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Der Fall Till LindemannJenseits des Juristischen

Carolina Schwarz
Kommentar von Carolina Schwarz

Ob die Ermittlungen gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann zu einer Verurteilung führen oder nicht: Gesellschaftlich muss es Konsequenzen geben.

Verurteilungen sind selten. Das liegt unter anderem an schlechter Beweislage und fehlenden Zeug_innen Foto: Malte Krudewig/dpa

N un also doch. Wochen nach den ersten Vorwürfen des Machtmissbrauchs gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft. Bei den Vorwürfen geht es um Abgabe von Betäubungsmitteln und Sexualdelikte; im Falle einer Verurteilung könnte Lindemann eine Freiheitsstrafe erhalten.

Dass es erste Ermittlungen gibt, ist für die Betroffenen eine Erleichterung. Viele sehen darin einen ersten Schritt in Richtung Gerechtigkeit. Doch es wäre falsch, sich als Gesellschaft auf dem juristischen Vorgehen auszuruhen und sich so aus der Verantwortung zu ziehen.

Verurteilungen nach #MeToo-Vorwürfen sind selten: Harvey Weinstein bildet die Ausnahme, nicht die Regel. Das liegt meist nicht daran, dass die Unschuld der Angeklagten zweifelsfrei festgestellt werden kann, sondern an einer schlechten Beweislage, fehlenden Zeug_innen oder Kläger_innen, die versterben oder ihre Aussage zurückziehen.

Auch im Fall Lindemann ist eine Verurteilung unwahrscheinlich. Für die mutmaßlich Betroffenen wie für den mutmaßlichen Täter gilt die Unschuldsvermutung. Lindemann bestreitet jede Art von strafrechtlichem Vorwurf. Es steht also Aussage gegen Aussage, die Beweislage ist vermutlich dünn, der Einsatz von K.-o.-Tropfen ist nur für wenige Stunden im Blut nachweisbar.

Als Gesellschaft einen Umgang finden

Konsequenzen muss es trotz allem geben. Das soll weder die Ermittlungen kleinreden noch die Unschuldsvermutung außer Kraft setzen. Doch selbst bei fehlender Verurteilung müssen wir als Gesellschaft ja einen Umgang mit mutmaßlichen Täter_innen und Opfern finden. Ein Zurück in den vorigen Stand ist nicht möglich.

Seit Bekanntwerden der schwerwiegenden Vorwürfe ist immer wieder von einem „offenen Geheimnis“ die Rede. Ganz schön viele Menschen scheinen eine ganze Menge gewusst zu haben. Doch es hat sie nicht interessiert, sie haben es mitgetragen oder zumindest bewusst nicht hingeguckt. Eine ganze Kultur des Wegschauens auf Kosten der Frauen.

Mittlerweile hat der KiWi-Verlag die Zusammenarbeit mit Lindemann beendet, Rossmann hat den Verkauf des Lindemann-Parfüms eingestellt, das Veranstaltungsunternehmen Riggingwerk möchte künftig nicht mehr mit Rammstein arbeiten, und ihr Label Universal setzt bis auf Weiteres die Marketing- und Promoaktionen aus. Erste Konsequenzen gibt es also auch ohne Verurteilung bereits. Richtig so!

Denn uns sollte es nicht nur darum gehen, was juristisch erlaubt ist, sondern auch, was moralisch vertretbar ist. Um das zu entscheiden, braucht es einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess. Dem täte es gut, wenn alle, die lange weggeguckt haben, endlich Verantwortung übernähmen.

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Carolina Schwarz
Ressortleiterin taz zwei
Ressortleiterin bei taz zwei - dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt hauptsächlich über intersektionalen Feminismus, (digitale) Gewalt gegen Frauen und Popphänomene. Studium der Literatur- und Kulturwisseschaften in Dresden und Berlin. Seit 2017 bei der taz.
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16 Kommentare

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  • Skatelefants , Moderator

    Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

  • Eine moralische Einschätzung der sexuellen Praktiken berühmter Pop MusikerInnen ist in unserer Gesellschaft genauso zu erwarten, wie entsprechende Reaktionen. Das hat aber nichts mit Verantwortung gegenüber anderen zu tun und muss auch nicht gesamtgesellschaftlich ausgehandelt werden. Für solche Dinge gibt es ein mehr oder weniger gut funktionierendes Rechtssystem, das unter anderem vor jeglicher Form von Lynchjustiz schützen soll.

  • wenn ich solche artikel lese, frage ich mich immer, ob den autoren die logischen widersprüche und die konsequenzen beim zu ende denken ihrer forderungen nicht bewusst sind.



    "Das liegt meist nicht daran, dass die Unschuld der Angeklagten zweifelsfrei festgestellt werden kann, sondern an einer schlechten Beweislage, fehlenden Zeugen oder Kläger, die versterben oder ihre Aussage zurückziehen."



    die unschuld von eines angeklagten kann nie festgestellt werden. da wäre ein blick in karl poppers buch "logik der forschung" sinnvoll gewesen. da man auch nicht die nichtexistenz von einhörnern beweisen kann. deswegen ist die struktur der judikative logischerweise darauf ausgelegt, die schuld festzustellen.



    "...noch die Unschuldsvermutung außer Kraft setzen."



    "Erste Konsequenzen gibt es also auch ohne Verurteilung bereits. Richtig so!"



    solche kommentare lassen mich auch ratlos zurück. würde die autorin ihre gutheißung zu ende denken, könnnen wir die gerichte abschaffen und wir stimmen auf twitter über urteile ab, da man ja eh schon genau weiß was vorgegangen ist und das urteil nur eine formalie darstellt. jedem steht es sebstverständlich frei auf produkte der band zu verzichten und die aussagen der kläger sollen alle genauestens geprüft werden und ggf. rechtliche konsequenzen gezogen werden, sowie frauen gestärkt und strukturen verändert werden, damit möglicher missbrauch nicht stattfinden kann. aber eine generelle vorab ächtung ist weder hilfreich noch gewünscht und würde in letzter konsequenz zur abschaffung des rechtsstaates führen.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    "Das liegt meist nicht daran, dass die Unschuld der Angeklagten zweifelsfrei festgestellt werden kann, sondern ...."

    Das Strafrecht ist so konzipiert, dass nicht die Unschuld von Beklagten nachgewiesen werden muss sondern zweifelsfrei ihr Schuld. Verurteilung erfolgt nach Nachweis von Schuld. Freisprüche erfolgen i.d.R. nicht, weil die Unschuld von Angeklagten festgestellt wurde. Unschuld kann dann festgestellt werden, wenn für die Tat anderen Verdächtigten eine Täterschaft nachgewiesen werden kann.

  • Ein zutreffender Kommentar. Wie man in anderen Medien (Spiegel) lesen durfte, hat die Band angeblich weibliche Fans als "Schlamp*enparade" bezeichnet und vom "Restef*cken" war die Rede. Das ist nicht justiziabel, aber lässt in menschliche Abgründe blicken. Wer so über Menschen denkt, bei dem muss schon Einiges im Argen liegen.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    Dem KiWi-Verlag, Rossmann, Riggingwerk und Universal moralisches Agieren zu unterstellen oder abzuverlangen ist schon etwas schwierig.

    Letztlich haben doch alle nur Angst, dass etwas von der medialen Aufmerksamkeit negativ an ihnen haften bleibt und sie dadurch geschäftlich Schaden nehmen. Die Moral des Kapitalismus.

  • Ich habe selber eine Tochter und möchte sie vor allem Unbill bewahren. Wenn ich so etwas hier lese, dann frage ich mich, ob die jungen Frauen heute wirklich so naiv sind oder ob die jungen Frauen es schon immer waren. Jemanden Betäubungsmittel unter schieben geht natürlich gar nicht aber dass Groupies gesucht werden für Sex und, dass vor allem deswegen solche Einladungen erfolgen, sollte nicht verwundern. Ich hoffe, ich schaffe es, dass meine Tochter cleverer wird aber dazu muss man alles im richtigen Kontext und rechtzeitig ansprechen und Bewusst machen.

  • Beim Lesen wird ein wenig Angst und Bange. Da klingt vieles wie Hetze und undemokratischen Spielregeln. Ich halte persönlich Lindemann für ein erbärmliches kleines Würstchen, aber zu fordern, dass generell mit mutmaßlichen Tätern "gesellschaftlich" ins Gericht gegangen werden soll finde ich widerlich. Jeder kann selbst entscheiden, was man von Lindemanns Charakter halten kann. Aber "Konsequenzen muss es trotzdem geben!", "...einen Umgang mit mutmaßlichen Täter_innen": mutmaßlich heisst aus besonderem Grund "mutmaßlich". Keiner wird gezwungen, Lindemann hinterher zu laufen. Aber die Gesellschaft "muss ihn richten" ist totalitäres denken. Auch wenn ich moralisch nichts halte von ihm, ich kann mein Empfinden nicht anderen Überstülpen.



    Leider geht in dieser Zeit diese "Gut/Böse" Zweiteilung und "sich das im alleinigen Recht fühlen" befremdliche Wege...



    Ich kann die Autorin für ihre moralische Einschätzung verstehen, nicht aber für die Forderung, die Gesellschaft müsse das richten. Würde ich mir auch wünschen, sowas kann man aber nicht fordern, denn dann ist es übelste Hetze.

  • Vollkommen richtig, dass Leute nicht mehr wegschauen sollten.



    Auch richtig, dass wir einen moralischen Konsenz brauchen.



    Völlig falsch aber, den moralischen Kompass einseitig bereits auszulegen.



    Wir brauchen eine Debatte, wie der Umgang mit Beschuldigten sein soll. Sowohl vor, als auch während und nach strafrechtlicher Verfolgung.



    Die aktuelle Situation des schadens-/shitstormvermeidens und damit einhergehenden Vorverurteilens ist nicht Konsens in der Gesellschafft. Die Radikalität dessens sogar ein Antreiber für AfD und Konsorten.



    Wir spalten und splittern und bewegen uns auf amerikanische Grabenkampfverhältnisse zu.



    So schafft man keinen Zusammenhalt, keinen breit getragenen Feminismus und auch keinen Fortschritt in Klimafragen.

    Es gibt keine Menschen mit unterschiedlichen Standpunkten mehr, sondern nur noch Freund und Feind.

  • Verstehen Sie mich nicht miss: Das Verhalten von Herrn Lindemann ist eventuell justiziabel. Auf jeden Fall widerlich. Dennoch habe ich Bauschmerzen dabei, wenn wir wider dahin kommen, dass die Gesellschaft aushandelt, was moralisch vertretbar ist und was nicht - und Menschen, die eine andere Moralvorstellung haben, sanktionieren.

  • Und wenn ich jetzt sage, dass du mit mir xy gemacht hast, solltest du dann auch direkt ausgerenzt werden, ohne Verhandlung, ohne Urteil?

    Vielleicht sollten wir manche Menschen einfach direkt auf dem Marktplatz durch den Mob lynchen lassen?

  • 6G
    652797 (Profil gelöscht)

    "Doch es wäre falsch, sich als Gesellschaft auf dem juristischen Vorgehen auszuruhen und sich so aus der Verantwortung zu ziehen."



    So kommen wir zurück zur Lynchjustiz. Sollte Herr Lindemann freigesprochen werden gilt er als unschuldig, dann gibt es keine Konsequenzen. Ich finde es sehr fragwürdig was sich Frau Schwarz für eine Deutungshoheit erlaubt.

  • Dem widerspeche ich!



    Einen Rechtsstaat, der mit seinen Mitteln Verbrechen verfolgt und ahndet, ist Ziel und ein gesellschaftlicher Standard, der moralisch nicht beschädigt werden sollte.



    Hier wird vorgeschlagen, " moralische Ansprüche" über das Gesetz zu stellen.



    Das ist die Folge der sozialen Medien und Ihrer Unkultur.



    Wenn sich nur ausreichend Menschen und Maschinen gegen eine Person äußern, wird sie gesellschaftlich zerstört. Das sind mittelalterliche Verhaltensweisen, Einer wird an den Pranger gestellt, und kann von Allen beschimpft und bespuckt werden.



    Soll so unsere Gesellschaft aussehen?



    Nicht von Ungefähr kommt die Bewertung " Daumen hoch", "Daumen runter" in den sozialen Medien.



    Ist schon klar woher die Gesten stammen?



    Die Masse, z.B. im Circus Maximus, zeigte so an, ob ein Gladiator, der verloren hat, am Ende getötet wird, oder evtl. wegen seiner "guten Performance" weiterleben durfte.



    Wollen wir (wieder ) da hin?



    Ich bin froh, in unserer Zeit zu leben und in einem Land, in dem Verurteilung keine Mehrheitsentscheidung, Machtmissbrauch, Willkür oder nur eine Frage des Geldes ( Inernet"Bewertungen") ist.

  • Dass es Wochen gedauert hat bis die Staatsanwaltschaft aufgrund massiver Publicity einen dubiosen Prozess anstrengt, lässt ahnen, dass es keinerlei Grundlage gibt.

  • Gibt es keine Verurteilung, gibt es auch keine mutmaßlichen Täter:innen und Opfer mehr. Ergo auch kein neuer Umgang. Oder wollen wir zurück in alte Zeiten, wo halt ein Leben lang "etwas hängen blieb"? So etwas nennt Frau Stigmatisierung. Btw. haben mich Rammstein und Lindemann aufgrund Musik und Stil schon immer abgeschreckt

  • mitglieder der band distanzieren sich ...

    eine einreise in die usa scheint gefährdet.



    veranstalter könnten schadensersatz verlangen.



    risiko ist nicht versicherbar.



    ein finanzielles desaster bleibt nicht ausgeschlossen.



    die cashcow ist schlachtreif.