Felssturz in Österreich: Tiroler Berg bröselt

Der Gipfel des Fluchthorns ist abgebrochen. Eine Gerölllawine rauschte ins Tal und machte die Folgen der Klimakrise in den Alpen deutlich.

Ein Berggipfel

Dieser Gipfel ist nun 100 Meter niedriger: das Fluchthorn nach dem massiven Bergsturz am Sonntag Foto: Land Tirol/dpa

INNSBRUCK taz | Auf Landkarten wird die Höhe des Südlichen Fluchthorns bei Galtür in den Tiroler Alpen mit einer Höhe von 3.398 Metern ausgewiesen. Seit Sonntagnachmittag ist es rund 100 Meter niedriger. Mindestens 100.000 Kubikmeter Gesteinsmasse der Nordwestflanke sind mitsamt Gipfelkreuz abgebrochen und über zwei Kilometer weit ins Tal gerauscht.

Das Video eines Augenzeugen, das die Tiroler Tageszeitung veröffentlichte, zeigt, wie Geröll einer Flutwelle gleich talwärts donnerte. Laut der örtlichen Polizei sind keine Menschen zu Schaden gekommen. 30 Bergretter, die am Sonntag unterhalb des südlichen Fluchthorn-Gipfels einen Ausbildungskurs absolvierten, berichteten, dass sich nur wenige Minuten nach dem Felssturz ein Sturzbach bildete. Einige Wanderrouten um das Fluchthorn wurden seit Sonntag vorsorglich geschlossen.

Der Chef der Tiroler Landesgeologie, Thomas Fiegl, sieht den Klimawandel als Auslöser für den Felssturz. „Wir haben die Ursache relativ klar im aufgehenden Permafrost festmachen können“, sagte Fiegl im Anschluss an einen Erkundungsflug am Montag. Permafrost bedeutet, dass das Wasser im Fels oder im Boden in gefrorener Form vorliegt – teilweise seit Jahrtausenden.

„Vereinfacht gesagt, ist es der Klebstoff der Berge“, erklärte Fiegl. Schmilzt der Permafrost im Zuge des Klimawandels, geht dieser Klebstoff verloren, und es drohen Ereignisse wie am Sonntag in der Gebirgsgruppe Silvretta.

Nicht nur Gletscher schmelzen

Ex­per­t:in­nen zufolge lässt die Erd­erhitzung in den Alpen schon seit Jahrzehnten nicht nur Gletscher, sondern auch Permafrost und Eisreste unter Schutthalden rapide schwinden. Das Eis übt normalerweise Druck auf die Felswände aus und stabilisiert sie dadurch. In der Silvretta-Gruppe ist ein hangseitiger Eisschwund in den vergangenen 10 bis 20 Jahren gut dokumentiert. Das Gestein verliert auf diese Weise kontinuierlich seine Stabilität.

Thomas Fiegl, Landesgeologe

„Vereinfacht gesagt, ist Permafrost der Klebstoff der Berge“

Barbara Schneider-Muntau vom Arbeitsbereich für Geotechnik an der Universität Innsbruck hält den schmelzenden Permafrost ebenfalls für die wahrscheinlichste Ursache des Bergrutsches – und für einen deutlichen Indikator der Erwärmung in den Alpen. Je mehr die Oberflächentemperatur der Erde steige, desto schneller schwinde das Eis. Seit Ende der letzten kleinen Eiszeit um 1850 haben die Alpengletscher über die Hälfte ihrer Fläche und ein Drittel der Eismasse verloren.

Auch wenn beim Bergsturz am Fluchthorn keine Menschen zu ­Schaden gekommen sind, bergen Fels­rutsche Gefahren für Sied­lungen. Das herabgestürzte Gestein könne Wasser aufstauen, das sich beim Bruch eines solchen natürlichen Damms ins Tal und bis hin zu bewohnten Gebieten ergießen könne, warnt Kay Helfricht von der Öster­reichischen Akademie der ­Wissenschaften. Das Gleiche gelte, wenn Geröll auf unter Felswänden und Schuttflächen gespeichertes Wasser oder Gletscherseen trifft.

Vor diesem Hintergrund fordern die Tiroler Grünen eine erneute Überprüfung von Bauprojekten im Hochgebirge, insbesondere dem Wasserkraftwerk im Kaunertal in Tirol. Der Tiroler Energieversorger TIWAG will dort den bestehenden Speicher Gepatsch um ein Pumpspeicherwerk erweitern. Aufgrund der Hangbewegungen wird der Stausee von der TIWAG bereits nicht mehr in Volllast gefahren.

Langfristig drohen Wasserknappheit und Dürren

Laut Expertin Schneider-Muntau ist das Schmelzen des Permafrosts in Österreich nicht mit dem in den Polarregionen zu vergleichen. Dort befindet sich der Permafrost in Böden, die aus Überresten von Pflanzen und Tieren bestehen. Taut dieses organische Material, beginnen Mikroorganismen es zu zersetzen. Dabei werden Gase wie Kohlen­dioxid oder Methan freigesetzt, welche die Erderwärmung noch weiter beschleunigen.

In den Alpen führt der Gletscherschwund kurzfristig zu mehr Überschwemmungen, Felsrutschen und Murenabgängen. Langfristig drohen in ganz Mitteleuropa Wasserknappheit und Dürren, denn auch große Flüsse wie die französische Rhone oder der Po in Italien speisen sich aus dem Schmelzwasser der Gletscher.

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