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Streit über EU-AsylpolitikWarschau und Budapest sagen nein

Drei Wochen nach der Einigung der EU-Innenminister wackelt der europäische Asylkompromiss. Der EU-Gipfel endet ohne Beschluss.

Rettungswesten auf der Insel Lesbos Foto: Björn Kietzmann

Brüssel taz | Schon wieder auf der Kippe, drei Wochen nach der Einigung der EU-Innenminister. So steht der europäische Asylkompromiss. Polen und Ungarn haben die auch in Deutschland umstrittene Einigung beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Freitag in Brüssel kategorisch abgelehnt und einen Beschluss zur Migration verhindert.

Kanzler Olaf Scholz und Gipfelchef Charles Michel versuchten, den Streit herunterzuspielen. 25 von 27 EU-Staaten stünden hinter dem Kompromiss, sagte Michel nach dem Eklat. Er habe „Grundvertrauen, dass eine in den Verträgen Europas vorgegeben Gesetzgebung auch von allen Beteiligten beachtet wird“, erklärte Scholz.

Doch Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki drohen, die Asylreform nicht umzusetzen. Es ist ein Déjà-vu: Schon in der Flüchtlingskrise 2015/16 waren Polen und Ungarn ausgeschert; die EU-Politik lief in Leere.

Droht nun eine Wiederholung? Orbán lässt keinen Zweifel daran, dass er es ernst meint: Im Sitzungssaal des Brüsseler Europa-Gebäudes habe sich „ein Migrationskrieg“ abgespielt, behauptete er. Ungarn werde nicht einlenken. „Sie wollen uns vorschreiben, Migrantenghettos zu bauen“, behauptete Orbán. Sein Land führe einen „Freiheitskampf“.

Morawiecki auf Krawall gebürstet

Morawiecki war schon bei seiner Ankunft in Brüssel auf Krawall gebürstet. „Die PiS-Regierung wird mit Sicherheit keinen Experimenten und keiner Erpressung in Bezug auf die Aufnahme illegaler Einwanderer zustimmen“. Später legte er einen Textentwurf vor, der die Rückkehr zur Einstimmigkeit in der Flüchtlingspolitik vorsieht.

Dahinter steht ein grundsätzlicher Konflikt. Die Innenminister haben ihren Kompromiss mit qualifizierter Mehrheit beschlossen, Ungarn und Polen wurden überstimmt. Orbán und Morawiecki stellen sich jedoch auf den Standpunkt, dass in so wichtigen Fragen der EU-Gipfel zuständig sei – und dort gilt das Konsensprinzip.

Dies ist auch der Grund dafür, dass der Gipfel keinen Beschluss zur Migration gefasst hat. Denn dafür wäre Einstimmigkeit nötig gewesen. Das umstrittene Asylgesetz kann trotzdem weiter verfolgt werden. Es ist – so die Auffassung der Mehrheit – ja schon auf den Weg gebracht und wird nun mit dem Europaparlament verhandelt.

Keine Umsetzung trotz Verabschiedung im Europaparlament

Kritisch wird es nach der Verabschiedung der Asylreform, die noch vor der Europawahl im Juni 2024 geplant ist. Ungarn und Polen drohen, dass sie einen zentralen Teil der Reform – den Solidaritätsmechanismus – nicht mittragen und auch nicht umsetzen wollen. Dabei geht es um die Umverteilung der Asylbewerber auf die EU-Länder.

Orbán und Morawiecki lehnen das kategorisch ab. Sie wollen auch nicht die geplanten Ausgleichszahlungen von 20.000 Euro leisten, die für jeden nicht aufgenommenen Migranten vorgesehen sind. Sollten sie bei ihrer harten Haltung bleiben, so wäre die Asylreform gescheitert. Die viel beschworene Solidarität wäre dahin, wie 2015/16.

Der Kompromiss ist allerdings nicht nur in Osteuropa umstritten. Auch in Deutschland gibt es Widerstand. Er richtet sich vor allem gegen die geplanten Grenzverfahren, die in eigens errichteten Aufnahmelagern durchgeführt werden sollen – auch bei Familien mit Kindern. Dies sorgt vor allem bei den Grünen für Empörung.

Scholz sagte, er hoffe, dass in den Verhandlungen mit dem Europaparlament noch humanitäre Verbesserungen erreicht werden könnten. Den Chef der deutschen Grünen im Parlament, Rasmus Andresen, überzeugt das nicht. Der Streit beim EU-Gipfel habe gezeigt, dass der Asylkompromiss „nicht der Anfang einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik war“. Der Ansatz der EU erfülle ihn mit Sorge.

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5 Kommentare

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  • Mit den zeitgleichen Unruhen in Frankreich fühlen sich Orbán und Morawiecki weiter bestärkt. Ich denke wir werden in Europa immer weiter weg von einem Asylkompromiss driften. Das dürfte die Narrative der Ausländerhasser am rechten Rand weiter bedienen.

  • Wie wäre es denn, wenn die 25 anderen den östlichen Quertreibern die Entscheidung abnähmen? Einfach beschließen, das Ganze ohne sie zu machen und zum Ausgleich alle Zahlungen stoppen. Wir brauchen mindestens ein solches „Europa der zwei Geschwindigkeiten“, sonst ist das Projekt EU im Prinzip gescheitert. Mit Polen und Ungarn lässt es sich erst nach Wiederherstellung des Rechtsstaats zusammenarbeiten und allen anderen müssen die Konsequenzen einer rechtsstaatsfeindlichen Regierung aufgezeigt werden, damit man sich zweimal überlegt, solche Figuren zu wählen.

  • Wen überrascht das?



    Niemand, der privatrechtlich und /oder politisch als "geschäftsfähig" angesehen werden kann; sollte man meinen. Aber wir haben einen Bundeskanzler, der Probleme mit den erinnern hat. Was hat der Ratspräsident denn eigentlich bisher hinbekommen. Ich erinnere nichts.

    Mal ehrlich: Italien und Griechenland waren dafür, weil sie mit dem Machwerk die Migration draußen halten können. Spanien folgt dem nach der Wahl.



    Außerdem: Bulgarien, Tschechien, Slowakai, Schweden und Finnland - Österreich, Kroatien, Dänemark; und Deutschland, dass legal nur per Falschirm betroffen wäre, wenn die Regelung kommt? Alle waren wohl dafür, weil klar war, der "Verteilungsmechanismus" kommt nicht.

    Das ist die Chance, etwas sinnvolles anderes zu tun oder zuzugeben, dass die EU gescheitert ist, im Kern und der Substanz.

    Und: wenn die letzte Bastion gegen Menschenfeindlichkeit nur noch der EuGH ist, der Gelder an diejenigen zu sperren als rechttmäßig ausurteilt, wenn Spurenelemente von Rechtsstaatlichkeit nicht mehr zu finden sind, dann ist es wohl kurz vor Schluss.

    Welches Mitglied der EU will humanitäre Migration? Welches?

    Habe fertig.

  • Und nun?

  • Wenn der Kompromiss ohnehin nicht trägt, dann sollte Deutschland auf den Weg der Humanität zurückkehren. Wir brauchen diese Menschen für unsere Wirtschaft, wir sollten sie nicht abweisen.