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Erinnerung an Carl-Ludwig ReichertUmsturz in München

Carl-Ludwig Reichert war eine wichtige Stimme der Gegenkultur. Nachruf auf einen Sänger, Schriftsteller, Pophistoriker und Urbayern.

Carl-Ludwig Reichert (1946-2023), ein hintersinniger bayerischer Multichecker Foto: Volker Derlath/SZ Photo

Nur selten gelang es, mit Carl-Ludwig Reichert längere Telefonate zu führen – immer erwartete er einen Rückruf, und manche von uns spotteten, Hollywood würde sich jetzt endlich bei ihm melden. Hollywood rief zwar nie an, trotzdem sollte die Leitung nicht zu lange besetzt sein.

So fasste sich Carl-Ludwig, dessen Lehrer ihm einst das „K“ für die Wandlung zum Karl-Ludwig ans Herz gelegt hatte, wenn er Karriere machen wolle, am Telefon immer kurz, mit leiser, fast brüchiger Stimme.

Kaum zu glauben, dass er als Sänger auf dem zweiten Album „Huraxdax Drudnhax“ der von ihm mit gegründeten Rockband Sparifankal das mindestens 16 Strophen umfassende Lied „D Schui brend, d Schui brend, d Kinda deafa hoam …“ voller Lebensfreude plärrte.

Schule brennt

Erst brennt die Schule, dann das Kaufhaus, das Kraftwerk, schließlich der Landtag, bis der Sänger „nimma weidablean“ (nicht mehr weiterplärren) mag, weil sonst ein niederbayerischer Anarchist 1979 auf dem Leitnerhof in Illbach seine Stimme verliert. („I ko jez nimma weidablean, i hob mei Schdim faloan“).

Christoph Lindenmeyer

Der Autor war von 1974 bis 1988 Mitglied der Redaktion von BR-Zündfunk, ab 1978 Redaktionsleiter

Zuvor spielte Reichert mit der Gruppe druud: „druud macht widerstandsmusik mit überwiegend bairischen texten, auf der straße, auf der wiese, im wald, im gebirg, im mietshaus, in der kanalisation …“ und wie später auch als Sparifankal in einem Dokfilm über Gastarbeiter in München.

Sich selbst beschrieb Reichert als „Schriftsteller, Musiker, Privatgelehrter“, aber er war in seiner Musik, in seinen Veröffentlichungen als Lyriker, Essayist, Pophistoriker, Mundartexperte, Kolumnist und Regisseur ein Kommunikator ohnegleichen.

Frank Zappa und Marieluise Fleißer

Sein profundes Wissen teilte er in Filmprojekten, im Radio, bei Konzerten, in Magazinen und als Übersetzer; notfalls auch als sanfter Polemiker. Reichert war allen Moden und Verzweiflungen um Jahrzehnte voraus: etwa mit seinem Engagement für den großen, damals noch unbekannten Frank Zappa und mit seiner Liebe zur Autorin Marieluise Fleißer, wie er aus Ingolstadt stammend.

Dem Exilschriftsteller Max Mohr, Paul McCartney und Hunter S. Thompson widmete er größere Arbeiten. 2001 erschien das Grundlagenwerk „Blues – Geschichte und Geschichten“. Mit Klaus Humann gab Reichert das Magazin der populären Musik „Rock Session“ in mehreren Bänden mit „Außenseiter-Lexikon“ heraus.

Seit 1970 schrieb und produzierte er für die Literatursendung „Pop Sunday“ des BR, moderierte und produzierte Sendungen der „Jungen Welle“, wie sich der Jugendfunk nannte; bis 2011 blieb er dem Sender treu, was an ein Wunder grenzt, weil niederbayerische Dickköpfigkeit und alertes Anstaltsdenken nicht so recht harmonieren, aber genau aus solchen Spannungen war die Kreativität dieser Redaktion entstanden.

Zorn auf Pseudologen

Sein urbayerischer Zorn traf die Pseudologen, die es angeblich auch in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wie in den kommerziellen Medien geben soll, in der Politik sogar in Legionstärke in Zeiten herabfallender Flugblätter aus Niederbayern: diese Angeber, Hochstapler, Plot-Diebe, Sex-Protze wie Arno Schmidt, dem „literarischen Schuft“, den er 2009 in dem von Manfred Chobot herausgegebenen Buch „Genie & Arschloch“ auf das Feinste zerlegte.

Mit Herbert Kapfer widmete er sich in der Collage „Umsturz in München“ Schriftstellern der Räterepublik. Über 40 Jahre moderierte Reichert, inzwischen alt geworden, aber in seiner Begeisterungsfähigkeit jung geblieben, verschmitzt unter seinem Hut in die Runde blickend, leicht melancholisch, in seiner Liebe überbordend, in seinem Zorn gegenüber Dilettanten, Sprachverhunzern und Dialektzuckerbäckern gnadenlos. Glücklich war er bis zuletzt, wenn er mit seiner Band vor Publikum spielte.

Dass er einer der Übersetzer von „Asterix und Obelix“ ins Bayerische war: Die Arbeit passte zu ihm, dem vielseitigen Trotzkopf. Carl-Ludwig Reichert, erfand zusammen mit Michael Fruth das Pseudonym Benno Höllteuffel, und sie schrieben 1972 mit diesem Alias das bemerkenswerte Mundarthörspiel „Bas Auf, Da Depp Heat Zu“, einen Versuch, die Leidensgeschichte eines geistig behinderten Jugendlichen konsequent aus dessen Perspektive darzustellen.

Schrammeloperette

Ihr Hörspiel endet als Schrammel operette mit dem Titel „da depp ist fuat, jez gets uns guat“. 1973 sendete es der Bayerische Rundfunk. Unter den Mitwirkenden Reicherts lebenslange Liebe, die Autorin und Literaturwissenschaftlerin Monika Dimpfl, für die er in seinem Buch „ein walroß macht noch keinen spätherbst“ eine Zueignung schrieb.

Auf dem bei Trikont erschienenen Debüt von Sparifankal: „Bayern Rock“ ist Reichert an Gesang, Gitarre und Posthorn zu hören. Im Finale singt er: „I las me nimma drazn / Und nimma komandian / Ich mechad so wean wiare bin / I las me ned oschmian / Fo eich des wo blos ren, nix dean / Damit wos andas wead / Lasdsma mei rua i ria me scho Wans soweid is, hobds keat!“ Am 4. September ist Carl-Ludwig Reichert 77-jährig in München gestorben.

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2 Kommentare

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  • Traurig, traurig, aber zumindest auf ein paar Minidiscs leben bei mir einige legendäre Nachtmixe weiter.

  • Wieder hat einer der ganz Grossen die weltliche Bühne verlassen. Danke für alles, Carl Ludwig, wir sehen uns.