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Gedenkpavillon in BremenDas mahnende Trafohäuschen

An die Opfer rechter Gewalt erinnert in Bremen ein umgestalteter Zweckbau. Pietätlos? Von wegen: Dieses Mahnmal ist zukunftsweisend.

Blick in die Gesichter der Opfer: Gedenkpavillon auf dem Marwa-El-Sherbini-Platz Foto: Claudia Konerding

Den ganzen Tag schon hat es geregnet. Aber dann, pünktlich zum Beginn der Yortsait an diesem Samstag auf dem Marwa-El-Sherbini-Platz, mitten im Bremer Viertel, klingt er ab. Und vereinzelt sogar bricht die Sonne durch die Wolken.

„Yortsait“ ist Jiddisch, das Wort steht für „Jahrestag“. Zu der Gedenkfeier, die daran erinnert, wie die Ägypterin Marwa El-Sherbini 2009 in Dresden ermordet worden war, haben sich rund 60 Menschen rund um das Trafohäuschen auf dem 2018 nach ihr benannten Platz versammelt. Denn das Trafohäuschen selbst ist auch ein Mahnmal: Seit 2012 wird hier, unterstützt vom Energieversorger, dem es gehört, mit Street-Art-Portraits an zwölf Opfer rechter Gewalt erinnert.

Sie stehen stellvertretend für die – laut Amadeu-Antonio-Stiftung – 219 Menschen, die seit der Wiedervereinigung von Rechtsextremisten ermordet wurden. Der Fokus auf Sherbini erklärt sich daher, dass die Pharmazeutin und ehemalige ägyptische Handballnationalspielerin bis 2008 in Bremen gelebt hatte.

Mit seiner schnöden Alltagsarchitektur passt das Mahnmal insofern besser zu den Verbrechen, die es thematisiert, als jede pathetische Plastik oder Installation es täte. Und es wirkt in mehr als einer Beziehung zukunftsweisend. Auch weil es eben nicht nur einfach da steht, Denkmal ist – und fertig.

Anstößiges Gedenken

Mahn- und Denkmale sollen an etwas erinnern: Doch sollte das, woran sie denken lassen, noch immer den Raum der Gegenwart besetzen? Ist ihre Form angemessen? Welche Impulse geben sie? Unsere Serie erkundet in losen Abständen anstößige Denkmale des Nordens – im Guten wie im Schlechten.

Kristallisationspunkt der Erinnerungskultur

Sondern weil es als Kristallisationspunkt einer sehr gegenwärtigen, auf Versöhnung zielenden Erinnerungskultur dient, für sie aktiviert wird, vom Dialogprojekt Köfte-Kosher, in dessen Namen am vergangenen Samstag die lieben Nachbarn, lieben Freunde, lieben Zufallsanwesenden begrüßt werden.

Und danach ist schon Kunst: Sängerin und Spoken-Words-Poetin Ela Fischer führt durch ein rund fünfstündiges Programm. Liebevoll lyrisch kündigt sie die Acts an.

Die Bühne ist vis-à-vis des Pavillons aufgebaut. Und während oben eine Band von Musikern aus Israel, Palästina, Syrien und Polen einen aufregenden Mix aus Jazz und levantinischem Folk spielt, scheint das Mahnmal etwas in den Hintergrund gerückt. Beinahe, als reihe es sich ein ins Publikum, als wäre es selbst ein zu groß geratener, sehr massiver Zuhörer, der nicht mitwippt – aber keinesfalls der Anlass für diese Gedenkveranstaltung ist.

Jenseits ihrer Zeremonialfunktion erlaubt deren Straßenfestcharakter eben auch, sich aus der Historie der Gewalt zu lösen. „Wir müssen lebendig bleiben“, erklärt die Künstlerin Elianna Renner die Bedeutung der Yortsait-Veranstaltung. „Deswegen finde ich es auch wichtig, den Platz als lebendigen Ort zu bespielen.“

Von Renner stammt die Mahnmal-Idee. Sie ist Kopf und Herz der Köfte-Kosher-Initiative. Und sie hat eben auch entschieden, für den Fall Marwa El Sherbinis aufs ashkenazisch-jüdische Konzept zurückzugreifen, an eine verstorbene Person jedes Jahr an ihrem Todestag mit einer kleinen Zeremonie zu erinnern.

Im muslimischen Kontext gibt es das so nicht, im katholischen Ritus auch nur in einer wenig flexiblen Form. „Ich dachte‚ dann klau ich das mal“, so Renner, „das macht Sinn, dann kriegt sie einen Gedenktag.“

Der fällt dieses Jahr – es ist ja Samstag – besonders üppig aus: ein feministisches, iranisches Rap-Folk-Pop-Crossover-Duo tritt auf, es gibt sphärischen Experimental Pop. Es ist ein richtiges kleines Festival der Vielfalt, das die Reden eher ergänzen als es zu unterbrechen.

Die Ansprachen klingen dabei etwas kämpferischer, als wenn irgendwo irgendein Bürgermeister irgendeinen Kranz niederlegt: Sie beschwören eine Welt, „in der man ohne Angst verschieden sein“ könne. Dafür einzutreten, „das sind wir Marwa el Sherbini und allen Opfern rechter Gewalt schuldig“, beendet die Berliner Publizistin Veronika Kracher unter Applaus ihre Rede. In der deutet sie Sherbinis Ermordung als Tat einer sich selbst als Opfer wähnenden, gekränkten Männlichkeit; kein Einzelfall also, weiß Gott!

Auch wenn natürlich Alex Wiens, ihr Mörder, wirklich komplett solo agierte, erst durch verbale, dann durch physische Gewalt, vom Wort zur Tat: Er hatte die junge Frau, die mit ihrem Kind auf einem Spielplatz war, rassistisch aufs Übelste beschimpft. Sie hatte ihn angezeigt. Im Gericht, nach ihrer Zeugenaussage, griff er die von ihrem dreijährigen Sohn begleitete Schwangere an, stach auf sie ein, 18-mal. Sie verblutete.

Die Strafverfolgung mag Einzeltäter-Geschichten, weil es Schuld ja nur individuell gibt. Das verdeckt leicht den gesellschaftlichen Charakter der Tat: Sie lässt sich so auf einen persönlichen Konflikt verzwischenmenschlichen. Sie schrumpft auf ein Moment persönlicher, im Idealfall pathologischer Gefühlsaufwallung zusammen, das sich scheinbar einfach beherrschen lässt: wegsperren und gut ist.

Verbrannt mit ihren Kindern

Mahnmale machen genau das Gegenteil: Sie holen das Verbrechen in den öffentlichen Raum zurück, der sie ermöglicht hat. Sie haben daher, vielleicht gerade, wenn sie gelingen, etwas Anstößiges. Zum Beispiel, weil sie ja auch das Leid vergesellschaften, ihm einen Mahn- und Erinnerungszweck zuweisen, die Opfer wahrnehmbar machen – aber möglicherweise eben nur als Opfer. Hätten sie das gewollt? Und hätten sie es so gewollt? Und können sie dadurch nicht erneut zu wehrlosen Objekten des Hasses werden?

Oh, doch. Aber Letzteres ist selbstredend kein Argument gegen das Gedenken, sondern dafür, es als gesellschaftliche Aufgabe zu begreifen und zu verteidigen. Auch daran erinnert der Gedenkpavillon: Erst hatte 2012 eine von Renner angeleitete Gruppe muslimischer und jüdischer Schü­le­r*in­nen die zwölf Porträts von den Ermordeten an die Wände des Trafohäuschens gesprüht, nach Recherchen zu deren Biografien. Dann hatte es Vandalismus gegeben, rechte Tags und andere Attacken.

Seit 2018 sind nun die Gemälde restauriert, mit Glastafeln geschützt und um kurzbiografische Texte und um eine elektronische Dimension erweitert: Das Orts­amt verleiht sogar Virtual-Reality-Brillen, die hier, am Mahnmal, erlauben, die Tatorte regelrecht zu besuchen.

Aber auch, wer einfach so vorbeikommt, kann per Smartphone QR-Codes scannen und bekommt durch 3-D-Bilder immerhin einen Eindruck beispielsweise von jener Seniorenresidenz in Wülfrath bei Düsseldorf, in der Alfred Salomon 1992 starb: Johann Krohn, ein anderer Heimbewohner, hatte ihn zuerst antisemitisch beschimpft und dann totgeschlagen; Krohn, der schon früher beim Morden geholfen hatte: in der SS. Juristisch wurde er weder dafür noch für die Tötung Salomons ernsthaft behelligt.

Ein anderer Tatort, an den man sich begeben kann, ist jenes Haus in der Lübecker Hafenstraße, in dem die aus dem Kongo geflüchtete Françoise Makodila Landu mit ihren fünf Kindern 1996 verbrannte, in einem Feuer, dessen Brandstifter zu verfolgen sich Schleswig-Holsteins Justiz regelrecht geweigert hat.

Sie wurde nur 32 Jahre alt. In Pink, gerahmt von einem glatten schwarzen Schopf, schaut das Konterfei der Frau von der Wand des Pavillons. Fein geschnitten wirken ihre Züge. In die Ferne scheint ihr Blick zu schweifen, ins trübe, norddeutsche Grau.

Später am Nachmittag kommt der Regen noch einmal zurück. Und doch sind die Leute dageblieben, und die D*J* Gundi Doll und AZ bringen den Platz zum Tanzen, schließlich ist es ja auch recht kühl geworden. Nur wer sich vergessen kann, kann auch mit der Erinnerung leben.

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1 Kommentar

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  • Wenn wir „Yortsait“ nicht nach YIVO transkribieren, also auf einem Umweg übers Englische (sondern nach der lautlichen Bedeutung lat. Buchstaben im Deutschen), wird daraus Jorzait. Das macht die deutsche Komponente dieser Schmelzsproch für taz-Leser doch etwas transparenter. Die Sprache, יידיש , schreibt sich im Deutschen ja auch mit Jot: 'Jid(d)isch'. Das überflüssige zweite 'd' ham wir wiederum der engl. Transkription abgeguckt (die damit eine Aussprache als a-i vermeiden wollte, vgl ich=I), und sprechen den Vokal jetzt irrtümlich kurz.