Arbeitsbedingungen in der Paketbranche: Zusteller bleiben schutzlos

In der Paketbranche sorgen vor allem dubiose Subunternehmer für katastrophale Arbeitsbedingungen. Gewerkschaften kämpfen für ein Verbot.

Ein DHL Mitarbeiter steht vor einem Sortierband mit zahlreichen Paketen unterschiedlicher Größe.

Alle großen Logistikdienstleister beschäftigen fragwürdige Subunternehmen – nicht nur Amazon Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

HANNOVER taz | Die Fallsammlung, die Tina Morgenroth vom Projekt „Faire Mobilität“ vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) mitgebracht hat, ist deprimierend. Ver.di hatte in Hannover zu einer Diskussion über die Zustände in der Paketbranche eingeladen. Morgenroth stellte einige Fälle aus der Beratungspraxis vor.

Nahezu alle Unternehmen in der Paketdienst-Branche setzen auf „fragwürdige Sub-Subunternehmerketten“, sagt sie. Die Zustände ähneln denen in der Fleischindustrie. Unternehmen wie Amazon, DHL Express, Hermes, GLS, DPD und UPS lagern die Verantwortung für die Arbeiter, die in ihrem Auftrag Pakete ausliefern, einfach aus.

Viele dieser Subunternehmer wenden sich gezielt an Migranten, werben damit, dass man für diesen Job kein Deutsch können muss. Sie lassen sie einen für sie unverständlichen Wust aus deutschen Papieren unterschreiben – in denen in manchen Fällen nicht nur der Arbeitsvertrag, sondern auch gleich der Aufhebungsvertrag steckt.

Der wird dann mitunter datiert, wie es gerade passt, zum Beispiel wenn ein Mitarbeiter angesichts der Dauerüberlastung krank wird. Häufig werden die geleisteten Arbeitsstunden nicht ordentlich und vollständig dokumentiert.

Effektive Kontrollen gibt es nicht

Kontrollen müssen die Betriebe kaum fürchten, sagt Morgenroth. Dazu müssten sich die unterschiedlichen Stellen wie Zoll und Arbeitsschutzbehörden abstimmen – und das auch noch landesübergreifend, denn natürlich haben viele Subunternehmer ihren Unternehmenssitz sicherheitshalber weit weg vom Auftraggeber.

Und wenn es doch einmal Ärger gibt? Dann verschwinden diese Unternehmen manchmal einfach, gehen Konkurs, sorgen dafür, dass Arbeitnehmer wie Gerichtsvollzieher nicht viel mehr antreffen als eine leere Garage und einen Zettel am Tor. Die Inhaber eröffnen teils eine neue Firma, berichten die Betroffenen in den Beratungsstellen.

Die Arbeitnehmer haben so Mühe, auch nur ein Minimum an Ansprüchen durchzusetzen. „Migrant*innen aus EU-Staaten haben oft Schwierigkeiten, auch nur Arbeitslosengeld I zu beantragen“, sagt Morgenroth.

„Oft liegen keine schriftlichen Kündigungen vor oder die ehemaligen Arbeitgeber weigern sich, ihrer Pflicht nachzukommen und eine Arbeitsbescheinigung auszustellen.“ Dauer und Umfang des Arbeitsverhältnisses seien so nicht richtig nachzuweisen.

Arbeitnehmer können Rechte kaum geltend machen

Einen Anspruch auf Bürgergeld haben viele Betroffene, vor allem aus Osteuropa, aber eben nicht. Weil der Arbeitgeber oft auch die Unterkunft stellt, sitzen Betroffene bei Jobverlust sofort auf der Straße.

Bei Geflüchteten kommen weitere Probleme hinzu: Arbeitsbescheinigungen sind an das konkrete Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber geknüpft. Das schafft zusätzliche Abhängigkeiten, weil die Betroffenen im Fall einer Kündigung Schwierigkeiten mit der Ausländerbehörde oder sogar die Abschiebung fürchten.

Auch Gerichtsverfahren laufen so ins Leere oder ziehen sich lange hin: Wenn Vorladungen nicht zugestellt werden können oder Arbeitgeber zu Verhandlungen nicht auftauchen, geht es eben erst einmal nicht weiter.

DGB und Ver.di trommeln deshalb schon länger für ein Verbot dieser Art von Subunternehmer – analog zum Verbot der Werkverträge und Leiharbeitsunternehmen in der Fleischindustrie. „Dass Unternehmen dennoch andere Schlupflöcher finden, kann ich nicht ausschließen“, räumt Morgenroth ein.

Aber es mache schon einen erheblichen Unterschied, wenn es – gerade bei Problemen – verbindliche Ansprechpartner im Betrieb gibt, bei denen man seine Anliegen vortragen oder Ansprüche geltend machen kann.

„Oder ein Kollegium, welches nicht in ständiger Konkurrenz zueinander arbeitet, sondern am Ende sogar Mitbestimmung lebt“, so Morgenroth. „Außerdem: So ein Logistikstandort verschwindet ja nicht über Nacht – anders als kleine Subunternehmen, welche im Gewerbegebiet einen Garagenkomplex anmieten.“

Auch in den Logistikzentren gibt es Probleme

Zur von Ver.di organisierten Podiumsdiskussion sind allerdings auch zahlreiche Betriebsräte aus eben diesen Logistikzentren gekommen. Und sie machen deutlich, dass es dort noch ganz andere Probleme gibt: von der Verhinderung der betrieblichen Mitbestimmung, dem Aushöhlen der Branchentarifverträge bis hin zur Gesundheitsgefährdung durch viel zu schwere Pakete.

Ver.di fordert deshalb auch eine Gewichtsbegrenzung auf maximal 20 Kilogramm für Pakete, die von einer Person allein getragen werden müssen. Alles darüber hinaus sollte entsprechend gekennzeichnet und von mehreren Personen oder mit technischen Hilfsmitteln bewegt werden müssen.

Bei den auf dem Podium versammelten Bundestagsabgeordneten rannten die Gewerkschaft mit ihren Forderungen zumindest vordergründig offene Türen ein. An der konkreten Umsetzung der Gesetzesvorhaben wird allerdings noch gearbeitet.

Im Mai hatte auch der Bundesrat – unter anderem auf Initiative von Bremen und Niedersachsen hin – einen Entschließungsantrag verabschiedet, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, das sogenannte „Paketboten-Schutz-Gesetz“ von 2019 zu überarbeiten. Außerdem steht eine Novelle des Postgesetzes bevor.

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