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Plattenklau in Kolumbiens HauptstadtDer plötzliche Sturz in die Tiefe

Immer wieder werden in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá wertvolle Aluminium-Gehwegplatten von Fußgängerbrücken gestohlen. Wer nicht aufpasst, fällt durch.

Gefährliches Terrain: Fußgängerbrücke in Bogota Foto: Fernando Vergara/ap

E s war ein Sonntag im Juni, halb zehn Uhr nachts, als Joyse Vargas durch das Loch fiel. Er hatte in der Bibliothek für die Uni gebüffelt und wollte heim. Mit einem Freund nahm er die Fußgängerbrücke, um die mehrspurige Straße zu überqueren. „Wir unterhielten uns, ich drehte mich zu ihm um – und trat ins Nichts“, sagt Joyse der taz. In der Brücke fehlte ein Stück. Joyse fiel vier Meter tief.

Sein Kumpel hat durch das Loch gefilmt, wie er nach dem Aufprall torkelnd die ersten Schritte macht. Er ist dann in die Notaufnahme, um sicher zu gehen. Doch abgesehen vom Schrecken war er mit Schrammen und blauen Flecken davongekommen. Joyse ist 22 Jahre alt, Klettern sein Hobby, er ist kräftig und er hat das Fallen gelernt. „Ich hatte Glück. Wenn das jemand Anderem passiert wäre, sähe das anders aus“, sagt er.

Löcher in den Fußgängerbrücken sind Alltag in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá. Die Platten werden dauernd geklaut. Begehrt ist das Material: Aluminium. Die Diebe verticken sie für ein Fünftel bis ein Zehntel des Einkaufspreises an Metallhändler, sagt Diego Sánchez. Er ist Direktor der Instituts für Stadtentwicklung (IDU). Die Behörde ist für Fußgänger-Infrastruktur zuständig ist – darunter Brücken.

Davon gibt es viele. Bogotá ist bekannt für das Transmilenio-Bussystem mit eigenen Schnellspuren. Die langen Haltestellen befinden sich mitten in der Fahrbahn. Dass rechts und links drei Spuren Verkehr vorbeirauschen, ist keine Seltenheit. Entsprechend riesig sind die Fußgängerbrücken zwischen beiden Ufern der Straße und zur Haltestelle. Heißt: Viel Aluminium.

Fast jede Nacht wird etwas geklaut

Und viel Diebstahl: Von Januar bis Mai verzeichnete das IDU 148 Fälle von Vandalismus an Fußgängerbrücken. 2022 waren es im selben Zeitraum nur 66. „In Bogotá gibt es so viele Leute, die nichts zu essen haben – also suchen sie Formen, um zu überleben“, sagt Sánchez. „Mit einer Aluminiumleiste bringen sie sich und ihre Familien einen Tag durch.“

Auf Kosten der Allgemeinheit: Damit die gestohlenen Platten binnen 24 Stunden ersetzt sind, bezahlt das klamme IDU einen Notfalltrupp – plus Materialkosten. Um dem Geschäft ein Ende zu bereiten, müsste man die schnappen, die das Diebesgut kaufen, sagt Sánchez.

Das sollte einfach sein. 90 Prozent der Diebstähle ereignen sich auf einem vier Kilometer langen Abschnitt der Transmilenio-Strecke auf der Stadtautobahn Avenida NQS. Bei den sechs großen Fußgängerbrücken zwischen der Haltestelle Comuneros und Universidad Nacional wird fast jede Nacht etwas geklaut, sagt Sánchez. Die Käufer sind auch nicht weit: um den Großmarkt Paloquemao samt Busstation seien haufenweise Metallgeschäfte und Betriebe. Doch die eingeschaltete Kriminalpolizei hat bisher noch niemanden festgenommen.

Etwa zwei Millionen Menschen fahren jeden Tag mit dem Transmilenio. Wie viele sich wegen der Brücken verletzen, ist unklar. Durch Medienberichte weiß Sánchez nur von zweien in diesem Jahr. Im Februar fiel eine Frau bei Paloquemao durch ein Loch und brach sich Hüfte und Schlüsselbein. „Wir haben ihren Heilungsprozess eng verfolgt und unsere Behörde hat ihr einen Rollstuhl gespendet“, sagt Diego Sánchez. Was einiges über die Freuden kolumbianischer Krankenversicherung sagt.

„In Kolumbien tendieren wir dazu, Vandalismus als Normalität zu akzeptieren“, sagt Student Joyse. Er nach dem Unfall mit Medien gesprochen, um das zu ändern. Rechtlich unternommen hat auch er nichts. „Das würde viel zu viel Zeit kosten. Und ich glaube nicht an die Effektivität unserer Polizei.“

Ein neues Material soll’s richten: Polypropylen aus recycltem Plastik, gemischt mit Stahlfasern. Das Material ist für Diebe uninteressant – aber in Anschaffung und Montage mehr als doppelt so teuer wie Aluminium. An vier der sechs gefährdeten Brücken hat das IDU schon 2022 weite Teile ausgetauscht. Die abgebauten Alu-Platten heben die Arbeiter auf – wenn wieder mal ein Loch gestopft werden muss.

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Katharina Wojczenko
Freie Korrespondentin
stammt aus dem Bayerischen Wald und berichtet seit 2017 überwiegend aus Kolumbien. Sie ist Mitglied des Reporterinnen-Teams von #tazFolgtDemWasser und Mitgründerin des Magazins „Südamerika+Reporterinnen“ auf der genossenschaftlichen Journalismus-Plattform-„RiffReporter“.
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2 Kommentare

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  • In Deutschland probiert man es mit künstlicher DNA. Der Täter verunreinigt Kleidung und Haut mit nur unter Mikroskop sichtbaren nummerierten Metallplätchen, die als Beweis gegen ihn zählen.

    • Katharina Wojczenko , Autorin des Artikels, Freie Korrespondentin
      @Christoph Strebel:

      Das ist lustig. In Bogotá sind die Aluminium-Leisten weder mit einem Stempel noch einem Code markiert. Aber da sie quasi um die Ecke vom Diebstahl vertickt werden (man sieht die Diebe teils sogar mit den Leisten, hat mir jemand erzählt), müsste es ein Leichtes sein, sie und die Käufer zu schnappen. Aber was dann? Nach allem, was ich recherchiert habe, sind die Diebe arme Menschen, viele leben auf der Straße. Sie könne also keine Strafe bezahlen. Kolumbiens Gefängnisse sind schon überfüllt – und dann ist ihre Familie noch ärmer dran. Es ist eine verfahrene Situation.