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OstdeutschlandSachsen-Bashing? Es geht besser

Gastkommentar von Jakob springfeld

Klar, man kann auf den Osten wegen des Rechtsdralls dort einprügeln. Schlauer wäre es, den Ak­ti­vis­t*in­nen und Betroffenen vor Ort zu helfen.

Antifa-Demo am 2. September als Zeichen gegen die rechten Aufmärsche vom September 2018 Foto: Sebastian Willnow/dpa

I n Eisenhüttenstadt erhält ein 16-jähriges Mädchen Morddrohungen, weil sich Neonazis von seinem lokalpolitischem Engagement provoziert fühlen. In Halle wird eine Gruppe auf offener Straße rassistisch angegriffen, und in Sachsen steht die AfD in den Umfragen vorn. „Der Osten“ als deutsche Problemzone – wie passt es da ins Bild, dass im westdeutschen Bayern ein Ministerpräsident an seinem Vize festhält, der Antisemitismusvorwürfe als „Schmutzkampagne“ abtut?

Ziemlich gut. Ich bin in Zwickau aufgewachsen, der Stadt, in der der NSU jahrelang untertauchen konnte. Dass das extrem rechte Problem dieses Staates primär auf Ostdeutschland projiziert wird, kenne ich. In Westdeutschland blicke ich auf Lesungen immer wieder in schockierte Gesichter, wenn ich aus dem Alltag junger An­ti­fa­schis­t*in­nen in der sächsischen Provinz berichte. Dass in den sozialen Medien flapsige Sprüche wie „Sachsen raus“ zu lesen sind, wundert mich nicht. Doch diese Sprüche werden denen nicht gerecht, die sich hier Tag für Tag gegen Nazis engagieren.

Anstatt also plumpes Sachsen-Bashing zu betreiben, sollten wir den Ak­ti­vis­t*in­nen vor Ort zuhören und Betroffene unterstützen. Dafür gab es zuletzt zwei Möglichkeiten: den dritten CSD in Zwickau und eine antifaschistische Demonstration zum fünften Jahrestag der rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz.

Auf den Veranstaltungen demonstrierten jeweils rund 1.000 Menschen. Genau wie Leip­zi­ge­r*in­nen nicht immer mit dem erhobenen Finger auf das sächsische Hinterland zeigen sollten, sollten sich Menschen aus politisch besser aufgestellten Bundesländern mit zivilgesellschaftlichen Initiativen in Ostdeutschland vernetzen, statt nur zu pöbeln.

Gemeinsam als solidarische, gesellschaftliche Linke müssen wir uns den öffentlichen Raum zurückholen, Grabenkämpfe beenden und uns besser organisieren. Ja, das ist leichter gesagt als getan, aber ich glaube, dass wir gerade jetzt in der Lage dazu sind. Wo so viel Energie zur Empörung über das AfD-Umfragehoch ist, liegt auch Kraft für eigene Ziele.

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4 Kommentare

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  • "Gemeinsam als solidarische, gesellschaftliche Linke müssen wir uns den öffentlichen Raum zurückholen, Grabenkämpfe beenden und uns besser organisieren." Das klingt sehr gut, aber auch ausserhalb des Ostens klappt das nicht immer. Die Antifaschistische Aktion Ostrhauderfehn hat da auch so ein Problem, und zwar mit einer Gruppierung die sich sinnigerweise OAT, also Offenes Antifaschistisches Treffen, zu nennen pflegt. Auf ihrer Seite sind sie auch immer schnell dabei, wenn es darum geht, den Anschein zu erwecken, man müsse sich jetzt besser organisieren, dann aber gibt man Hinweise auf Aktionen in anderen Städten, ist aber selbst nie vor Ort. Wir, als die aktivste Gruppe in dieser Region, werden gar mit Hausverbot bei deren monatlichen Treffen belegt. Vor kurzer Zeit fand ganz in der Nähe der Kreisstadt ein Rechtsrockkonzert statt, dazu gab es eine von vielen Organisationen und ganz normalen BürgerInnen organiserte Mahnwache, auch dazu riefen die OAT Protagonisten auf, nur leider war ausser uns als AAO keine Antifaschistische Gruppe vor Ort. Was will ich damit sagen, solange es in dieser Szene Gruppen gibt, die lieber Plakate malen, in denen zum Klassenkampf aufgerufen wird, wird sich auch hier nichts ändern und die Rechten lachen sich tot. AAO, Kommando Simone Segouin

  • Vielleicht sollte der Autor auch mal reflektieren, dass sämtliche verantwortlichen Verfassungsschützer, Richter und Staatsanwälte im Beitrittsgebiet aus dem Westen kamen, darunter einige bekennende Rechte.



    Nicht umsonst gab es den Spruch, dass die Justiz in Sachsen auf dem rechten Auge blind ist. Der NSU konnte nur entstehen, weil er von rechten Verfassungsschützern wie Herrn Roewer in Thüringen aktiv gefördert wurde und andere westliche Verfassungsschützer weggesehen haben.



    Das war unter anderem der Nährboden für das was wir heute sehen.

  • 'Rechtsradikalismus wird primär auf Ostdeutschland projiziert'.



    Diese Formulierung impliziert, dass rechte Umtriebe unberechtigterweise überwiegend auf den Osten geschoben würden. Aber Sie selbst zählen doch etliche rechte Verbrechen auf, die im Osten begangen wurden. Niemand streitet ab, dass Solingen, Mölln und andere Morde auch im Westen stattfanden und weiter stattfinden. Aber die Zahlen sind nunmal höher im Osten und die Umfragewerte der AFD liegen auch doppelt so hoch wie im Westen. Und diese Feststellung richtet sich doch nicht gegen junge Antifaschisten im Osten. Ich jedenfalls



    seh da kein bashing von Ostdeutschen, sondern eine realistische Beschreibung der Situation.

  • Danke für den Beitrag. Ich was vor kurzem das erste Mal in Dresden, eine wunderschöne, freundliche Stadt. Ich bin bei Dir, pöbeln geht leicht, solidarisch Handeln und den öffentlichen Raum zurückgewinnen, zusammen nicht gegeneinander.