Isa Genzken in der Neuen Nationalgalerie: Der Wind hat gedreht
Die Neue Nationalgalerie Berlin widmet Isa Genzken eine Einzelschau. Der Reformstau bei der Preußenstiftung hat mit ihrer Oberflächlichkeit zu tun.
Es war eine überfällige Entscheidung, Isa Genzken für diesen Berliner Sommer die Geburtstagsschau „75/75“ in der Neuen Nationalgalerie zu widmen. Zu lange war das Programm der Neuen Nationalgalerie auf alte, malende Männer gebucht, blind für die Realitäten von globaler und vielfältig gewordener Gegenwartskunst. Bevor sie für Jahre wegen Sanierung geschlossen war, gaben darin Deutschkunstklassiker von anno dazumal den Ton an: Otto Piene, Karl Otto Götz und, natürlich, Gerhard Richter.
Mit Klaus Biesenbach, seit 2022 Direktor der Neuen Nationalgalerie, hat sich der Wind gedreht. Und die nun zu sehende, umfassende Retrospektive zu Genzkens skulpturalem Werk ist ein echter Hingucker. Mit ihrer wiederaufgelegten Riesen-„Rose“ von 1993 vor Mies van der Rohes strengem Stahl-und-Glas-Tempel kommt die Schau ohne installativen Budenzauber aus.
Trotz der kuratorisch sinnfreien Idee, die im November passgenau zum Ausstellungsende erreichten 75 Lebensjahre der Künstlerin mit ebenso vielen Arbeiten zu verrechnen, ist „Isa Genzken. 75/75“ schlüssig. Denn in der gläsernen Halle der Nationalgalerie wird besonders deutlich, wie sehr Architektur ein Beispiel für das Lebensthema der 1948 in Bad Oldesloe geborenen Künstlerin ist: das dauerproblematische Verhältnis zwischen Mensch, Maß und Unmaß. Ihre teils vertrackt gesockelten, teils nackt auf dem Boden ausliegenden Objekte funktionieren konsequent nach ihren eigenen Maßstäben.
Funde aus der Konsumwelt
In den letzten zwei Jahrzehnten ist Genzkens Werk einerseits bunter, verspielter, zum anderen aber auch prekär, ja morbide geworden. Funde aus der Waren- und Konsumwelt dominieren. Mit kalkulierter Grobheit behandelt Genzken ihre Sonnenschirme, Gips-Nofreteten, Flugzeugfenster, Rollstühle und Schaufensterpuppen.
„Isa Genzken. 75/75“: Neue Nationalgalerie Berlin.
Bis 27. November 2023
Wie die mit Schutzmaske und Sonnenbrille angetanen „Schauspieler“ von 2014/2015, mit Klebeband oder Neonfarbe. Sie knüpft das Spektakel an einen Realismus, der im besten Sinne „asozial“ zu nennen wäre. Damit kontrastiert die einst mit Hilfe eines Computerfachmanns perfektionierte Abstraktion ihrer frühen „Ellipsoide“ und „Hyperboloide“. Ihre in Beton abgegossenen Radiogeräte der 1980er Jahre sind wiederum eine Synthese aus US-Minimal-Art und Düsseldorfer Post-Wirtschaftswunder-Punk.
Über Spannweite scrollen
In der Halle der Neuen Nationalgalerie reihen sich jetzt die 75 Arbeiten chronologisch von den 1970ern bis in jüngste Zeit auf. Man kann so über die Spannweite von Genzkens Skulpturen, Objekten und Modellen hinwegscrollen. Doch begradigt der Rundgang das Œuvre zu einer linearen Entwicklungserzählung im Genre „Skulptur“. Was aber haben die beunruhigend coolen „Ellipsoiden“ von 1977 mit einem unbetitelten, am Boden abgelegten Haufen Zeitschriften von 2018 zu tun?
Wo das Begleitheft angibt, dass Genzken „weithin für ihren bedeutenden und richtungsweisenden Beitrag zur Skulptur bekannt“ ist, weiß es auch, dass „Fotografie, Malerei, Collage, Film“ eine ebenso wichtige Rolle spielen. Warum ist davon nichts in der von Biesenbach und seiner Assistentin Lisa Botti kuratierten Schau zu finden? Und auch nicht davon, welch wichtige Rolle für Genzken „Ausstellung“ selbst als künstlerisches Medium gespielt hat, in dem sie die widerstreitenden Stränge ihrer Arbeit miteinander verflocht?
Zu Recht gilt sie als Künstlerin von Weltformat: Das New Yorker MoMA gab ihr zu Ehren schon 2013 eine amtliche Retrospektive. Wo aber bleibt der Hinweis auf die Hindernisse, auf die auch Genzken gerade als Frau im Kunstbetrieb stieß?
Nun ist Biesenbach nicht gerade für kuratorische Thesenstärke bekannt. Er gilt als internationaler Netzwerker und Machertyp. Einem Museum auf Sinnsuche tut das aktuell gut. Doch obwohl es unter ihm in der frisch sanierten Neuen Nationalgalerie und auch beim umstrittenen Museumsneubau nebenan, dem nunmehr „berlin modern“, vorangeht: Das Haus untersteht der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK).
Kern des Problems
Und deren überfällige Reform, von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) einst angestoßen und von ihrer Nachfolgerin Claudia Roth (Grüne) übernommen, tritt auf der Stelle. Trotz der Missstände, in der Gemäldegalerie musste jüngst ein Rembrandt-Bild bei laufendem Betrieb mit Plastikfolie verhängt werden. Es regnet rein. Das Pergamonmuseum wird sanierungsbedingt voraussichtlich bis 2037 (!) geschlossen sein. Die vielen Wehs verdecken dabei den Kern des Problems.
Denn die Preußenstiftung ist fehlkonstruiert, überverwaltet und unterfinanziert. Vom Tisch ist die Empfehlung der einst von Grütters eingesetzten Wissenschaftsrat-Experten, den Museums-, Bibliotheks- und Archivgiganten in Fachabteilungen aufzuspalten.
Intern herrscht offenbar Reformschwung. Klaus Biesenbach bestätigt auf taz-Anfrage, „dass die einzelnen Museen sich mit Pilotprojekten, aber auch mit mehr Autonomie in Personal- und Budgethoheit autonomer entwickeln“. Wenn es seitens der Stiftung „einen schlüssigen, detaillierten und in die Zukunft gerichteten Vorschlag gibt“, ist er überzeugt, „dass aus der Politik auch die nötige Unterstützung kommt.“ Am Drücker ist hier die Politik – allen voran die Beauftragte für Kunst und Medien, Claudia Roth. Sie sitzt dem Stiftungsrat der SPK vor.
Abgeschlossene Reform in 2025
Seit dem Grundsatzbeschluss der SPK-Reformkommission vom Dezember letzten Jahres hat sich jedoch nicht viel getan. SPK-Präsident Hermann Parzinger betont zwar auf taz-Anfrage die „sehr guten Gespräche“ zwischen Stiftung, Bund und Ländern, er nennt sogar ein Zieldatum: Die Reform solle 2025 „weitgehend“ abgeschlossen sein. Aber das letzte Treffen einer von Vertretern aus Politik und Stiftung besetzten „Ad-hoc-AG“ fand, laut einem BKM-Sprecher, letztmals Mitte April statt – offenbar ohne Resultate.
Dass sich nach einer Stiftungsratssitzung im Juli „sämtliche Bundesländer weiterhin an der Finanzierung der Stiftung beteiligen wollen“, klingt gut, aber nicht neu. So wirkt es zu gleichen Teilen heroisch und verloren, wenn Klaus Biesenbach jetzt den Ball bei den einzelnen Museen sieht: „Wir müssen mit den Innovationen anfangen.“
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