Künstlerbücher von Gerhard Richter: Ist das hier ein Spiel?

Das eigene Werk zerlegen: Das passiert in Gerhard Richters Künstlerbüchern, ausgestellt in der Neuen Nationalgalerie in Berlin.

Eine symmetrische Anordnung von vielfarbigen Mustern

Ausschnitt aus Gerhard Richters Buch „ Patterns. Divided – Mirrored – Repeated“ Foto: Dietmar Katz

Strickmuster für Norwegerpullover? Handgestickte Bordüren für alte Trachten? Es prangt sehr bunt und ornamental auf den 452 Seiten des Buchs „Patterns. Divided – Mirrored – Repeated“, das man tatsächlich in die Hand nehmen und durchblättern darf in der Ausstellung „Gerhard Richter Künstlerbücher“ in der Neuen Nationalgalerie.

Auf den ersten Seiten des Buchs entsteht das Ornament noch vollziehbar aus der Drehung und Spiegelung eines Motivs, über die letzten Seiten laufen nur noch dünne farbige Streifen.

Wie die 221 Muster entstanden sind, steht nicht im Buch, aber im kleinen Katalog der Ausstellung. Der Ausschnitt eines Abstrakten Bildes von 1990, von Richter gemalt und später in Details fotografisch vergrößert, wurde digital bearbeitet, geteilt, gespiegelt, wiederholt, und das immer wieder. So entstehen aus einem Motiv immer weitere neue Muster, bis nur noch Streifen bleiben. „Patterns“ ist von 2011 und wie die meisten Künstlerbücher Richters im Verlag der Buchhandlung Walther König erschienen.

Gerhard Richter, Künstlerbücher in der Neuen Nationalgalerie Berlin, bis 29. Mai, Katalog Michael Lailach, „Gerhard Richter, Künstlerbücher“, 25 Euro

Vieles in der Ausstellung macht Spaß und erscheint wie ein Spiel. Man kann sich den Künstler nicht anders denn als einen glücklichen Menschen denken. Hups, da ist die Tusche umgekippt und hat einen Stapel saugfähigen Papiers durchtränkt. Aber wer mit dem Zufall spielt, weiß auch diesen Atelierunfall zu nutzen, die Spuren werden auf beiden Seiten bearbeitet, reproduziert, und das Buch „November“ nimmt 2008 seine Gestalt an.

Eine Spur der Romantik

Man blättert durch zarte Farbwolken, von gewittrig dunkel bis hellblau und rosa Dämmerlicht, nach und nach weniger werdend, bis nur ein Punkt bleibt. Man kann in diesem Buch eine Hommage an romantische Wolkenbilder lesen oder auch ein Protokoll eines fortlaufenden Arbeitsprozesses.

Gerhard Richter ist am 9. Februar 90 Jahre alt geworden, die meisten Künstlerbücher gehören zu seinem späten Werk. Teils nutzt er dafür Fotografien, die lange zuvor entstanden sind. Schon 1972 hatte er eine Reise nach Grönland unternommen, auch aus Sehnsucht nach einer entgrenzenden Erfahrung, wie sie Caspar David Friedrich in „Das Eismeer“ gemalt hatte. Richter fotografierte aus dem Flugzeug und vom Schiff aus Eismassen, Geröll und Schnee. Das erste Buch, das daraus 1981 entstand, war noch ohne Text, in der Neuauflage 2011 kam ein Artikel aus einer Enzyklopädie über Grönland von 1871 dazu. Schon das Eis spiegelt sich im Wasser, aber auch die Bilder werden gespiegelt, stehen teils Kopf. Nimmt man das Buch jetzt zur Hand, hat das auch einen Aspekt von Trauerarbeit, ein Gedenken an das Schwinden des Eises.

In einem Hotelbett liegen die Künstler Gerhard Richter und Sigmar Polke

Hotel Diana, 1967, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Gerhard Richter 2022 Foto: Dietmar Katz

Für die Neue Nationalgalerie, die seit Januar von Klaus Biesenbach geleitet wird, ist die Ausstellung, die aus der benachbarten Kunstbibliothek kommt und von Michael Lailach eingerichtet wurde, nicht nur ein Blick auf einen wenig bekannten Aspekt des Malers, sondern auch ein Vorbote: Biesenbach und Lailach bot sie bei der Pressekonferenz mehrfach Anlass hervorzuheben, wie sie sich auf Richters künftige Leihgabe von 100 Bildern für das Museum des 20. Jahrhunderts freuen.

Allein ob die Aufmerksamkeit für Richter, die ihm zurzeit sein großer Erfolg im Ausstellungsbetrieb und im Kunsthandel sichert, noch viele Jahrzehnte anhält, lässt sich jetzt kaum abschätzen. Denn nicht selten verlischt die Neugier auf das allzu Gepriesene. Deshalb ist die Ausstellung der Künstlerbücher jetzt eine sehr sympathische Schau, intim statt Blockbuster-Format.

Manipulation der Reproduktion

Reproduktionen von Malerei gelten einerseits in vielen Katalogen als unhinterfragte Wiedergabe, sind andererseits aber in ihrer Qualität von vielen technischen Parametern abhängig und keineswegs so objektiv, wie sie genutzt werden. Künstler reflektieren das häufig und stecken auch viel Arbeitszeit da hinein. Gerhard Richter nutzt in seinen Büchern offensiv den Raum der Manipulation in der Reproduktion.

Der erste Schritt erfolgte in Halifax, Kanada während einer Gastprofessur 1978. Richters Atelier war zu klein für seine großformatigen Bilder. Aber er spannte ein Abstraktes Bild ab und fotografierte die Leinwand in Großaufnahme, Stück für Stück, legte sie dabei auch über einen Stuhl, sodass im Bild auch unscharfe Partien sind. Das Relief der Farbe, die Rauheit der Striche, die unterschiedlichen taktilen Spuren der von Pinsel und Rakel aufgetragenen Farbe nehmen in den schwarzweißen Fotografien die Anmutung einer Landschaft an. Vielleicht der eines fernen Planeten. Aus den 128 Fotografien entstand später zuerst eine Edition, dann ein Buch.

Die eigene Kunst als Material zu sehen, das man noch einmal anders betrachtet, in einen anderen Kontext rückt, bedeutet auch, Distanz zum eigenen Werk zu schaffen und die Bedeutung, die ein Bild mit seiner Entlassung in die Welt angenommen hat, wieder von ihm zu trennen.

Die Arbeit an den Künstlerbüchern, so erzählt Michael Lailach, begleiteten Richter oft auch in einer reflexiven Phase, einer Zeit des Umbruchs in seinem Werk. Sie sind also auch ein Werkzeug, sein Bild von sich selbst als Künstler etwas von sich abzurücken.

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