piwik no script img

Fußball-BundesligaAuch ein englischer Fotograf war da

Bei seiner Bundesliga-Heimpremiere verliert der FC Heidenheim 2:3 gegen die TSG Hoffenheim. Nicht die einzige Herausforderung für den Klub.

Kultureller Gewinn: der FC Heidenheim vor seinem ersten Bundesligaheimspiel Foto: imago/Sven Simon

Das erste Bild, mit dem sich Heidenheim an der Brenz als neuer Bundesliga-Standort zu erkennen gibt, sind drei Rentner kurz vor dem Ortsschild. Mit Trikots und Schals ausgerüstet stehen die älteren Herren auf dem Bürgersteig. So also sieht Euphorie auf der Ostalb aus, knapp zweieinhalb Stunden vor dem ersten Bundesligaspiel in der Geschichte des 1. FC Heidenheim 1846.

Völlig durchnässt vom Dauerregen steht Heidenheims Trainer Frank Schmidt, 49, gegen halb sechs auf dem Rasen und ringt gedanklich mit der 2:3-Niederlage gegen die TSG Hoffenheim trotz einer 2:0-Führung seiner Mannschaft bis zur 77. Minute. Doch dann kommt der Partycrash auf der Ostalb. Kurz nach seiner Gedankenreise zurück zum lange Zeit sehr guten Spiel seiner Mannschaft, ehe sie die Härten ihres neuen Lebens in der neuen Spielklasse kennenlernte, sagt Schmidt: „Das ist wie im falschen Film. Da fehlt ein bisschen auch die Erklärung. Aber das scheint erste Bundesliga zu sein.“

Schon um 13.20 Uhr ist am Stadion sehr viel los. Vor dem sogenannten Sparkassen BusinessClub, den sie an die 15.000 Menschen fassende Arena angebaut haben, hat sich eine lange Schlange gebildet. Daneben steht Helmut Fröschle, 63, als Kontrolleur vor dem Eingang zum Pressebereich.

„Ein paar unbekannte Gesichter“ unter den Reportern habe er zwar schon entdeckt, sagt er, sogar einem Fotografen aus England habe er das Kontrollbändchen an der Arbeitstasche angebracht. „Aber eigentlich alles ganz normal wie immer“, sagt Fröschle. Naja, vielleicht gebe es „einen kleinen Ticken Euphorie“, antwortet er auf Nachfrage, aber überzeugt davon scheint er nicht zu sein. Auf der Ostalb halten sie nichts von großen Worten und Übertreibungen.

Stau und Trubel mit Argwohn betrachten

Beim harten Kern der Anhänger des 1. FCH sieht das schon ein bisschen anders aus. „Heidenheim ist die schönste Stadt der Welt“, skandieren sie, als sie am Stadion angekommen sind. In Richtung Stadt steht der Schal- und T-Shirt-Verkäufer Siggi, 57, seinen vollen Namen möchte er nicht nennen. Zehn Euro verlangt er für seine Fanartikel, nur die Hoffenheim-Schals lässt er sich mit 13 Euro bezahlen. Weiter Richtung Innenstadt, vorm Congress Centrum Heidenheim, herrscht um 14 Uhr ein Verkehrschaos.

Petra Wohlfarth, 50, und ihr Mann Dieter, 56, sehen den Stau und Trubel mit etwas Argwohn. „Jetzt ist hier immer die Hölle los“, sagt sie. Auch ihr Mann hat „gemischte Gefühle“, er sagt: „Man freut sich auf die erste Bundesliga, aber man hat auch Bedenken.“ Er fragt sich, ob das gut ist, nicht nur sportlich, sondern auch für den Verein mit seinen sehr familiären Strukturen.

„Alles frei, einfach hinsetzen“, sagt unten in der Altstadt Wirt Frank Zeger zu ein paar Gästen im Außenbereich, die um halb drei zum Public Viewing eingetroffen sind. Alle sind in Zivil gekleidet, dafür hängen hier Heidenheim-Trikots auf Kleiderbügeln an einer Leine hoch über der kleinen Straße, die vor der Adresse „Hintere Gasse 8“ abknickt. „Um zwölf Uhr war hier Ramba­zamba“, sagt Zeger.

Erschwerend hinzu kommt vielleicht das Wetter, es regnet mittlerweile in Strömen. Zegers Café Melange No 8 ist in Heidenheim auch deshalb bekannt, weil Trainer Schmidt hier gerne einkehrt. „Frank war am Donnerstag zuletzt hier, da hat er im Backgammon gegen mich verloren“, sagt Zeger. Seit rund 20 Jahren kennen sich die beiden Franks schon. Und gibt es nun eine Bundesliga-Euphorie in Heidenheim? „Ja, voll“, sagt der Wirt, „hier gibt’s nur ein Thema gerade in der Stadt. Das erste Heimspiel ist ein Highlight für uns.“

Dann kommen die Gegentore

Um kurz vor vier, als Jan-Niklas Beste in der 26. Spielminute das erste Bundesliga-Tor des 1. FC Heidenheim mit einem direkten Freistoß aus spitzem Winkel fast ins Kreuzeck jagt, kann man das glauben. Der Jubel ist immens. Und als Marvin Pieringer in der 58. Minute Bestes Eckball mit der Stirn zum 2:0 ins Tor lenkt, scheint Heidenheim in seinem ersten Bundesliga-Heimspiel gleich seinen ersten Sieg zu schaffen.

Doch dann kippt die Partie ohne zwingenden Grund durch die Tore von Maximilian Beier (77.), Pavel Kaderabek (80.) und Andrej Kramaric per Foulelfmeter (90.). Stille legt sich beim Abpfiff übers Stadion, kurz wirkt der Moment wie eingefroren. Schmidt denkt aber bald schon ans nächste Spiel vor mehr als 80.000 Menschen in Dortmund. „Das ist jetzt was Neues, was am Freitag kommt in der Dimension“, sagt Schmidt.

Bald danach legt sich Ruhe über das Ostalb-Städtchen. Das letzte Bild, das vom ersten Bundesliga­spiel in Heidenheim bleibt, ist eine menschenleere Straße vor der Metzgerei Lamm. Einen humorvollen Umgang mit den Härten des ­Lebens haben sie offenbar in Heidenheim.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!