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Plötzlicher Aufstand in VietnamPolizei und Behörden überrascht

Eine bewaffnete Gruppe ethnischer Minderheiten hat zwei Polizeistationen im zentralen Hochland angegriffen. Mutmaßlich ging es dabei um Landrechte.

Das Videostill zeigt einen Angriff auf eine Polizeistation in der Provinz Dak Lak, Vietnam am 11.06.2023 Screenshot: Nguyen Van Dai

Berlin taz | In der Nacht zu Sonntag ist es in Vietnams zentralem Hochland zu einem bewaffneten Aufstand gekommen. Bewaffnete griffen zwei Polizeistationen und einen Sitz der Lokalverwaltung an. Dabei wurden unterschiedlichen Angaben zufolge sieben oder acht Polizisten und Beamte getötet.

Die Aufständischen sprechen auf Facebook von 1.000 Teilnehmenden, die Behörden von 40. Einem Video zufolge, das Teile des Aufstands zeigen soll und der taz vorliegt, waren es mindestens einhundert Aufständische. Sie trugen militärische Tarnkleidung und hatten selbst gebaute primitive Jagdgewehre sowie Fahnen ihrer nationalen Minderheiten bei sich.

Das Auftreten legt nahe, dass die Aufständischen militärisch ausgebildet waren. Die Behörden spekulieren, dass die Rebellen ihr Basislager im benachbarten Kambodscha hätten. Vietnams Regierung und Behörden wurden von der Aktion völlig überrascht und konnten die Aufständischen bis Redaktionsschluss selbst nicht genau einordnen.

Die Rebellen gehören ethnischen Minderheiten an, sogenannten Montagnards, die traditionell im zentralen Hochland wie auch in den Nachbarländern Laos und Kambodscha leben. Der Aufstand hielt bis Sonntagabend an. Da rückte das Militär mit gepanzerten Fahrzeugen aus anderen Regionen an.

Nach dem Aufstand flohen die Angreifer in den Dschungel

Viele Aufständische flohen in den in der Region dichten Dschungel. 26 Personen wurden laut Behörden bis Montag festgenommen, Messer und Gewehre beschlagnahmt. Die Zahl getöteter Aufständischer ist nicht bekannt.

Der im deutschen Exil lebende Oppositionspolitiker und Menschenrechtler Nguyen Van Dai spricht von einem Aufstand ethnischer Minderheiten gegen die Kommunistische Partei. Ihm wurde ein Video mit Forderungen der Rebellen zugespielt: „Erstens wollen sie das bisher genutzte Land weiter nutzen können“, sagte er der taz.

Die lokale Regierung hätte ihnen ihr bisheriges Recht auf Nutzung des Bodens entzogen, auf dem ihre Häuser und Felder stehen. „Zweitens fühlen sie sich als Angehörige der Minderheiten von der Kommunistischen Regierung diskriminiert. Und drittens fordern sie religiöse und politische Freiheiten.“

Spannungen zwischen Minderheiten und Staatsmacht

Ihnen drohe der Verlust ihrer Heimat und es bliebe nur, in Großstädte zu ziehen, wo sie wegen ihrer geringen Schulbildung für sich keine Chancen sehen. Bewaffnete Aufstände hat es in Vietnam seit den 1980er Jahren nicht mehr gegeben. Zudem ist Privatpersonen der Waffenbesitz untersagt.

Konflikte zwischen ethnischen Minderheiten und der Staatsmacht sind im Hochland aber nicht neu. Ende der 1980er Jahre war dort mit dem Kaffeeanbau begonnen worden. Immer mehr Land wurde für das lukrative Kaffeeanbaugeschäft benötigt. Dafür verloren dort wohnende Minderheitenangehörige ihre Landnutzungsrechte und dadurch ihre Lebensgrundlage. Auch wurden sie in der Ausübung ihres christlichen Glaubens behindert.

Das Verhältnis ist auch historisch belastet: Mehrere Stämme der Montagnards hatten sich während des Vietnamkrieges auf die Seite der südvietnamesischen Regierung und der mit ihr verbündeten US-Armee gestellt und mehr Autonomie bzw. eine Unabhängigkeit ihrer Region gefordert. Andere unterstützten hingegen den Ho-Chi-Minh-Pfad, der als Nachschubweg des Vietcong durch die Bergregion führte und ohne Unterstützung durch die Menschen vor Ort nicht funktioniert hätte.

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