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Politische Gefangene in BelarusTod auf der Intensivstation

Der 57-jährige Künstler Ales Puschkin ist „unter „ungeklärten Umständen“ umgekommen. Er saß eine fünfjährige Freiheitsstrafe ab.

Aktionskünstler Ales Puschkin, hier bei seiner „Dung-Aktion“ 1999 Foto: dpa

Berlin taz | Das Regime des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko hat ein weiteres Menschenleben auf dem Gewissen: Der Aktionskünstler Ales Puschkin, der in Grodno eine fünfjährige Haftstrafe in einem Straflager unter verschärften Bedingungen verbüßte, ist tot. Er sei in der Nacht auf der Intensivstation des städtischen Krankenhauses unter „ungeklärten Umständen“ gestorben, teilte sein Frau Janina Demuch auf ihrer Facebook-Seite mit. Puschkin wurde 57 Jahre alt.

„Ich hoffe, dass diese Tragödie ein Weckruf für die Welt sein wird. Wie viele Menschen müssen noch hinter Gittern sterben? Ich fordere eine starke internationale Reaktion auf diesen Tod und die anhaltende unmenschliche Behandlung politischer Gefangener“, schrieb Swetlana Tichanowskaja auf Twitter. Sie war bei der Präsidentenwahl im August 2020 gegen Lukaschenko angetreten und lebt derzeit im litauischen Exil.

Bereits seit Ende der 1980er Jahre war Puschkin immer wieder durch spektakuläre öffentliche Aktionen aufgefallen. So war er am 25. März 1989 anlässlich des belarussischen Unabhängigkeitstages, behängt mit zwei Plakaten, auf die Straße gegangen.

Darauf stand: „Bürger! An diesem Tag vor 71 Jahren wurde die Belarussische Volksrepublik ausgerufen. Denken Sie daran und denken Sie darüber nach! Das unabhängige Belarus lebt!“. Und unter einer durchgestrichenen rot-grünen Flagge (vor und nach der Unabhängigkeit 1991 die offizielle Fahne des Regimes, Anm. d. Red.) war zu lesen: „Genug vom ‚Sozialistischen‘, lasst uns die Volksrepublik wiederbeleben!“ Puschkin wurde damals zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

Dung für Lukaschenko

Im Juli 1999 – zu diesem Zeitpunkt war Lukaschenko bereits fünf Jahre an der Macht – kippte Puschin eine Fuhre Dung vor der Präsidialverwaltung in Minsk ab. Darauf lagen ein Plakat „Alexander Lukaschenko mit dem Volk“, ein Schild „für die fünfjährige Arbeit“, eintausend Rubel, Handschellen sowie die geänderte Verfassung von 1996, die erweiterte Befugnisse des Präsidenten vorsah. Diese Performance brachte dem Künstler erneut eine zweijährige Bewährungsstrafe ein.

Auch an den Protesten im Sommer 2020 gegen die gefälschte Präsidentenwahl nahm Puschkin teil und fand sich im berüchtigten Minsker Gefängnis Okrestina wieder. Nach seiner Freilassung berichtete er von Misshandlungen und zeigte seine Verletzungen an Bauch und Gesäß.

Im Mai 2021 wurde Puschkin erneut festgenommen. Die Vorwürfe lauteten auf „Schändung staatlicher Symbole“ und „Aufstachelung zum Hass“. Den Ermittlungen zufolge habe Puschkin „Porträts von Komplizen von Nazi-Verbrechern angefertigt, diese als belarussische Patrioten und heldenhafte Persönlichkeiten dargestellt sowie seine Werke dann öffentlich zugänglich gemacht“. Der Künstler habe sich „ständig an illegalen Aktionen“ beteiligt und Staatssymbole entweiht.

Prozess hinter verschlossenen Türen

Dabei ging es vor allem um ein Porträt, das Puschkin von von Jewgeni Schichar, einem Angehörigen der belarussischen antisowjetische Bewegung, gemacht hatte. Schichar war im Sommer 1944 unter deutscher Besatzung mobilisiert und in einer Aufklärungs- und Sabotageeinheit der Nazis ausgebildet worden.

Laut der Ermittlungen soll er ab 1946 an Morden und Sabotageakten beteiligt gewesen sein. Puschkin habe Schichars Taten „verherrlicht und gerechtfertigt.“ Der Prozess fand hinter verschlossenen Türen statt. An einem Verhandlungstag verletzte sich der Angeklagte zum Zeichen des Protests am Bauch. Im Mai 2022 erging das Urteil: Fünf Jahre Lagerhaft.

„Der Tod von Ales Puschkin zeigt erneut die skrupellose Fratze des belarusischen Regimes. Puschkin saß völlig unschuldig im Gefängnis und musste nun grausam sterben. Menschenleben sind Diktator Lukaschenko egal. Puschkins Kunst war kein Verbrechen, sondern sein Recht auf freie Meinungsäußerung und Kunstfreiheit“, sagte der grüne Bundestagsabgeordnete Robin Wagener der taz.

Er fordere die bedingungslose Freilassung aller politischen Gefangenen und ein sofortiges Ende der Gewalt, so der Grüne weiter. „Die EU-Mitgliedstaaten sollten zudem schnellstmöglich Sanktionen gegen alle Richter des belarusischen Repressionsapparats beschließen, die für die Willkür-Urteile gegen politische Gefangenen verantwortlich sind.“ Wagener hat für den inhaftierten belarussischen Blogger Ilhar Losik und dessen Frau Darja eine Patenschaft übernommen.

Laut der belarussischen Menschenrechtsorganisatopn Wjasna (Frühling) gibt es derzeit in Belarus 1.485 politische Gefangene (Stand: 12. Juli 2023). Puschkin ist nicht der erste Inhaftierte, der zu Tode gekommen ist. Erst im vergangenen im Mai war Nikolai Klimowitsch, der wegen einer Lukaschenko-Karikatur zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden war, in der Haft gestorben. Der 61-jährige litt an einer schweren Herzschwäche.

Gegen das Vergessen

Dass Lukaschenkos Opfer nicht in Vergessenheit geraten, ist auch das Anliegen von Tatsiana Khomich. Die Aktivistin ist Beauftragte für politische Gefangene beim Koordinierungsrat der belarussischen Opposition und die Schwester der Bürgerrechtlerin und Künstlerin Maria Kolesnikawa, die ein Gesicht der Protestbewegung von 2020 war und in Belarus eine mehrjährige Haftstrafe absitzt.

Das Interesse an der Situation in Belarus sei leider massiv gesunken, obwohl fast jede Familie Bekannte, Freunde oder Angehörige habe, die in Haft gewesen seien, so Khomich gegenüber der taz. Der Westen müsse nach Möglichkeiten suchen, um die Freilassung aller politischen Gefangenen zu erwirken, ohne dadurch jedoch das belarussische Regime zu legitimieren. Das sei jedoch eine echte Gratwanderung.

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1 Kommentar

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  • Ja, in der Tat. Über Belarus wird abgesehen von der taz selten berichtet, während der menschenverachtende Angriffskrieg in der Ukraine tobt.



    Dabei geschehen Menschenrechtsverletzungen in der Stille, sowohl in Belarus, wie auch im Rest der Welt. Ein neues Sanktionspaket ist das Mindeste, was der Westen auf den Weg bringen müsste.



    Wie immer allerdings wollen wir billige Importe von Vorprodukten und daher ist das politische Handeln unglaubwürdig. Das wird sowohl in Minsk, wie auch in Moskau genau wahrgenommen.