375. Jahrestag des Westfälischen Friedens: Osnabrück brät die Friedenswurst

Osnabrück begeht den 375. Jahrestag des Westfälischen Friedens mit einer Veranstaltungsflut. Das Spektakel soll richtungsweisend sein, ist es aber nicht.

Ein Mann in einem historischen Kostüm steht neben einer Glocke mit Friedenstaube.

Gleich bimmelt's für den Jubiläumstreck, den 12 Pferde von Münster nach Osnabrück ziehen Foto: dpa | Friso Gentsch

OSNABRÜCK taz | Wenn Städte Jubiläen ausrichten, ist das oft unfreiwillig skurril. Derzeit führt das niedersächsische Osnabrück eine solche Selbst-Demaskierung vor: 2023 prägt hier „375 Jahre Westfälischer Frieden“ das Bild. Und der Stolz auf das Vertragswerk, das in Osnabrück 1648 das Ende des Dreißigjährigen Krieges besiegeln half, treibt seltsame Blüten.

Friedensbäume und Friedenstulpen werden umhegt. Eine Friedensrevue und ein Friedenszirkus stehen auf dem Programm, eine Friedensreitertour und ein Friedensglockentreck. Die Hochschule Osnabrück hat mit der Fachhochschule Münster ein Friedensbier gebraut, ein Golden Ale mit Zitrusnote. Dazu schmeckt eine Friedenswurst.

Im Namen des Friedens wird in Osnabrück geschwommen und getanzt, gelesen und gebetet, gesungen und gewandert, diniert und Theater gespielt, musiziert und um die Wette gelaufen. Allerorten Friedenskunst. Automobil-Oldtimer sind auf „Schnauferl-Tagen“ zu Gast, im Namen des Friedens. Zum Friedens-Steckenpferdreiten werden Brezel verteilt.

Besonders bizarr ist das Merchandising der Marketing Osnabrück GmbH. Friedens-Teelichthalter bietet sie an, Friedens-Frühstücksbrettchen. Und dann ist da noch das „Bleistift-Set Jubiläum Westfälischer Frieden“. Es besteht aus zwei Stiften in einem silbrigen Etui, der eine ist schwarz, der andere weiß. Auf den weißen ist ein Mahatma-Gandhi-Zitat gedruckt: „Es gibt keinen Weg zum Frieden, denn Frieden ist der Weg“, steht da. Der schwarze soll „die dunkle Seite“ des Krieges symbolisieren. Die Mine ist aber bei beiden gleich hart.

Besonders bizarr ist das Merchandising: Im Angebot sind Friedens-Teelichthalter, Friedens-Frühstücksbrettchen sowie ein Krieg-und-Frieden-Bleistiftset

„Teils war ich da erst selbst etwas skeptisch“, gibt Patricia Mersinger zu. Sie ist Fachbereichsleiterin Kultur und Projektleiterin des Jubiläums. Dreieinhalb Jahre hat sie mit ihrem Team an dem Sieben-Monate-Programm gearbeitet. Sieben Themen werden bespielt, von „Natur und Umwelt“ bis „Dialog und Begegnung“; über 200 Veranstaltungen ballen sich. „Frieden ist Arbeit!“, sagt Mersinger der taz, betont doppeldeutig.

Hatte sich Osnabrück zum 350. Jubiläum von 1648 noch in royales Fieber versetzt, mit Besuch von Königin Margrethe aus Dänemark bis Königin Silvia von Schweden, sind diesmal die BürgerInnen am Zug. „Wir wollen regionale Kräfte stärken und sichtbarer machen, vor allem auch Jugendliche einbinden“, sagt Mersinger. „Den Menschen soll neu bewusst werden, was es bedeutet, in einer Friedensstadt zu leben.“

Kindergartenkinder und Universitätsdozenten sind ihrem Ruf gefolgt, Firmen und Vereine, Museen und Kirchengemeinden. Festivals und Tagungen lassen sich den 1648-Stempel aufdrücken, dazu weitere Stadtjubiläen, 30 Jahre Kunsthalle inklusive. Eine übersättigende, schwer zu vermittelnde Überfülle, deren roter Faden dünn ist.

„Oft sind es auch ganz kleine Formate“, sagt Mersinger. „Da kommt es dann eher auf das Gemeinschaftserlebnis der Akteure an.“

Die Botschaft: Für den Frieden kann jeder Einzelne etwas tun. Es gelte, „zu inspirieren“, sagt Mersinger. Lange hatte es ausgesehen, als komme das Jubiläum, Ende 2020 mit millionenschwerem Sonderetat vom Stadtrat beschlossen, gar nicht zustande. Die Zeit verstrich, Kommunikation war rar. Kulturmanager Stefan Schmidtke, eigentlich bis Ende 2023 verpflichtet, ging zwischendrin nach Chemnitz, das 2025 Kulturhauptstadt Europas wird. „Das war sein Traumjob“, sagt Mersinger.

Was am Ende entstand, ursprünglich sogar als „Friedens­triennale“ geplant, ist schwer zu beschreiben. Manche Akteure tun, was sie ohnehin getan hätten, nur eben jetzt im Namen von 1648. Manches Kleine wird durch die Fördergelder der Stadt größer, manches Große auch. So entsteht ein Kessel Buntes, in dem vom Hip-Hop bis zum Trickfilmmusical, vom Cosplay bis zur Pflanzen- & Ableger-Tausch-Party nahezu alles unter dem Label Frieden seinen Platz findet. Ganz Hartgesottene können Gedenkmünzen kaufen, in der Feingoldvariante zu 999 Euro.

375 Jahre Westfälischer Frieden, April bis Oktober, Osnabrück und umzu. Weitere Infos: hier.

Dabei birgt das Jubiläum auch viel Ernsthaftigkeit. Dazu gehört die Verleihung des Erich-Maria-Remarque-Friedenspreises 2023 an die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja. Der Träger des Sonderpreises, der ukrainische Zeichner Sergiy Maidukov, hält sie für einen Affront: Er weigert sich, mit ihr auf einer Bühne zu stehen.

Das Museumsquartier Osnabrück MQ4 arbeitet mit „Die Villa_Forum für Erinnerungskultur und Zeitgeschichte“ seit Jahren auf das Jubiläum hin, als „Friedenslabor“. Und Documenta-Teilnehmer Ibrahim Mahama aus Ghana verhüllt Fassaden. Aber der 1648-Firnis ist dünn. Nach innen, als Selbstmotivierung der Akteure, mag das Wirkung zeigen, als L’art pour l’art. Aber die Außenwirkung, als Ganzes, ist Overkill, Verwässerung, Überreizung.

Auch das Grußwort, das Osnabrücks Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU) zum Jubiläumsprogramm geschrieben hat, klingt unfreiwillig komisch: Die Sehnsucht nach Frieden, steht da, sei „weltweit leider immer noch groß“. Man ahnt, wie sie das meint: Es fehlt an Frieden. Aber ein bisschen mehr Formulierungssorgfalt hätte schon gutgetan.

Auf gute Kommunikation kommt es auch in einem Jubiläumsformat an, dessen Titel höchst kurios klingt: „Osnabrücker Friedensstreit“. Es fordert BürgerInnen zu einem „Experiment für eine neue Diskussionskultur“ heraus. Was an gegenseitiger Offenheit neu sein soll? Man weiß es nicht. Aber das ist nicht das größte Rätsel des Spektakels, das vergeblich hofft, „richtungsweisend“ zu sein.

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