Strategien für Langzeitarbeitslose: Wirklichkeit der Bürgergeld-Reform
Höhere Freibeträge, Prämien für Abschlüsse, ganzheitliche Betreuung: Klingt gut, wäre da nicht die Personalknappheit in den Jobcentern.
D ie Worte klingen ebenso wohlig wie abstrakt, und das stimmt misstrauisch. Langzeitarbeitslose sollen mit einer „ganzheitlichen Betreuung“ unterstützt werden, die Förderung soll sich mehr an der „individuellen Lebenslage“ ausrichten. So heißt es bei der Bundesagentur für Arbeit, wo jetzt die zweite Stufe der Bürgergeld-Reform vorgestellt wurde, die ab nächster Woche gilt. Es gibt höhere Freibeträge für erwerbstätige Leistungsbezieher:innen. Wer einen Berufsabschluss nachholt, bekommt eine monatliche Zusatzprämie von 150 Euro. In den Jobcentern sollen Vermittler:innen und Arbeitslose einen „Kooperationsplan“ zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt schmieden.
Den begrüßenswerten Vorhaben steht allerdings die traurige Realität in den Jobcentern gegenüber. Kürzlich schickte ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin des Jobcenters Dortmund anonym einen offenen Brandbrief an Politik und lokale Presse, in dem er oder sie die angespannte Personalsituation im Jobcenter anprangerte. Eigentlich sehe der Personalschlüssel ein Verhältnis von eineR Vermittler:in auf 150 Leistungsbezieher:innen im Jobcenter vor, in Wirklichkeit aber sei die Zahl der Betreuten pro Mitarbeiter:in dreimal so hoch.
Von ganzheitlicher und individueller Betreuung kann daher keine Rede sein. Also läuft es wie früher auch, als das Personal vor allem möglichst gute Zahlen für die Statistik produzieren sollte, ohne auf den Langzeiteffekt von Maßnahmen zu achten. Man hatte sich schon länger gefragt, wie denn die Jobcenter mit der gestiegenen Zahl an Klient:innen zurechtkommen – allein aus der Ukraine sind Hunderttausende Geflüchtete im Bürgergeld-Bezug. Also: Sie kommen nicht klar.
Deswegen ist es richtig, dass die Kommunen und die Bundesagentur für Arbeit jetzt von der Bundesregierung mehr Geld für die personelle Ausstattung der Jobcenter fordern. Und es war keine gute Idee des Bundesarbeitsministers, bei den Verwaltungsausgaben für die Jobcenter zu kürzen. Neue Gesetze mögen gut sein, aber wenn die Umsetzungsmöglichkeiten gar nicht vorhanden sind, wirken sie unglaubwürdig. Dem Problem muss sich Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) stellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar