piwik no script img

Sexualisierung von FrauenmodeEtwas bauchfrei, ein nuttiger Schuh

Frauen und ihre Kleidung werden ständig sexualisiert. Anstatt die Blicke der Männer verantwortlich zu machen, müssen sich Frauen vor ihnen schützen.

Nicht von pfeifenden und flüsternden Typen die Laune verderben lassen Foto: Mia Takahara/plainpicture

D as Schönste am Älterwerden ist, dass mir die Meinungen anderer zunehmend egal werden. Ich bin 36 Jahre alt und trage heute Kleidung, die ich mich mit 18 niemals traute anzuziehen. Und damit meine ich nicht ausgefallene, farbenfrohe Fummel, die Phase habe ich noch nicht erreicht, aber ich freue mich schon sehr auf meine Iris-Apfel-Ära. Ich meine kurze Shorts, knappe Kleidchen, zu tiefe Dekolletés, viel Netz.

Während ich früher versuchte, jedes Speckröllchen zu kaschieren und bloß nicht zu „schlampig“ zu wirken, gehe ich heute an besonders heißen Tagen auch mal in Strandmode zu meinem Späti und nehme in Kauf, dass der Verkäufer den Blick verschämt zu Boden richtet.

Ich lebe in Berlin und natürlich ist es gemessen an der hiesigen Kleidungskultur null radikal halbnackt auf der Straße zu spazieren. Doch gerade junge Frauen laufen immer Gefahr, ungewollt sexualisiert zu werden, sobald sie sich freizügiger kleiden.

Und damit meine ich nicht nur die Rechtfertigung sexualisierter Gewalt, welche der Buchtitel von Birgit Kelles „Dann mach doch die Bluse zu“ von 2013 ekelhaft auf den Punkt brachte. Sondern auch die ständig neu aufkeimende Diskussion um Minirockverbote an Schulen, als sei das Problem ein nacktes Mädchenbein und nicht der Blick des Lehrers darauf.

Schülerinnen nicht Lehrer tragen Konsequenzen

Ich erinnere mich, wie zu meiner Schulzeit unsere Klassenlehrerin mal eine Mitschülerin im rückenfreien Top nach Hause schickte, mit den Worten: „Wir sind hier nicht im Bordell.“

Heute scheint diese Denke teilweise schon die Schüler_innen selbst befallen zu haben, wie ein gefährlicher Pilz. Erst im Mai haben die Schüler_innen der Tutzinger Benedictus-Schule eine Kleiderordnung vorgeschlagen: Eine Handbreit bauchfrei soll erlaubt sein, Top-Träger sollen breiter als der BH-Träger sein, Hot-Pants verboten werden, Hosen nicht unter der Hüfte hängen.

Das ist nicht nur ein erschreckend restriktiver Umgang mit weiblich gelesenen Körpern, die diese Regeln in erster Linie ja betreffen. Es widerspricht auch einfach jedem Modebewusstsein, da so gut wie jedes Y2K-Trendpiece in Eigenregie verboten wird.

Erschütternd ist, dass es anscheinend auch immer noch Männer gibt, die sich in den Kleidungsstil ihrer Partnerinnen einmischen. Erst kürzlich gab es zwei prominente Fälle: Nachdem ein Video der US-Schauspielerin Keke Palmer viral ging, in welchem sie ein sehr schickes, transparentes Kleid trägt und von R&B-Sänger Usher ein romantisches Ständchen gesungen bekommt, kommentierte ihr Lebensgefährte Darius Jackson das Video mit den Worten: „Was soll dieses Outfit? Du bist eine Mutter.“

Zum Schutz auf Freizügigkeit verzichten

Während Jackson daraufhin mit einem Shitstorm konfrontiert wurde, trauten sich andere Frauen mit ähnlichen Erfahrungen zu Wort: die Sportlerin Sarah Brady machte Nachrichtenverläufe mit ihrem Ex-Freund, dem Hollywoodstar Jonah Hill, öffentlich, in denen er Brady auf manipulative Weise dazu auffordert, keine Fotos von sich im Bikini oder Badeanzug zu posten.

Brady ist professionelle Surferin – das muss sie nicht sein, um diese Aufforderung als grenzüberschreitend zu erkennen, aber Bademode ist buchstäblich ihre Arbeitskleidung. Trotzdem hat sie sich ihrem Ex damals gebeugt, stellt Brady verärgert fest.

Auch ich, muss ich zugeben, nehme lieber ein Taxi, wenn ich aufgebrezelt zur einer Party gehe, um mir auf dem Weg nicht schon die Laune verderben zu lassen von pfeifenden und flüsternden Typen.

Und wenn ich zu Fuß gehen muss, trage ich keine hohen Absätze, seit ich einmal bei Dunkelheit von einer Gruppe von Männern belästigt wurde, die – so nehme ich an – auf das Geräusch meiner Stiefel aufmerksam wurden. Im Grunde schränke ich mich also heute noch ein, aber aus Schutz. Und nicht weil ich Angst habe, was die Leute bloß denken sollen. Vielleicht liegt dazwischen aber gar nicht so ein großer Unterschied.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Fatma Aydemir
Redakteurin
ehem. Redakteurin im Ressort taz2/Medien. Autorin der Romane "Ellbogen" (Hanser, 2017) und "Dschinns" (Hanser, 2022). Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift "Delfi" und des Essaybands "Eure Heimat ist unser Albtraum" (Ullstein, 2019).
Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • Karlsson , Moderator

    Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion nun geschlossen. Die Moderation.

  • @NORMALO

    Menschliche Kommunikation ist schwierig und bedarf eines gewissen Einfühlungsvermögens. Und man muss auch damit rechnen, das man nicht alles auf Anhieb richtig hinkriegt. Und man muss manchmal eher auf der vorsichtigen Seite bleiben.

    Ist Ihnen das alles neu?

    Wie schwer ist es, verdammt noch mal, zuzuhören, wenn Menschen sagen "ich empfinde das als übergriffig" und das eigene Verhalten daraufhin zu überprüfen?

    • @tomás zerolo:

      Völlig klar. Ich beschwere mich auch nicht, merke nur an, dass man es sich bei der Definition der Grenze zwischen akzeptablem (oder gar erwünschtem) Verhalten und Übergriff - zumal subjektiv empfundenem - AUCH nicht zu leicht machen sollte. Insbesondere sollte man sich nicht der Illusion hingeben, daß seien VÖLLIG unterschiedliche Paar Schuh oder die Grenze verlaufe überall gleich.

  • Bretzelt man sich denn nicht auf um überhaupt oder noch viel mehr wahrgenommen zu werden? Welche Wahrnehmung erwartet man/frau denn? Oder ist das Aufbretzeln nicht ein Ausdruck sich von den anderen abzusetzen hier, bzw. dabei zu sein dort, wenn man auf der Party ist?



    Würde mal darüber reden wollen, warum beim Mann nicht ein dekoltiertes Kleid und bei der Frau nicht ein schwarzer Anzug als aufgebrretzet gilt. Dann kämen wir vllt. der Sache näher. Hat wohl was mit kultur-evolutionärem Vorteil zu tun... schlichte Gemüter wir alle, ist wohl anzunehmen.



    Die, die dann männergrüpplich den Primitivling mimen sind dann halt nicht nur schlichte Geister sondern auch so doof das zu demonstrieren. Daher scheint der Gedanke mit dem Selbstschutz richtig!

  • Moinmoin a balconia

    Faß mal zusammen:



    “Kiik dir dit an! Die Olle uffjetakelt wie ne Frejatte! Un dett BamS barfuß.“



    40er - irgendwo in Halle/Saale.



    & nochens



    Irgendwo zwischen Jan Ü. Thomås Zerolo und Moon - geht’s zusammen.

    Und die Autorin¿ - hat ja mit 36 die schwierigen zehn Jahre der Frau zwischen 40 & 42 noch vor sich vorgenannte Dame*04 gern so umriß:



    “Von hinten Lyzeum - von vorne Museum!“ (Sorry zitier ja nur!;)

    unterm—- Lehrer offene Bluse —-



    Hab “James“ Klapper Physik/Erdkunde noch unfähig in Erinnerung: “Tasche auf dem Tisch Seydlitz & las ab!“ - “Ja schonn. Aber - ich saß ja genau am anderen Ende der 1. Bankreihe!



    Die Tasche?! Na um seinen DauerStänder zu kaschieren wg der Mädels vor ihm!“

    50. Abi - du lernst nie aus! Woll.

    So geht das ©️ Vonnegut



    “Sei vorsichtig, was du vorgibst zu sein, denn du bist, was du vorgibst zu sein.“



    Das gilt halt auch für die Autorin in ihrem Eigen&Frembildgekrumpel - wa!



    Un - Scheunen Sündach ook

  • @JAN Ü

    Zwischen "hingucken" und "belästigen" ist allerdings eine grosse Lücke. Wenn Sie das nicht verstehen, dann müssen Sie noch mal darüber nachdenken.

    (Und ja, es ist nicht unbedingt einfach, weil die Schwellen bei Menschen unterschiedlich sein können: soziale Interaktion muss halt immer wieder geübt und hinterfragt werden).

    Ich schlage vor, Sie üben sich darin, sich in die Lage anderer Menschen hineinzuversetzen. Es ist spannend, glauben Sie mir.

    • @tomás zerolo:

      Soo groß ist die Lücke nicht unbedingt, wenn man die angeekelten Berichte über "lüsterne" Blicke so liest. Also Widerspruch auch Hingucken kann ganz klar als übergriffig empfunden werden. Subjektiv kommt es dabei - so scheint es mir zumindest - sehr häufig gar nicht so sehr darauf an, WIE hingeguckt wird, sondern von wem.

      • @Normalo:

        "...sehr häufig gar nicht so sehr darauf an, WIE hingeguckt wird, sondern von wem."



        Mmmh, darüber muss ich nochmal nachdenken:)



        Aber wahrscheinlich haben Sie recht; ist bei politischen Themen ja auch nicht selten der Fall.

      • @Normalo:

        Vllt mal akustisch la difference a Vagel Bülow

        www.youtube.com/wa...YSBkZXIgcGlyb2w%3D



        Gepfiffen - Gelle.

        • @Lowandorder:

          Ich sprach gerade NICHT von akustisch oder gar taktil wahrnehmbarer Aufmerksamkeit, die trotzdem als Übergriff wahrgenommen wird.

          • @Normalo:

            Ach was?! “taktil“ - Hola.



            Na anyway - is ja nachgesehen! Woll.

            unterm——“SabSabtil“ - 🙀🥳 — 😅 —-



            “tak·til /taktíl/



            AdjektivBIOLOGIE



            das Tasten, die Berührung, den Tastsinn betreffend, mithilfe des Tastsinns [erfolgend] "taktile Reize“

            kurz - zu sojet Ferkeleien mich zu äußern käme mir ja gar nicht erst in den Sinn. Hat mir doch meine Frau Mutter früh untersagt!



            Back to sender - was alles so in uns Normalo steckt …ts ts ts

            • @Lowandorder:

              Sie Engel... ;-)

  • Sorry, ohne irgendwas rechtfertigen zu wollen, aber die Sexualisierung fängt beim Aufbrezeln an. Das Hingucken, ist ja das primäre Ziel schöner aber auch reizvoller Kleidung. Das schon zu skandalisieren ist entweder naiv oder denkfaul.

  • „Im Grunde schränke ich mich also heute noch ein, aber aus Schutz. Und nicht weil ich Angst habe, was die Leute bloß denken sollen. Vielleicht liegt dazwischen aber gar nicht so ein großer Unterschied.“

    O.k., das zeigt die eigentliche Problematik noch mal auf, deren Thematisierung anzuerkennen ist. Plus der Tatsache, dass keine Art von weiblichem Kleidungsstil männliche Übergriffigkeit (auch verbal) „erlaubt“.

    Darüber hinaus sind mir Promis und ihre Sch..stürme um zuerst mal nur ihre „Sexualisierungskonflikte“ schnurzpiepegal.







    Aber da ist noch ein anderer Punkt: In einem Taz-Artikel stand die Anmerkung, Prominente (Popstars etc.) hätten für die Öffentlichkeit durchaus eine gewisse Vorbildfunktion. Der Meinung bin ich eher nicht. Ich meine, sie nehmen mit ihrem Auftreten ganz einfach Einfluss, z. B. auf Moden. Ich meine, wenn das so ist, dann sollten Jugendliche, auf die solche Einflüsse noch mal besonders einwirken, auch irgendwann zu einer sicheren inneren Distanz zu solchen äußerlichen Einflüssen kommen. Selbstbestimmung ist wichtig.

    Von daher: Ist das so kritisch zu sehen, wenn Schülerinnen u. Schüler sich möglichst selbst u. unbeeinflusst zusammen Gedanken darüber machen, welche Kleidung SIE in der Öffentlichkeit wie der Schule für eher angemessen/unangemessen halten?



    Deshalb finde ich das im Artikel per Link vorgestellte Schulprojekt interessant. Ja, da kann/muss man wahrscheinlich sogar fragen, inwieweit da nicht doch zu viel Einfluss von Lehrer- und Elternschaft dann mit im Spiel ist. Stellt sich die Frage, ob die Schülerinnen u. Schüler sich da am Ende selbst auferlegte kollektive Zwänge schaffen, die sie dann untereinander rigide u. intolerant durchzusetzen beginnen (Mobbing). Die Kids sind doch längst nicht immer die lieben Kleinen…“

    Aber ich denke: Lasst sie doch mal selbstbestimmt „machen“. Vielleicht ist das der beste Weg mit der im Artikel thematisierten Problematik umgehen zu lernen?

    • @Moon:

      "Ist das so kritisch zu sehen, wenn Schülerinnen u. Schüler sich möglichst selbst u. unbeeinflusst zusammen Gedanken darüber machen, ..."



      Jain, aber irgendwie ist diese Selbstkontrolle und Moralisierung der Jugend irgendwie auch erschreckend....



      Bei Schülern fällt mir auf, dass da sehr viel über Moral und Insider-Korrektheitsnormen reguliert wird... Jugendlich sein durch Korrektheit das trägt auch den Keim einer neuen Verstocktheit in sich. Ich hoffe ich irre mich aus meiner Erwachsenenperspektive!

      • @nutzer:

        @nutzer u. @NORMALO



        Vorweg: Ich habe selbst keine Kinder, erlebte/erlebe aber (begrenzt) die Kinder der Geschwister u. manchmal im Freundeskreis. Wo es dann in den Gesprächen auch um die z. B. jugendlichen Kinder geht. Manchmal sind da auch die Meinungen und Eindrücke derjenigen „gefragt“, die da die „Außenperspektive“ haben. Lehrer/Schulsozialarbeiter etc. bin ich auch nicht.



        Ihre Erläuterungen hier sollten auch aus meiner Sicht nicht übersehen werden. Ich schreibe ja selbst von den negativen Seiten eines Gruppendrucks (Peer Group) der Jugendlichen untereinander. Allerdings scheint mir das im verlinkten Bericht vorgestellte Schulprojekt doch auch „positv“ und „wenig aufgeregt“ abzulaufen – von Seiten der Schülerinnen u. Schüler! Man kann ihnen schon etwas zutrauen und sollte das auch. Auch der Lehrerschaft u. den Eltern. Hilft ein solches Projekt nicht auch dabei, dass die Jugendlichen auch die untereinander geübten Gruppenzwänge zur Sprache bringen? Sich bewusster werden, wenn der zu weit geht, wo Mobbing in´s Spiel kommt? Im Bericht viel mir z. B. auch auf, dass die Jugendlichen nicht etwa lange, akribische Listen von „erlaubt/nicht erlaubt“ erstellten. Es ging nach meinem Eindruck um wenige einfache Sachen, bei denen die Jugendlichen sich einig darüber waren, sie alle eher nicht zu mögen. Also insgesamt habe ich da einen positiven Eindruck, was die Wirkung des Projekts angeht. Und: Die „Kleiderordnung“ der Lehrerinnen u. Lehrer wurde mit einbezogen!

      • @nutzer:

        Ich würde genau hinsehen, ob es wirklich "Selbst"kontrolle ist, die da stattfindet, oder ob es um Kontrolle der Einen durch die Anderen geht. Wie üblich werden die überzeugtesten Proponenten solcher Regularien die sein, denen an den bislang bestehenden Freiheiten wenig liegt. Anders gesagt: Erstmal schauen, wer aktuell mit Klamotten rumrennt, die NICHT zu den geplanten Regeln passen, und wer im Vergleich dazu nach ihnen ruft...

        • @Normalo:

          Nochmal @nutzer u. @NORMALO

          Eine Ergaänung noch zum verlinkten Artikel.



          Dort heißt es, die Schülerinnen u. Schüler hätten sich gegen das Tragen von "hot pants" ausgesprochen.

          Verwunderung beim mir als Leser!

          Die heutigen "pants" sind mir noch nicht weiter aufgefallen. Ich kenne die Orginale der 1970er Jahre. Da war ich in der Handelsschule, die Schülerschaft dort c. a. 16 Jahre alt. Manche der Mädchen trugen die mindestens als "gewagt" geltenden "Pants". Natürlich waren die für uns Jünglinge sehenswert (die "ganzen" Mädchen) u. sexy. Nur irgenwie "total aufregend", "irritierend" u. ä. - ach wo! Wir nahmen das "interssiert zur Kenntnis" u. fanden das zugleich "total normal ey". Den Aufstand, den die Erwachsenen darum machten, den konnten wir gar nicht nachvollziehen. Was hatten die? War doch normal.