piwik no script img

THW-Chefin über den Katastrophenschutz„Häufiger heftige Situationen“

Sabine Lackner ist die erste Präsidentin des THW. Sie erklärt, wie sie mit den furchtbaren Eindrücken der Flutkatastrophe im Ahrtal umgegangen ist.

Der bayrische THW unterwegs zum Einsatz nach Slowenien am 10. August Foto: Matthias Balk/dpa
Tanja Tricarico
Interview von Tanja Tricarico

taz: Frau Lackner, wir haben gerade starke Überschwemmungen in Österreich und Slowenien; die Flutkatastrophe im Ahrtal ist noch sehr präsent. Naturkatastrophen häufen sich. Steigt auch das Bewusstsein für Katastrophen generell in unserer Gesellschaft?

Sabine Lackner: Ja, ganz klar. Die Ereignisse häufen sich – auch der Ukrainekrieg spielt eine Rolle. Häufig wird gesagt, wir wollen niemandem Angst machen. Das ist aber Schmarrn. Wenn ich Menschen in Ruhe erkläre, welche Instrumente es gibt, zum Beispiel die Nina-Warn-App, oder wie Cell-Broadcasting funktioniert, dann schärfe ich das Bewusstsein dafür, bei einer Katastrophe etwas tun zu können.

THW
Im Interview: Sabine Lackner

ist 56 Jahre alt und seit Juli 2023 Präsidentin des Technischen Hilfswerks (THW). Das THW, gegründet 1950, ist die deutsche Zivil- und Katastrophenschutzorganisa­tion des Bundes mit ehrenamtlichen Hel­fe­r:in­nen und hauptamtlichen Mitarbeiter:innen.

86.000 Menschen engagieren sich ehrenamtlich beim THW. So viele wie noch nie. Woran liegt das?

Die Menschen wollen sich einbringen. Und natürlich – ich will nicht zynisch klingen – helfen Einsätze wie im Ahrtal. Ich glaube, es hilft, dass man sich nicht ohnmächtig fühlt, sondern sich selbst und anderen helfen kann. Durch die Klimakatastrophe müssen wir uns einfach klarmachen: Wir werden häufiger in heftige Situatio­nen kommen.

THW hilft in Slowenien

Das Technische Hilfswerk (THW) ist international im Einsatz. Unter anderem leistete es nach dem Erdbeben Anfang Februar in der Türkei und in Syrien Hilfe. Aktuell sind Teams in den slowenischen Überschwemmungsgebieten im Einsatz.

Montag brachten sie Räumgerät, um die Straßen wieder frei zu bekommen. Der neue Konvoi hat auch Bauteile geladen. Fachkräfte für Brückenbau haben Material für eine 30 Meter lange Behelfsbrücke dabei, die sie in dem Ort Prevalje errichten wollen. Insgesamt will das THW zwei Brücken in das von Unwettern schwer betroffene Land bringen.

Die Hilfsorganisation reagiert auf ein internationales Hilfe­ersuchen der slowenischen Regierung. Überschwemmungen und Erdrutsche hatten in dem Land enorme Schäden angerichtet. Dörfer wurden evakuiert, Straßen und Eisenbahngleise standen unter Wasser, Brücken wurden weggerissen. (dpa)

Die Flut im Ahrtal 2021 war eine der größten Katastrophen der vergangenen Jahre. Im Nachgang gab es Kritik unter anderem am Einsatz der Helfer:innen. Berechtigt?

Ich selbst war im Urlaub in Frankreich, habe die Bilder in den Nachrichten gesehen und bin dann sofort zurückgekommen. Aber schon am vierten Tag fing die Schuldsuche an. Das finde ich schwierig. Es werden noch Menschen vermisst, aber wir suchen erst mal Schuldige. Die Flut war aus meiner Sicht die größte zivile Nachkriegskatastrophe. Ich will nichts schönreden, und wir alle – auch im THW – haben unsere Lehren aus dem Einsatz gezogen. Wir haben auch einen Ortsverband in Ahrweiler. In einem anderen Ort sind unsere Leute abgesoffen, als sie in einem Fahrzeug abgetrieben sind. Auch da musste ich mir Kritik anhören, warum das THW so lange vor Ort geblieben ist. Aber: Wenn die einen Anruf kriegen von einer Mutter mit Kind, das Wasser steigt in deren Haus, und der Anruf bricht ab, dann sagen die nicht, wir ­gehen jetzt nach Hause.

Haben Sie im Nachgang auf die Kritik reagiert?

Wir koordinieren uns besser mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Es gibt mehr Ansprechstellen und bessere Absprachen. Rheinland-Pfalz zum Beispiel hat jetzt ein Landesamt für den Bevölkerungsschutz eingerichtet.

Sie und Ihre Hel­fe­r:in­nen sehen oft furchtbare Szenen. Wie gehen Sie damit um?

Ich wohne in Bonn, das sind rund 20 Minuten Autofahrt bis ins Ahrtal. Bei mir daheim, da ist die Welt in Ordnung, und alles ist ruhig. Ich habe im Einsatz einfach nur funktioniert – und in den ersten sechs Wochen des Einsatzes habe ich gar nicht weitergedacht. Einige Helfer und Helferinnen aus dem Ahrtal haben aber alles verloren. Die hatten sofort Einsatz-Nachsorge-Teams an ihrer Seite. Diese sind speziell geschult und begleiten unsere Einsatzkräfte nach belastenden Einsätzen und unterstützen sie. Das ist wichtig. Niemand wird alleingelassen. Deshalb sprechen unsere Einsatzkräfte in ihren Ortsverbänden auch immer wieder mit­einander über solch schwierige Einsätze, um die Eindrücke zu verarbeiten.

Leider nutzen Menschen Katastrophen auch aus. Was haben Sie unternommen?

Während des Einsatzes 2021 waren unsere Einsatzkräfte zum Beispiel mit sogenannten Querdenkern konfrontiert. So was mag ich nicht. Wir mussten unseren Helfenden sagen, dass sie ihre Namensschilder abnehmen und damit ihre Identität unkenntlich machen. Einfach um sicherzugehen, dass sie nicht in problematische Situa­tionen kommen und zum Beispiel in den sozialen Medien verunglimpft werden. Generell fehlt manchen der Respekt vor den Einsatzkräften. Das finde ich unsäglich.

Reichs­bür­ge­r:in­nen preppern, für Quer­den­ke­r:in­nen gehören apokalyptische Szenen dazu. Wollen solche Leute auch ins THW?

Die Menschen im THW sind ein Abbild der Gesellschaft. Einer unserer Leitsätze besagt, wir bekennen uns zur Demokratie und dulden keine Diskriminierung. Die Hürden sind zwar hoch, aber wenn eine Person gegen die Leitsätze und die Dienstpflicht verstößt, dann kann das zum Ausschluss führen.

Wenn eine Person mit anti­demokratischen Äußerungen auffällig wird – was tut das THW?

Es gibt keine Meldestelle oder Ähnliches. Doch man kann sich zum Beispiel an den beziehungsweise die Helfersprecherin wenden im Ortsverband. Aber ganz ehrlich: Wir hissen beim CSD die Regenbogenflagge, wir helfen Geflüchteten – vielleicht will diese Art Menschen bei uns nicht unbedingt mitmachen.

Silvester wurden in Berlin Krankenwagen mit Steinen beworfen. Immer wieder werden Hel­fe­r:in­nen angepöbelt, Gaffer stehen im Weg. Braucht es dafür härtere Strafen?

Mittlerweile verhängen Gerichte nach solchen Situationen überhaupt mal Strafen. Das ist richtig. Früher waren Hilfs­organisationen, egal in welchem Gebiet, sakrosankt. Heute ist der Respekt vor der Hilfeleistung verloren gegangen. Wichtig ist für das Ehrenamt, dass gesehen wird, es wird gehandelt, wenn etwas passiert.

Obwohl die Katastrophen zunehmen, mangelt es an Ausrüstung und an tauglichen Fahrzeugen. Was brauchen Sie vom Bund?

Wir helfen auch bei Lagen, die keine Katastrophen sind. Zum Beispiel, wenn viele Flüchtlinge kommen, helfen wir mit unseren Kompetenzen und ertüchtigen Notunterkünfte. Dafür hat man 2015 ein Sonderprogramm aufgelegt. In der Coronapandemie gab es Sonderpakete vom Bund, und auch das THW hat drei Jahre lang 135 Millionen Euro zusätzlich bekommen. Zu Fahrzeugen in den Ortsverbänden haben Helfende gesagt, mein Opa hat darauf schon gelernt. Da gab es wirklich Handlungsbedarf. Wir haben in den vergangenen Jahren 2.500 Fahrzeuge bekommen. Damit hat jeder Ortsverband jetzt mindestens zwei neue in der Garage.

Also sind Sie zufrieden mit der Unterstützung des Bundes?

Na ja. Alle Sonderprogramme laufen aus. Wir kommen noch über das Jahr 2024, aber danach wird es richtig eng. Die 380 Millionen Euro, die wir für 2024 zur Verfügung haben, sind nicht die 380 Millionen Euro, die wir 2018 hatten. Beispielsweise unser Gerätekraftwagen, das Herzstück in jedem Ortsverband, ist über die Coronajahre 30 Prozent teurer geworden.

Sie fordern einen Inflationsausgleich?

Fordern nicht, wünschen ja. Und wir brauchen Geld für unsere Liegenschaften. Gemeinsam mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) und den Bauverwaltungen haben wir ein Programm aufgelegt, um in Serie zu bauen. Wir haben von den 668 Ortsverbänden die 200 mit dem größten Handlungsbedarf identifiziert, wir schreiben jetzt gerade die ersten 30 aus – und haben kein Geld mehr. Dabei kommt eine solche Unterkunft unmittelbar dem Ehrenamt zugute. Dort trifft man sich für die Übung, zur Ausbildung, hier bereitet man sich auf den Einsatz vor.

Welche Summe hätten Sie denn gern?

Ich mache immer diesen Vergleich: Wir haben 84,4 Millionen Menschen in Deutschland, laut Statistischem Bundesamt. Wenn von jedem einmal im Jahr Geld für zwei Tassen Kaffee zusammenkommt – also 7 Euro ungefähr –, dann wäre das eine solide Grundfinanzierung.

Die gibt es aber nicht – also fordern Sie eine Art Sondervermögen fürs THW?

Sondervermögen ist ja in Wahrheit ein Euphemismus für Schulden. Aber der Zivilschutz, die zivile Verteidigung, steht in Deutschland auf ehrenamtlichen Schultern – und wir brauchen dafür eine auskömmliche, solide Finanzierung. Allein durch höhere Steuern, die dann umverteilt werden, geht es nicht. Das belastet die Menschen, und irgendwann haben die Leute fünf Jobs und können nicht mehr ehrenamtlich zum THW kommen.

Wie kommt die Gelddebatte bei den Ehrenamtlichen in den Ortsverbänden an?

Das ist eine große Enttäuschung und es gibt viel Unverständnis. Und: Es gibt bei vielen Menschen eine andere Erwartungshaltung an Zeit, die man einbringen möchte. Wenn die Wertschätzung fehlt, schadet das dem Ehrenamt.

Der Krieg in der Ukraine hat Aufrüstung wieder zum Thema gemacht. Der Bundeswehr wurde ein Sondervermögen zugesagt. Befürworten Sie mehr Zusammenarbeit mit der Bundeswehr?

Wir brauchen eine Entlastung der Bundeswehr, dass sie zu ihren eigenen Aufgaben zurückkommt, und wir müssen uns auch anders aufstellen, was innere Sicherheit und Verteidigung angeht. Ich habe Verständnis dafür, dass Menschen es irritierend oder komisch finden, wenn die Bundeswehr sichtbar im Inland im Einsatz ist. Zum Beispiel bei den Gesundheitsämtern in der Coronapandemie oder beim Löschen von Waldbränden. Aber wir als THW und die Bundeswehr haben keine Berührungsängste.

Sie sind die erste Frau an der Spitze des THW. Wie ist das?

Ich bin seit über 20 Jahren beim THW und war schon öfter die berühmte Erste: als Referats­leiterin, als Landesbeauftragte, als Vizepräsidentin. Ich trage Verantwortung für über 2.000 Hauptamtliche, 1.000 Freiwillige aus dem Bundesfreiwilligendienst, 86.000 Ehrenamtliche. Die Bedeutung wurde mir bei der Übergabe der Ernennungsurkunde doch sehr bewusst. Und das war – sage ich ganz offen – schon etwas komisch. Und doch finde ich: Das ist der ersetzbarste Job.

Sie wollen den Frauenanteil beim THW erhöhen. Wie denn?

Vor rund 20 Jahren lag der Frauenanteil zwischen 3 und 5 Prozent, jetzt sind wir bei 16 Prozent. Es hat sich also schon wahnsinnig viel getan. Frauen sind heute selbstbewusster und sagen auch, das kann ich, das will ich. Aber natürlich gibt es Hindernisse, zum Beispiel haben wir teilweise keine Sanitäranlagen oder Umkleidekabinen für Frauen in den Ortsverbänden. Das müssen wir ändern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Sehr schön! So geht dieser "Klimajournalismus", dessen Mangel hier letztens beklagt wurde.

    Profis - keine Promis -, die an der "Front" stehen, aus ihrer fachlichen Praxis berichten lassen.

    Liberalos werden hier natürlich die Subjektivität beklagen - dass die Berichterstattung nicht von allem Menschlichen entfremdet in einem Vakuum aus platonischem Idealismus schwebt.

    Aber dass in Mitteleuropa die Dritte Wüstungsperiode vor der Tür steht, und dass "hunderttausende Binnenflüchtlinge" auch in Deutschland die Realität der Zukunft sein wird, ist kaum noch zu verhindern. ʻAʻole kēia he hoʻomaʻamaʻa.

    Und da ist es immens wichtig, Leuten wie Frau Lackner eine breite Öffentlichkeit zu geben, denn die sind die Kanarienvögel im globalen Kohlebergewerk.