Ausstellung „Working With Waste“: Befreiender Ausfluss
Die Künstlerin Lucy Beech beschäftigt sich mit Körperflüssigkeiten und Geschlechterzugehörigkeit. Das Oldenburger Edith-Russ-Haus zeigt ihre Filme.
„Working with waste“ lautet der Titel der aktuellen Ausstellung im Oldenburger Edith-Russ-Haus. Er legt nahe, dass hier eine kritische Sicht auf die Ex-und-hopp-Mentalität der Konsumgesellschaft entwickelt und die Fragen behandelt werden sollen, wie unser Müll sich re- oder upcyceln lässt.
Aber wie schon in Teil eins ihrer Müll-Trilogie, der Ausstellung Oose im Roterdammerr Kunstinstituut Mellyersten ist es weniger ein konkret politischer oder ökologischer Ansatz, den die englische Künstlerin Lucy Beech verfolgt. Sie konfrontiert das Thema stattdessen mit feministischen Debatten um Transition und setzt auf einen Tabubruch. Körperliche Aus- und Abscheidungen werden aus dem intim privaten Raum in die Öffentlichkeit geholt.
Auf Videobildern blubbert Kacke in einer Kläranlage, Urin flutet die Sinne, ein Teenager befriedigt sich in der Badewanne und Stoffwechselmüll wird ganz allgemein hochgetunt zum Symbol für Kreativität. Denken sei für Beech ein metabolischer, verdauender Prozess, heißt es im Ausstellungsflyer. Beispielsweise habe der Ausfluss des Urins etwas Befreiendes und verbinde sich in Lucy Beechs Film „Warm Decembers“ mit der Fähigkeit, „einen unabhängigen Gedanken zu haben“, so die Künstlerin.
Das gesamte Obergeschoss des Medienkunsthauses ist für dieses zentrale Werk der Schau reserviert. Dafür lässt Beech die vielfach pitschnassen Bild- und Bedeutungsebenen mit- und ineinander fließen, unterlegt von musikalischem Rauschen. Grenzen sollen so zerfließen, um über „die strikte binäre Unterscheidung zwischen männlich/weiblich, wissenschaftlich/imaginativ, innerlich/äußerlich und Mensch/Tier“ hinauszudenken. Was andeutungsweise funktioniert.
Lucy Beech, Working With Waste: bis 1. 10., Edith-Russ-Haus, Oldenburg; Teil 3 der Waste-Trilogie gastiert im Kunstverein Harburger Bahnhof ab 8. 12.
„Warm Decembers“ ist grundiert mit poetisch raunenden Textfragmenten: Eve Kosofsky Sedgwicks Versroman „The Warm December“ (1978-1987). Geradezu viktorianische Erzähllust verschwimmt dort mit Lesarten von Lesbian-, Gay- und Queer-Studies zu experimenteller Lyrik.
Sedgwick veröffentlichte auch Revisionen und aussortierte Restbestände des Schreibprozesses zur Vollendung des Werks, sodass Beech es geradezu sinnbildlich für selbstbestimmte Identitätsbildung präsentieren kann. Im Film ist es die junge Protagonistin Beatrix, die nach Erfahrungen sexualisierter Gewalt und dem Tod der Eltern damit kämpft, welche Erinnerungen, Wünsche oder Identifikationen sie in ihre Selbstbehauptungen integrieren kann oder muss und welche sie löschen sollte.
Unterstützt wird sie von Autorin Cassie Westwood. Die fragt sich nach ihrer Geschlechtsangleichung in einem Film-Prolog, welche Versatzstücke sie von ihrem vorherigen Ich behalten, was sie verändern, verbergen, aufgeben will und was bei ihr bleibt, obwohl sie es nicht mag.
Offen sind die persönlichen, fluide die dramaturgischen Entwicklungen. Die Sache mit der „brennenden, aufgestauten Pisse“ kommt als Bettnässerei vor – „aus einer reinen Blase des Selbstmitleids heraus bahnte sich ein Rausch von Flüssigkeit seinen Weg“ lautet der Text unter Bildern entflammter Natur. Wobei Beatrix „aus der Gewalt des ausgedehnten Nass“ programmatisch rettend eine „Kunst findet“ – und als Zeichnerin kreativ wird.
In diesem wie in jedem ihrer Filme versucht Beech, künstlerische und wissenschaftliche Forschung zu vereinen. Was sich auch in ihrer Biografie spiegelt: Absolvierte sie doch kürzlich ein Stipendium am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und ist derzeit Gastprofessorin an der Babelsberger Filmuniversität.
Fiktive Dokumentarfilme sind das Medium, mit dem sie sich in Oldenburg für eines von jährlich drei ausgeschriebenen Arbeitsstipendien des Edith-Russ-Hauses beworben hatte. Dank der Stiftung Niedersachsen sind sie mit jeweils 12.500 Euro dotiert und laufen über sechs Monate. Für die Medienkunstergebnisse wird das Haus nun zu einem kleinen Multiplex-Kino mit mehreren Filmprojektionsschachteln für vier weitere Videos von Beech und befreundeten Videokünstlern.
Portrait einer intersexuellen Kuh
Statt auf weichen Sesseln hocken Betrachtende auf harten, Holzbänken. Was prima zum teils harten Stoff passt. In „When we were monsters“ von James Richards und Steve Reinke flackern in rasender Schnittfolge Pickel, Wunden, Ekzeme, Hautausschläge, vergammelte Zähne etc. über die Leinwand, was schwerlich länger als wenige Minuten auszuhalten und im Müll-Thema zu kontextualisieren ist.
Riar Rizaldi beschäftigt sich in „Fossilis“ mit Elektroschrott, indem er zeigt, wie dieser auf asiatischen Flohmärkten seziert und verkauft wird. Zudem sind digital entworfene Bilder einer postapokalyptischen Welt zu sehen, in der Laptops, Autos, Joysticks dschungelig überwuchert werden. Die Natur beendet die Digitalisierung des Lebens?
„Reproductive Exile“ ist wiederum klassische Beech-Dokufiktion. In diesem Fall wird in Lehrfilmästhetik über Kinderwunsch, Mutter-Sein, Fortpflanzungsverantwortung, Elternschaft sowie knallharte kapitalistische Unternehmensstrategien der Reproduktionsindustrie informiert und räsoniert.
In „Flush“ porträtiert Beech eine intersexuelle Kuh, die keine Milch gibt, unfruchtbar, also landwirtschaftlich nutzlos ist. Dafür aber kann sie ein assoziationsreicher Ausgangspunkt sein, essayistisch über biologische Geschlechterausdifferenzierung und -umwandlung sowie entsprechende endokrinologische Forschungsergebnisse zu reflektieren. Poetisch-wissenschaftliche Filmkunst, die sich höchst anregend vermittelt. All den Körperausflüssen zum Trotz.
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