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Osnabrücks Streit um antikoloniale KunstKaufhaus in Sack und Asche

Der Ghanaische Künstler Ibrahim Mahama kleidet ein verwaistes Warenhaus in gebrauchte Transportsäcke. Manche verstört die einleuchtende Symbolik.

Mit grobem Garn und riesigen Nadeln: rund 60 Menschen haben mitgewirkt Foto: Angela von Brill/Ibrahim Mahama; Kunsthalle Osnabrück

Osnabrück taz | Osnabrück ist reich an Lost Places. Besonders düster fällt das am Neumarkt ins Auge, dem zentralen Platz der Stadt. Das einstige Kaufhaus Wöhrl steht hier seit vielen Jahren ruinenhaft leer, ebenso das ­siloartige Sportarena-Gebäude. Und auch der 20.000 Quadratmeter große Sechs-Etagen-Klotz, in dem zuletzt „Kaufhof“ residierte, ist ein Geisterhaus.

Aber was leer steht, kann auch Fülle erzeugen. Während der Ex-Kaufhof auf seine Neugeburt als „Osnabrücker Ding“ wartet, als „Cross Community Space“ vom Co-Working bis zum E-Sport, mit Mietern wie der Uni Osnabrück, wird es zum Kunstwerk.

Der ghanaische Künstler Ibrahim Mahama, der bei der Kunst-Biennale von Venedig 2019 Ghanas Pavillon gestaltet hat und dessen „Parliament of Ghosts“ dort dieses Jahr in der zentralen Ausstellung der Architektur-Biennale gezeigt wird, verhüllt mit der Installation „Transfer(s)“ die Fassaden des einstigen Warenhauses, eine Fläche von insgesamt 4.000 Quadratmetern.

Alte, durch langen Gebrauch zerschundene Jutesäcke kommen dabei zum Einsatz. Mahama bekommt sie im Austausch gegen neue von Händlern. Waren wie Kakao, Bohnen und Holzkohle haben sie transportiert, von Ghana nach Europa, in die USA. Hinzu kommen gewaltige Bahnen aus Baumwolle und Synthetik. Sie tragen Applikationen aus westafrikanischen Batakari-Gewändern, deren Innenfutter nicht selten aus recycelten Bettwäscheresten und Mehlverpackungen besteht.

Reminiszenz an HA Schult

„Transfer(s)“, seit zwei Jahren in der Planung, ist Teil des 30-jährigen Jubiläums der Kunsthalle Osnabrück und zugleich Teil des Programms zu 375 Jahren Westfälischer Friede. Dass Mahamas Verhüllung an die 15.000 Kartons erinnert, mit denen HA Schult 1998 in Osnabrück anlässlich des 350. Jubiläums des Friedensschlusses von 1648 einen Speicher am Osnabrücker Hafen umhüllte, darf also nicht wundern.

Mahama nimmt in „Transfer(s)“ nicht direkt auf 1648 Bezug. Seine Verhüllung transportiert stattdessen Friedenswerte. Ihre Werkstoffe kritisieren Konsum und Kapitalismus. Sie fordern dazu heraus, in einer Stadt, die sich „Friedensstadt“ nennt, über die Brutalität des Kolonialismus nachzudenken, zu dessen Schauplätzen auch Osnabrück zählt.

Ein ehemaliges Kaufhaus ist dafür ein sinnreicher Ort. „Globale Zusammenhänge und deren Machtverhältnisse sichtbar zu machen, und dies auch mit konkreten Orten und Fragestellungen in Osnabrück zu verbinden, ist uns ein grundsätzliches Anliegen“, sagen Anna Jehle und Juliane Schickedanz der taz, die Direktorinnen der Kunsthalle.

Dass Mahama ein Paradox inszeniert, unterstreicht dieses Ziel in produktiver Verstörung. Denn er verhüllt nicht nur. Die Verhüllung könne „auch etwas sichtbar machen“, sagt er. Indem eine Fassade bedeckt sei, gelange „neu ins Bewusstsein, was sich unter ihr befindet“.

Mahama, der in Berlin lebt, hat für „Transfer(s)“ auf Partizipation gesetzt. Rund 60 Einzelpersonen aller Altersgruppen und Hintergründe haben laut Volunteer-Koordinatorin Bêriya Özlem Susan mitgewirkt. Sie alle haben geholfen, dem Ex-Kaufhof ein demaskierendes Stoffbahnen-Patchwork auf den Baukörper zu schneidern, mit grobem Garn und riesigen Nadeln.

Die Vernissage

Transfer(s), ehemaliges Kaufhaus, Neumarkt, Osnabrück, 8. Juli, 16 Uhr. Bis 1. 10.

Studierende und SchülerInnen haben sich beteiligt, KünstlerInnen und SozialarbeiterInnen, das KuratorInnenteam der Kunsthalle. Dazu Mahama selbst, neben seinen Assistenten Francis Djiwornu und Benjamin Okantey. Mehrere Wochen hat das gedauert, in einem Zwei-Schichten-System.

„Der Austausch über die Materialien, historische Hintergründe und kulturelle Besonderheiten ist ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit“, sagt Kuratorin Bettina Klein der taz. Das Material, von Mahama weltweit für künstlerische Interventionen genutzt, werde „an jedem neuen Ort weiter angereichert“. Die Arbeit der Freiwilligen sei „den Stoffen eingeschrieben“.

Aber Mahamas „Transfer(s)“ hat in Osnabrück auch zu Entzweiung geführt. Wenige Tage vor der Eröffnung verhöhnte das Osnabrücker Online-Medium Hasepost die Verhüllung als „alte Drecksäcke aus Afrika“. Es war nicht die einzige Anfeindung. Ein kleiner Teil der Kommentare von PassantInnen sei „offen feindselig“ gewesen, sagt Bettina Klein. „Emotional kalt lassen einen die teils hasserfüllten Kommentare nicht, insbesondere während man am Neumarkt arbeitet, der in der NS-Zeit Adolf-Hitler-Platz hieß und an dem im März 1933 Flaggen der demokratischen Linken verbrannt wurden.“

Zugleich solidarisierten sich Hunderte gegen diese Aggression mit Ibrahim Mahama, von den Grünen bis zur SPD, von der Galerie bis zur Künstlervereinigung, vom Buchladen bis zum Theater, vom Musiker bis zum Bildkünstler: Mahama lädt Osnabrücks öffentlichen Raum mit Erinnerungskultur auf. Dass er dadurch auch provoziert, verrät, wie unbearbeitet die Verbrechen des Kolonialismus noch sind, und beweist, dass seine Verhüllungsaktion ihre Bemäntelung zerstört. Und das ist gut so.

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1 Kommentar

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  • Der amerikanische Künstler Cameron Rowland beleuchtet in seiner Ausstellung im Frankfurter am MMK, Museum für Moderne Kunst, die Rolle Deutschlands im globalen Sklavenhandel im 17/18. Jahrhundert. Osnabrück spielt hier eine Rolle:



    Zitat Austellungstext:



    Die Sklav*innen waren ebenfalls in billiges, grobes deutsches Leinen gekleidet. Einem Bericht über den britischen Leinenhandel aus dem Jahr 1744 ist zu entnehmen, dass Schwarze Menschen in den Kolonien „in der Regel deutsches Leinen trugen“. Solche „Osnaburghs“ schlugen „mit sechs bis neun Pennys pro Elle zu Buche“.[28] In einem anderen Bericht heißt es, dass alle 70.000 versklavten Menschen in Barbados „für gewöhnlich mit ausländischen ‚Osnabrughs‘ bekleidet“[29] waren.