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Heftige Kämpfe in MaliTuareg wieder Kriegspartei

Beim Abzug der UN-Blauhelme rückt Malis Armee erstmals in einen UN-Stützpunkt im Tuareg-Autonomiegebiet vor. Es droht ein neuer Bürgerkrieg.

Nicht mehr lange – aber wer kommt dann? UN-Blauhelme in Timbuktu, März 2021 Foto: Nicolas Remene/Le Pictorium/imago

Berlin taz | Noch bevor die UN-Mission in Mali (Minusma) das Land verlässt, bricht der Frieden zwischen Malis Regierung und den Tuareg-Rebellen im Norden des Landes zusammen, dessen Überwachung die zentrale Aufgabe der UN-Blauhelme gewesen ist. Die UN-Mission gibt seit Anfang August einen Stützpunkt nach dem anderen auf – und nun rückt Malis Armee auch dort nach, wo bisher Rebellen der Tuareg-Allianz CMA (Coordination des Mouvements de l’Azawad) das Sagen hatten.

„Azawad“ hieß der kurzlebige Separatistenstaat, den aufständische Tuareg 2012 im Norden Malis ausriefen, bevor dort radikale Islamisten die Kontrolle übernahmen und schließlich 2013 Frankreich militärisch eingreifen musste, um Mali vor einer islamistischen Machtübernahme zu retten.

2015 einigten sich Malis neue gewählte Regierung und CMA im Friedensabkommen von Algier auf einen Autonomiestatus für die nordmalischen Regionen Gao, Kidal und Timbuktu, die zusammen „Azawad“ gebildet hatten. Unter anderem sollte die Regierungsarmee erst dann wieder einrücken, wenn sie die einstigen Tuareg-Rebellen integriert hatte. Überwacht werden sollte dies von der UN-Mission. Bis heute sind die Institutionen des malischen Staates nicht überall im Norden Malis präsent, was nationalistische Kräfte in der fernen Hauptstadt Bamako nie akzeptierten.

Seit dem Sturz der gewählten Regierung durch zwei Militärputsche 2020 und 2021 sind diese nationalistischen Kräfte in Mali an der Macht und die weitere Umsetzung des Abkommens von Algier liegt auf Eis. Eine im Juli in Kraft getretene neue Verfassung, die die Militärherrschaft festigt, lehnt die CMA ab, weil sie die Autonomieregeln nicht berücksichtige.

Weitere Eskalation

Am vergangenen Donnerstag zog die CMA offiziell ihre Repräsentanten aus Bamako zurück. „Wir sind in der Hauptstadt nicht mehr sicher“, erklärte CMA-Delegationsleiter Attaye Ag Mohamed. Ob damit das Friedensabkommen insgesamt tot war, blieb offen.

Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt räumte die Minusma ihre erste Basis in „Azawad“ – in Ber in der Wüste außerhalb von Timbuktu – und Malis Armee rückte in die Basis ein, angeblich unter Schutz russischer Wagner-Kämpfer, die sich den Weg freischossen, denn das Umland und der Ort Ber stehen unter Tuareg-Kontrolle. Bei Zusammenstößen mit „bewaffneten terroristischen Gruppen“ bei Ber seien sechs Soldaten getötet worden, erklärte die Armee am Sonntag. Am Freitag hatte die CMA erklärt, sie habe in dieser Region „einen komplexen Angriff der malischen Streitkräfte und Wagner abgewehrt“.

Nach offizieller malischer Darstellung wurde das Camp Ber am Sonntag früh von der Minusma an Malis Streitkräfte übergeben. Der französische RFI-Rundfunk berichtete aber, der Vormarsch von Malis Armee aus Timbuktu ins 60 Kilometer entfernte Ber habe schon am Freitag begonnen. Neben den sechs toten Soldaten gebe es auch 20 getötete Rebellen.

Die UN-Mission erklärte am Sonntagnachmittag: „Minusma hat ihren Abzug aus Ber vorgezogen, aufgrund der Verschlechterung der Sicherheitslage.“ Man rufe alle Seiten dazu auf, „von Handlungen abzusehen, die die Operation weiter verkomplizieren könnten“. Die CMA sagte, die UNO dürfe ihre Basen in „Azawad“ erst dann übergeben, wenn die malischen Parteien darüber „einen Konsens aufgrund der unterzeichneten Sicherheitsabkommen“ erzielt hätten.

Momentan sieht es nach weiterer Eskalation aus. Am Montag meldeten lokale Medien, der CMA-Stabschef für Timbuktu, Hussein Houlam, sei bei einem malischen Luftangriff auf eine CMA-Wagenkolonne zehn Kilometer nordöstlich von Ber getötet worden. Die Tuareg-Rebellen riefen umgehend zur Generalmobilmachung auf.

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6 Kommentare

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  • Die Situation ist komplizierter. Mit Tuaregs und und Songhai treffen zwei Ethnien aufeinander, die seit langem in Konflikt sind. Dies hängt mit ihrer Wirtschaftsweise und Kultur zusammen - Nomade und Hirten versus Bauern und Fischer. In früheren Zeiten hatten die Tuaregs das Sagen, beherrschten die Songhais unter teilweise sklavenähnlichen Verhältnissen. Seit der Unabhängigkeit herrschte ein Gleichstand, wobei die neue Elite meist die Songhai stellten, Doch mit dem Klimawechsel und der Ausdehnung der Wüste gerieten die Weidegrundlagen der Tuaregs unter Druck, der Kampf um Land lebte wieder auf. Islamistische Kräfte sich sich auf dem Konflikt noch drauf. Die Befriedung durch die UN-Truppen befriedete angesichts eines gemeinsamen Feindes, den islamistischen Kräften, auch den inneren Konflikt, wenn auch oberflächlich. Wird dieser wirtschaftliche Dissenz nicht gelöst, bleibt Mali instabil, egal wer in der Hauptstadt das Sagen zu haben meint. Ob dazu das Staatsgebilde Mali, das beide Kulturen aus willkürlicher Grenzziehung aus der Kolonialzeit zwangsverbindet, noch geeignet ist, ist fraglich.

  • Die UN hätte nie zulassen dürfen, dass sich die Wagner Söldner dort festsetzen. Leider ist die UN ein zahnloser Bettvorleger.

  • Deutsche Kriegsgegner: waren gegen den "Krieg gegen den Terror" und haben Verständnis für die Putsche im Sahel, bei denen wie Harald Kujat es für die russische Kriegführung feierte, die Islamisten erledigt werden sollen.



    Frankreichs Militär hat nicht, wie Charlotte Wiedemann vermutete, zu viel Krieg geführt, sondern wie die Putschisten erklären, zu wenig.



    Entsprechend: bloß keine Waffen an die Ukraine, bloß keine Verteidigung gegen die Angreifer. Frieden mit dem Iran, usw.

  • Zur Ergänzung: Die nationalistischen Kräfte im Bamako haben einen Namen: Songhai. Der Konflikt zwischen Songhai und Tuareg gärt seit den frühen 90ern. Er ist dem ehemaligen Jugoslawien nicht unähnlich. Eine Ethnie, in Mali die Songhai, dominiert die Verwaltung und stellt den Machtapparat, die andere Ethnie, in Mali die Tuareg, wird von den Fleischtöpfen ferngehalten.



    Wenn man auf dem Niger von Bamako nach Timbuktu fährt, heißt es ab da an täglich nicht umsonst "riz au riz" - Reis mit Reis.

    • @rakader:

      Ja und nein. Es gibt ja nicht nur die beiden Ethnien in Mali, sondern einige mehr. Richtig ist, dass die Tuareg eine Sonderstellung im Gefüge haben.

      • @vieldenker:

        Sie haben natürlich recht. Das ist sehr holzschnittartig beschrieben. Vor dem Hintergrund, dass man hierzulande wenig über Mali weiß, sollte dieser Antagonismus Songhei vs. Tuareg für eine erste Orientierung genügen.