den Regeln abgewichen werden. In Lichtenberg, so Behlert, sei auch schon eine Entsiegelungsaktion ohne Fachfirma möglich gewesen: Dort habe der Naturschutzbund Nabu zusammen mit dem Bezirksamt Gehwegplatten in einer Grünanlage entfernt. „Es ist einfach ärgerlich, dass noch von Ordnungswidrigkeiten gesprochen wird, wenn die Natur vor die Hunde geht“, findet die Linke.

Fiete Rohde, der als Initiator des gemeinnützigen Vereins KIEZconnect auch sonst nach Methoden sucht, um Akteure zu vernetzen, sieht das genauso. Angesichts der Notwendigkeit, die Stadt schnell klimaresilient zu machen, hält er „bürgerschaftliche Entsiegelung“ für einen „echten Zauberstab“. Dass die Planer in der Bezirksverwaltung „in ihrer beruflichen Laufbahn hoheitliches Denken gelernt haben“, will er ihnen gar nicht verdenken. Dass die Politik das nicht aufbricht – gerade die Grünen, die den Bezirk dominieren –, stört ihn schon mehr. „Denen fehlt es auch an Entschlusskraft, weil sie Angst haben, dass dann gegen sie Stimmung gemacht wird“, glaubt Rohde. „Im Graefekiez hat die CDU das ja geschafft.“

Im Sinne des Guerilla Gardening

Dort dampfte das Bezirksamt zuletzt einen geplanten Verkehrsversuch massiv ein, bei dem zeitweilig die meisten Parkplätze wegfallen sollten. Der Grund: Die CDU hatte eine Kampagne dagegen gestartet und erfolgreich Stimmen für einen Einwohnerantrag gesammelt. Auch dort übrigens sollten viele der freiwerdenden Flächen entsiegelt werden – in dem überschaubaren Bereich, der von dem Experiment verblieben ist, wurde das mittlerweile auch durchgeführt.

Was weiterhin fehlt, ist ein Entsiegelungskonzept für den Bezirk, mit dem das Bezirksamt schon 2021 von der BVV beauftragt wurde. Laut Pressestelle geht es aber voran: „Derzeit baut das Straßen- und Grünflächenamt in einer Vielzahl von Pilotprojekten die notwendige Expertise für ein dezentrales Regenwassermanagement auf“, heißt es auf taz-Anfrage.

Genannt werden außer dem Grae­fekiez der Lausitzer Platz und die Waldeyerstraße im Samariterviertel, hinzu kämen noch die Krautstraße, das Görlitzer Ufer und die Bergmannstraße. In der Summe würden „rund 2.000 Quadratmeter Straßenland entsiegelt“.

Dass ziviles Entsiegeln manchmal auch ohne den Segen der Verwaltung geht, zeigen übrigens zwei kleine Wiesenflächen neben dem Bouleplatz am Paul-Lincke-Ufer, unweit der Ohlauer Straße: Hier blühen in diesem Sommer Nachtkerzen, Kapuzinerkresse und Stockrosen wild durcheinander, wo vorher Pflastersteine lagen. Anwohnende hatten hier im Sinne des Guerilla Gardening einfach zu Hacke und Spaten gegriffen. Ganz unglücklich scheint mit dem Ergebnis eigentlich niemand zu sein – von einem Rückbau ist jedenfalls nicht Rede.

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