Dreimal desaströse Politik in Hannover: So geht kurzsichtig

In Hannover versucht man, sich zu Obdachlosigkeit, Ladendieben und „Clans“ zu verhalten. Im Fokus ist mal wieder das Sicherheitsempfinden der Bürger.

Drei Frauen prosten sich mit Aperol Spritz in einer Strandbar zu, im Hintergrund ist ein Hochhausbau erkennbar.

Cocktails statt Dosenbier: Wo sich vorher Obdachlose drängten, gibt es jetzt Funsport und Events Foto: Moritz Frankenberg/dpa

Szene 1: Das Parkhaus am Hauptbahnhof Hannover ist schwer benutzbar, weil auf den Rampen, die hinein- und hinausführen, Menschen liegen oder urinieren. Die Fahrradstation nebenan musste vorübergehend schließen, weil die Kunden und Mitarbeiter sich nicht durch die dichten Trauben von Drogenabhängigen trauen.

Das Amtsgericht hat seine Eingänge verbarrikadiert, damit das Foyer nicht als Aufenthaltsraum und Toilette benutzt wird. Dafür beklagt der Kontaktladen „Mecki“, in dem obdachlose Menschen Hilfe und eine medizinische Grundversorgung bekommen, einen Einbruch bei Besucherzahlen.

Die Klienten kommen schlecht an dem privaten Sicherheitsdienst vorbei, der hier die von der Stadt Hannover eingerichtete Funsport- und Eventzone am Raschplatz, direkt hinter dem Bahnhof, bewacht.

Das ist ein Desaster mit Ansage. Schon als die Stadt die Pläne zur „Rückeroberung“ der bahnhofsnahen Plätze vorstellte, merkten Kritiker an, dass sich die Obdachlosen und Suchtkranken, die sich dort sonst tummeln und vielen Passanten Angst machen, ja nicht wie durch ein Wunder in Luft auflösen würden.

Vertreibung und Verwahrlosung werden in Kauf genommen

Man wolle niemanden vertreiben, behauptete die Stadt. Überhaupt sollten die Hilfseinrichtungen in der Umgebung des Bahnhofs neu sortiert und besser und größer aufgestellt werden. Das dauert halt nur. Funsport geht schneller. In der Zwischenzeit springt die private Niedergerke-Stiftung ein, um die Öffnungszeiten des Mecki zu verlängern – in der Hoffnung, dass über den Tag verteilt dann doch noch ein paar mehr Hilfsbedürftige erreicht werden.

Szene 2: Das Landgericht, ebenfalls gleich hinter dem Hauptbahnhof. Hier stehen zur Zeit mehrere Roma-Mädchen vor Gericht, weil sie gemeinsam als Diebesbande durch Drogerien und Elektromärkte gezogen sein sollen. Es ist, wie Jutta Rinas in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung zuerst berichtete, nicht das erste Mal, dass sie öffentliche Aufmerksamkeit erfahren.

Vor sechs Jahren – da waren sie alle noch Kinder, hausten sie mit ihrer Familie in einer Schrottimmobilie, unter Bedingungen, unter denen man in Deutschland nicht einmal Tiere halten darf. Nach langen Diskussionen schritt die Stadt ein und verteilte die Familien auf verschiedene Obdachlosenunterkünfte. Dort wohnen sie zum Teil immer noch, zum Teil schon mit der nächsten Generation an chancenlosen Babys. Noch ein Desaster mit Ansage.

Szene 3: Innenministerium. In der diesjährigen Präsentation des Lagebildes „Clankriminalität“ tauchen die Mädchen wieder auf. Der Begriff ist nämlich bemerkenswert dehnbar.

Clankriminalität macht 0,76 Prozent der Straftaten aus

Während die meisten Menschen bei Clankriminellen wahrscheinlich an Organisierte Kriminalität oder tumultartige Massenschlägereien denken, an das nervtötende Rumgepimmel von jungen Männern in fetten Karren oder spektakulär dämliche Coups wie beim Grünen Gewölbe und dem Bode-Museum, erfasst Niedersachsen darunter alles, was irgendwie mit Großfamilien zu tun hat, die aus dem Ausland stammen.

Darunter sind dann auch Betrügereien mit Corona-Testzentren oder bei theoretischen Führerscheinprüfungen. Oder eben verwahrloste Kinder, die Ladendiebstähle begehen.

Verfahren, die der Organisierten Kriminalität zu zuordnen sind, gab es auch: Im vergangenen Jahr neun, die meisten aus dem Bereich Drogenhandel. Insgesamt machen die 3.986 „Irgendwas mit Clan“-Straftaten 0,76 Prozent der 523.996 in der polizeilichen Kriminalstatistik erfassten Straftaten aus, beschäftigen aber vier Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften.

Innenministerin Daniela Behrens (SPD) und Justizministerin Kathrin Wahlmann (SPD) rechtfertigen dies in ihrer gemeinsamen Presseerklärung mit den Auswirkungen auf „die subjektive Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger“. Die scheint halt an vielen Orten wichtiger zu sein als die Investition in soziale Präventionsmaßnahmen.

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Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020

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