piwik no script img

Kampf um ein FreibadEin Dorf hält sich über Wasser

Fast hätte Wildemann sein Schwimmbad verloren. Aber die Be­woh­ne­r*in­nen nehmen die Sache in die Hand. Es ist nicht ihre erste Rettungsaktion.

Als Niedersachsen die Finanzierung für das Freibad in Wildemann strich, übernahmen die Bewohner Foto: Emily Kietsch

Wildemann taz | Würziger Waldduft wabert von den feuchten Hügeln herunter und mischt sich mit dem Chlorgeruch aus dem Freibad. Man könnte direkt von den Hängen über die Badewiese und den Beckenrand ins Wasser kugeln. Grillen zirpen, niemand badet. Neben dem Eingang, einem Häuschen mit spitzem Dach, sitzen eine Frau und ein Mann – er mit großem Hut auf dem Kopf – auf weinroten Plastikstühlen vorm Kiosk und essen Pommes. Morgens war noch Regen durch das Tal des Ortes Wildemann gepeitscht, jetzt zieht eine zerfledderte Wolkendecke über die Oberharzer Berge hinweg.

Ein Auto rollt auf den leeren Kies­parkplatz. Ein Mann in kurzärmeligem Hemd und Bluejeans steigt aus und kommt lächelnd auf den Kiosk zu. Es ist Reinhold Hasse, zweiter Vorsitzender des Spiegelbads in Wildemann. Er begrüßt das Paar vorm Kiosk. Man kennt sich hier eben. Der Mann mit Hut ist Rettungsschwimmer, übernimmt regelmäßig die Badeaufsicht, heute eigentlich auch, aber sie haben sich entschieden, heute zu schließen. An warmen Tagen kommen schon so rund 100 Besucher*innen. Nicht so bei 20 Grad und Wolken. „Es kommen zu wenige Menschen bei diesem Wetter ins Freibad“, sagt Hasse. Voller Freibadbetrieb mit Badeaufsicht und ­Kioskbetrieb und wenige Be­su­che­r*in­nen – das trage sich nicht, darum sei für heute Schluss.

Das Freibad Wildemann kann nicht jeden Tag und bei jedem Wetter geöffnet werden. Alles muss ständig durchgerechnet und geplant werden, denn einige Dorf­be­woh­ne­r*in­nen betreiben ihr Freibad selbst. Sie haben einen Verein gegründet und finanzieren ihr Bad durch Mitgliedsbeiträge, den Kioskbetrieb, über die Eintrittsgelder – Erwachsenen zahlen für ein Tagesticket fünf Euro – und neuerdings auch Spenden und Sponsoring.

Selbst wiedereröffnet

Schon seit 15 Jahren gibt es den Verein. Und doch kämpfen die Ehrenamtlichen jedes Jahr aufs Neue um den Erhalt des Spiegelbads. Denn der Betrieb eines Freibads ist teuer. Man braucht Rettungsschwimmer*innen, Techniker*innen, Kiosk- und Reinigungspersonal, wie Hasse aufzählt. Die meisten helfen ehrenamtlich. „Das kriegen wir nur in der Gemeinschaft organisiert und ohne Ehrenamt klappt das nicht.“ Es stellten sich jedes Jahr zwei Fragen: „Haben wir genug Leute und genug Geld?“

Der 60-jährige Hasse ist seit 2022 im Vorstand, damals ging es direkt um alles: Das Spiegelbad war in der Coronapandemie zwei Jahre geschlossen, dringende Renovierungsarbeiten standen an. „Der Filter brauchte eine Erneuerung – das allein hat 50.000 Euro gekostet und dafür mussten wir Spenden erkämpfen“, sagt Hasse. Dem Verein gelang es, das Bad vor dem Verfall zu retten und wieder zu eröffnen.

Reinhold Hasse, zweiter Vorsitzender des Spiegelbads in Wildemann, will das Bad erhalten Foto: Emily Kietsch

Um das Bad am Laufen zu halten, brauchen sie etwa 30.000 Euro pro Saison, allein für die Betriebskosten. Aber damit ist es nicht getan. Es kommen immer Reparaturen dazu. Die gesamte Filteranlage ist alt, pumpt und reinigt das Wasser schon seit den 60ern. Ohne sie und ohne regelmäßige Wartung geht hier gar nichts.Es stehen weitere Sanierungen an – Hasse spricht von einer halben Millionen Euro, die in den nächsten Jahren gebraucht werden. Auch wenn diese Saison mit einigen heißen Tagen ganz gut angelaufen ist, bleibt er realistisch: „Wir brauchen noch eine Menge Pläne, wie wir die Finanzierung in Zukunft weiterhin gut hinbekommen.“

Eigentümerin des Bades ist die Kurbetriebsgesellschaft „Die Oberharzer“, die aber nicht für den Betrieb zuständig ist – das macht alles der Verein. Auch die Stadt Clausthal-­Zellerfeld, zu der die Gemeinde Wildemann als Ortschaft seit 2015 gehört, sei für das Bad nicht mehr zuständig, wie ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung sagt. Die öffentlichen Gelder vom Land Niedersachsen für das Bad wurden vor einiger Zeit gestrichen. Das hätte für das Freibad ziemlich sicher das Aus bedeutet, darum ergriffen die Leute im Ort die Initiative.

Die ehemalige freie Bergstadt Wildemann hat laut Stadtverwaltung Clausthal-Zellerfeld 886 Einwohner*innen. Das sind allerdings keine offiziellen Zahlen, da diese seit der Zusammenlegung 2015 für die einzelnen Ortschaften nicht mehr erhoben werden. Wildemanns Bürgermeister Arno Schmidt (SPD) erzählt, dass der Ort neben zunehmendem Leerstand von Häusern vor allem mit der Überalterung der Bevölkerung zu kämpfen habe. „Wenn ich einmal im Jahr zur Weihnachtsfeier einlade, dann sehe ich das – rund 550 Menschen in Wildemann sind über 70 Jahre alt.“

Schmidt ist selbst bereits 78 und seit 17 Jahren im Amt, er kommt aus Wildemann und weiß, was sich hier verändert hat. „In den 60er- und 70er-Jahren hatten wir hier noch viel mehr Touristinnen und Touristen: Das waren so über 270.000 Übernachtungen im Jahr, jetzt sind es nur noch circa 50.000.“ Das Spiegelbad sei für den Tourismus daher sehr wichtig, so Schmidt. Er ist Mitglied im Verein und betont, wie bedeutend das Freibad auch für die Region ist: „Hier lernen Kinder aus den Ortschaften schwimmen.“

So auch die zwei Kinder von Beate Nösel. Die 53-Jährige engagiert sich von Beginn an im Verein. „Das Bad ist mit seiner schönen Lage einzigartig und deshalb erhaltenswert“, sagt sie. Schon als Jugendliche fuhr sie regelmäßig mit dem Fahrrad nach Wildemann zum Spiegelbad. Heute lebt sie mit ihrer vierköpfigen Familie nur zehn Minuten vom Bad entfernt. „Hier kommen Jung und Alt zusammen, ob zum Kaffeetrinken oder um ein paar Bahnen nach Feierabend zu ziehen.“

Mittlerweile sind Nösels Kinder erwachsen und haben eine Rettungsschwimmer*innen-Ausbildung absolviert, um im Bad zu helfen. Aktuell gibt es rund zehn Ret­tungs­schwim­me­r*in­nen im Spiegelbad, alle aus der Region. Die Badeaufsicht ist aber nur ein Teil des Schwimmbadbetriebs. Nösel berichtet vom ehrenamtlichen Team, das Becken und die Sanitäranlagen reinigt. „Sie arbeiten im Hintergrund und man sieht immer nur, dass alles sauber ist“, so die 53-Jährige.

Der Ort Wildemann liegt in einem schmalen Tal, eine kurvige Straße zieht ihr Band neben dem Gebirgsfluss Die Innerste und bildet das Zentrum von Wildemann. Rechts und links der Straße türmen sich einige verlassene und viele hübsche Fachwerkhäuschen an den Hügeln ­hinauf. Direkt an der großen Straße, wo der Bus am Wochenende nur alle zwei Stunden vorbeirollt, ist der einzige Supermarkt: die Konsumgenossenschaft Wildemann. Von 8 bis 12.30 Uhr, donnerstags und freitags auch länger, ist geöffnet. Die Dorf­be­woh­ne­r*in­nen sind geübt darin, gemeinsam zu erhalten, was ihnen wichtig ist. Sei es ihr Freibad oder ihr Lebensmittelmarkt.

Das kriegen wir nur in der Gemeinschaft organisiert und ohne Ehrenamt klappt das nicht

Reinhold Hasse, sitzt im Vorstand des Spiegelbad-Vereins

Ragna Simon ist ehrenamtlich in der Genossenschaft tätig, wohnt in Wildemann und Amsterdam. Die 57-Jährige ist selbstständige Personalberaterin und auf der ganzen Welt unterwegs – und doch hält es sie an diesem beschaulichen Fleck im Harz. „Hier im Ort suchen sich viele Menschen irgendetwas, wo sie mithelfen oder mitmachen können“, erzählt Simon. An der Kasse des Marktes steht eine Spendenbox für das Spiegelbad.

Auch Reinhold Hasses Kinder haben im Spiegelbad ihre ersten Züge gemacht – heute planschen seine Enkelkinder im Wasser. „Hier im Harz gibt es viele Wald- und Naturbäder – die sind aber meistens ohne Badeaufsicht und auch durch das trübe Wasser ganz schwer zu beobachten“, sagt er. Das sei für ihn einer der Gründe, sich für das Bad einzusetzen und im Schnitt zehn Stunden die Woche für Vereinsarbeit zu opfern.

Einen Tag später sind wieder 28 Grad, sie öffnen um 11 Uhr das angerostete Eingangstor zum Freibad. Im August will der Verein ein Sommerfest veranstalten. Im vergangenen Jahr kamen immerhin rund 200 Gäste zu der Feier. Und so geht der Kampf um das Freibad in Wildemann weiter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Schon mal von "Much" im Rhein-Sieg-Kreis gehört? Das Freibad wird seit 20 Jahren erfolgreich von Bürgern betrieben.

  • Das die Leute das selbst in die Hand nehmen müssen, ist ja leider nicht neu, weil die meisten Bundesländer nur noch ihre Ballungsräume fördern und sich von der früher erfolgreichen Strukturpolitik verabschiedet haben oder das Geld in nutzlose Prestigeprojekte gesteckt haben.



    Was ich aber wirklich erschreckend finde, dass scheinbar seitens der Kommunalverwaltung noch nicht mal mehr ein Interesse daran besteht, zu wissen wieviele Menschen in den abgeschriebenen Ortschaften leben. Einfach gruselig.

    • @Axel Schäfer:

      Es sind nicht die Orte, die abgeschrieben sind sondern die Menschen, die dort leben.



      Das kommunale Wort "Bedarfsplanung" ist gerade bei Freibädern keines, bei dem auch nur ein Bürger gefragt wird. Selbst in großen Orten werden so viele Freibäder geschlossen, dass die verbliebenen durchgehend schwarze Sheriffs brauchen.



      Ohne Gesundheitsförderung gegen Kultur ausspielen zu wollen, ist die Schließung von Bädern angesichts der postpandemischen Adipositas-Gesellschaft eindeutig das falsche Signal.



      Warum nicht vor einer Schließung gefragt wird, ob es Bürger gibt, die sich für ihr Freibad engagieren wollen, ggf. auch bereit sind, mehr zu leisten als nur den Bürgergeld-Eintritt?



      Warum gibt es keine Stiftung zur Förderung von Bädern?

      • @Gerhard Müller:

        Bei uns hat es ein Verein übernommen, wenn die Gemeinde kann geben die etwas dazu, aber hauptsächlich ist es Arbeit von Freiwilligen und gebaut wurde es mal aus Strukturmitteln des Hessenplans. Allerdings weiß unser Gemeinde (3 Ortteile) auch ziemlich genau wieviel Menschen dort wohnen und was die für Sorgen haben, wobei natürlich wie überall das Geld nur für nötigste reicht.



        Niedersachsen ist da wohl historisch etwas anders strukturiert, wir haben mal ein paar Jahre in Göttingen gelebt und wenn man da mal über Land fährt merkt man schon das de kleinen Orte ziemlich abgehängt sind.

        Statt Stiftung vielleicht einen Strukturfond und auch mal ungewöhnliche Synergien nutzen.



        Ich habe mich auch mal gefragt, warum die Grundschule im Nachbarort seit den 1960ern ein Hallenbad hat. Jetzt habe ich herausbekommen, das dies aus Bundesmitteln gebaut wurde weil es mit einer Wasseraufbereitungsanlage versehen war und das Wasser als Trinwasserreserve für den Katastrophen- und Kriegsfall vorgesehen war. Genau wie es früher auch genügend "Löschwasserteiche" gab, die trotz der obligatorischen Warnschilder auch als Badeteiche genutzt wurden. Die Bundesförderung ( wohl Katastrophenschutz) wurde eingestellt, die Teiche leergelassen, jetzt sind es Sumpfbiotope.