Neue Metal-Alben: Drastik, Gebolze, so viel Gefühl
Schwarze Messe and all that Jazz: Dave Lombardo und Queens of the Stone Age zeigen, wie filigran und visionär harte Rockmusik klingen kann.
Metal und Avantgarde-Traditionen finden seit längerem zu immer wieder neuen und interessanten Verbindungen zusammen. Das US-Duo Sunn 0))) bringt seit den späten Neunzigern Black Metal, Drone- und Geräuschmusik in Super-Slowmotion zum Dröhnen. Und „Dear Desolation“, ein Werk der exzessiv rabiaten australischen Death-Metaller Thy Art Is Murder wird vom Magazin The Wire, dem britischen Fachblatt für abseitige Musik, zum Album des Jahres 2022 gewählt: In der Kategorie Avant Rock.
Einer der Pioniere, die vom Metal Richtung Avantgarde gewandert sind, ist Slayer-Schlagzeuger Dave Lombardo. Lombardo gründete 1998 mit Musikern von den Melvins und dem Stimmakrobaten Mike Patton (Faith No More, Mr. Bungle) die Band Fantômas. Patton betreibt auch das Label Ipecac, auf dem Metal mit Avantgarde-Schlagseite veröffentlicht wird und jetzt auch Dave Lombardos Debütsoloalbum „Rites of Percussion“ erscheint.
Der Fantômas-Cut-Up-Sound klingt maximal stressend, aber eben auch unglaublich seltsam und hyper-energetisch. Das ultraschnelle Getrommel Lombardos fügte sich ohne Weiteres in die in alle Richtungen schießende Musik ein. Dass hier einer mit einer strahlenden musikalischen Intelligenz zu Werke geht und zugleich maximal unprätentiös wirkt, kann man seit den frühen Alben von Slayer verfolgen.
Trommeln wie ein Dirigent
Lombardo trommelt wie ein Dirigent, dirigiert und ballert wie kaum ein anderer Schlagzeuger sonst: unglaublich präzise, straight und auf schwer zu greifende Weise melodiös. Es folgten, neben vielem anderen eigentlich Unwahrscheinlichen, zahlreiche Kollaborationen mit dem New Yorker Freejazz-Saxofonisten John Zorn und mit „Vivaldi – The Meeting“ eine Vivaldi-Einspielung mit Double-Bass-Inferno. Lombardos Bearbeitung klingt erstaunlicherweise nicht gewollt extrem, sondern ist ein tolles Klassikalbum geworden.
Dave Lombardo: Rites of Percussion (Ipecac/PIAS/Rough Trade)
Queens of the Stone Age: In Times New Roman (Matador/Beggars Group/Indigo)
Weil es eben nicht den offensichtlichen Gegensatz – klassische Musik, Metal – lustig forciert, sondern tatsächlich zeigt, wie beides trotz aller Unwahrscheinlichkeit ineinandergreifen kann. Sehr eindrucksvoll auch das Trio, das der bildende US-Künstler Matthew Barney in seinem Film „Cremaster 2“ dokumentiert: Lombardo taucht da an der Seite von Morbid-Angel-Sänger Steve Tucker und einem Schwarm Bienen auf, der noch um einiges bedrohlicher klingt als Tuckers Geröhre. Ein düstere, befremdliche und auch komische Musik.
Sein Geld verdient Lombardo als Tourdrummer durchaus legendärer US-Bands wie the Misfits und Suicidal Tendencies. Es hat also gedauert, bis nun endlich das Debüt-Soloalbum des 1965 auf Kuba geborenen Schlagzeugers erschienen ist. „Rites of Percussion“ wurde von Dave Lombardo allein im Heimstudio eingespielt, während des Lockdowns.
Sehr schnelle Breaks
Die Stücke muten, der Titel deutet es an, ritualistisch an. Double-Bass-Geboller und sehr, sehr schnelle Breaks gehen mit Perkussivem zusammen und ergeben eine Musik, die auf einem Jazz-Festival genauso angebracht wäre wie zur Untermalung einer schwarzen Messe. „Inner Sanctum“ und „Journey of the Host“ grooven und stampfen vordergründig wie Sau, aus dem Hintergrund aber schält sich immer wieder Grusel-Electronica.
„Warpath“ wiederum klingt so, dass man gleich in eine Bananenrepublik einmarschieren würde, zugleich hört man aber auch, dass Dave Lombardo sich viel mit der Musik von Tito Puente beschäftigt hat. Das ist vielleicht das Schönste an der Musik dieses Albums: Wie hier Brachialität und filigranes Hochgeschwindigkeitsgetrommel eine Mesalliance eingehen und sich sozusagen in ihm auflösen.
Die zweite Hälfte von „Rites of Percussion“ ist ruhiger ausgefallen. Im Finale, „Animismo“, spielt Lombardo vergleichsweise frei, dass man meint, der Geist von Free-Jazz-Drummer Milford Graves sei in den Thrashmetal gefahren und würde nun eine Menge Spaß haben mit den Geräuschen, die er an den Trommeln fabriziert. In der Verbindung von Heavy-Metal-Techniken und den Perspektiven freierer Musiktraditionen entsteht hier etwas Neues (am direktesten zu hören in den beiden Stücken „Interfearium“ und „Blood Let“). Oder, wie der Slayer-Produzent Rick Rubin kürzlich über Dave Lombardo gesagt hat: „Ein unglaublicher Bolzen, aber so viel Gefühl.“
Mit dem Hammer verfeinern
Der letzte Satz passt auch zum musikalischen Schaffen von Josh Homme, dem einzigen konstanten Mitglied der US-Band Queens of the Stone Age, die eigentlich mit dem Hammer operiert, ihre Technik aber zugleich mehr und mehr verfeinert hat. Das nun veröffentlichte achte Album „In Times New Roman“ läuft zwar nicht in Richtung Avantgarde, sondern hin zu einer Rockmusik, die sowohl emotional eins zu eins funktioniert wie auch als Sounddesign.
Und auch in ihrer Musik finden sich unter der rohen Oberfläche akribisch gebaute Arrangements. Es fällt beim ersten Hören nicht gleich auf, weil die Musik von „In Times New Roman“ unbehauener wirkt als noch beim Vorgänger „Villains“ (2017). Und weil die Geschichte, die beim neuen Album mitschwingt, eher auf Gefühlsausbruch hindeutet: Vier Jahre lang war Josh Homme verstummt, belastet vom Scheidungskrieg mit seiner Ex-Frau, einer Krebsdiagnose und -behandlung und dem Tod mehrerer Musikerfreunde.
Die zehn Stücke sind denn auch bluesiger und düsterer geraten als das meiste, was die kalifornische Band bis dahin fabriziert hat. Die erste Single, „Emotion Sickness“, legt gut vor und stampft drauflos, während im Text das Leid der letzten Jahre beschworen wird: „Use once and destroy/Single servings of pain / A dose of emotion sickness/I just can't shake/Then my fever broke“. Wenn man dann genau hinhört, passiert musikalisch aber unheimlich viel.
Musikalischer Überschuss
Die Gitarrenhooks und überhaupt die Melodien verhalten sich untypisch zum Gesang, trotzdem ist „Emotion Sickness“ ein super eingängiges Rockstück geworden. Ähnliches auch bei „Carnavoyeur“, das von einem Keyboard bestimmt wird, welches einen Kontrapunkt zur Dominanz der Gitarren setzt. Die Musik ist anders gebaut, als man das im Stoner Rock ansonsten so kennt, filigraner auch, und dieser musikalische Überschuss zieht sich durch die Musik des ganzen Albums.
Beide, Lombardo und Queens of the Stone Age, kommen aus musikalischen Gegenden, die vom Eindruck der Brachialität leben. „Rites of Percussion“ kehrt sich tatsächlich von seinem Herkunftsgenre und ist kein Thrash-Metal mehr. „In Times New Roman“ hingegen bleibt immer noch bluesiger Stoner Rock. Beide unterlaufen die Brachialität, bei aller Freude am Krach, zugunsten von Details und einer durchgearbeiteten Mehrschichtigkeit.
Auch daher ist ihre Musik das Gegenmodell zum Metalmainstream nicht zuletzt zum deutschen Erfolgsmodell Rammstein, dem von der Kritik immer wieder Ironie und Komplexität untergejubelt wurde, vor allem über die Songtexte, und bei dem sich inzwischen aber der Eindruck aufdrängt, dass das alles so ungebrochen schlimm und gewalttätig gemeint war, wie es auch klingt.
Wozu man eben auch nur den in jedem Sinne platten Sound hätte ernst nehmen müssen. Es gilt nicht immer, aber in der Causa Rammstein allemal: Wo maximal eine halbe musikalische Idee pro Stück zu finden ist, ist auch sonst nicht viel zu holen.
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